"Die fehlende Ausbildung der Lehrpersonen ist ein Bremsklotz"
Andres Streiff ist ein Pionier beim Einsatz von mobilen Technologien im Schulunterricht. Er ist Lehrer an der Oberstufe Weesen-Amden und hat die Ausbildende AdA ICT an den Pädagogischen Hochschulen FHNW/PHZH absolviert. Auf www.lernklick.ch bietet er Informationen zum Einsatz mobiler Technologien und selbstentwickelte Apps an.
Sie setzen schon viele Jahre mobile Technologien in Ihrem Unterricht ein. Was sind deren grössten Vorteile?
Andres Streiff: Sie sind innerhalb von Sekunden dort verfügbar, wo man sie gerade braucht – ein Werkzeug braucht man dort, wo man arbeitet. Sie motivieren und funktionieren einfach.
Welche mobile Technologie ist in Schweizer Schulen am häufigsten anzutreffen?
Da findet man alles. Es ist noch etwas konzeptlos. Meiner Ansicht nach braucht es an Schulen nur noch einen fixen PC-Raum und iPads. Damit kann alles abgedeckt werden. Notebooks müssen, meine ich, nicht mehr erneuert werden. Auf längere Sicht braucht es nur noch iPads, und zwar für jeden Schüler eines mit einer vorgegebenen App-Kollektion. Aber ich kam mit diesem Vorschlag im eigenen Lehrerzimmer nicht durch. Als ICT-Verantwortlicher musste ich gerade beides, iPads und Notebooks, anschaffen. Die iPads installierte ich bereits, jetzt muss ich noch die Notebooks vernetzten, was ein riesiger Zusatzaufwand ist, da der Gerätepark nicht einheitlich ist.
Sind es eher ältere Lehrer, die mobile Technologien ausbremsen?
Ältere Lehrer sind nicht das Hauptproblem, ich gehöre ja selbst dazu. Viel wichtiger ist, dass Eltern gut informiert sind, damit sienicht zu Verhinderern werden. Die Schulleitung wird auch nicht im Wege stehen, wenn das ganze Team überzeugt ist. Das Budget ist ebenso kein Problem, weil Lehrpersonen selbst vorschlagen können, wofür das Geld eingesetzt werden soll und die Anschaffungen etappenweise gemacht werden können. Die fehlende Ausbildung ist aber ein Bremsklotz. Ich erteilte zwar schon Lehrerweiterbildungskurse, wollte dann aber viel zu viel hineinbringen. Teilweise kommen ausgeschriebene Kurse auch gar nicht zustande, da sie freiwillig sind und es zu wenige Interessenten gibt. Auch sind Kurse nur kurz, aber es braucht Übung, um die notwendige Sicherheit zu erlangen. Zudem benötigen Lehrpersonen zuerst ein iPhone, dann ein iPad für den persönlichen Gebrauch. Verbunden mit Beamern kann damit schon viel im Unterricht gezeigt werden. Der Schritt zum flächendeckenden Einsatz mobiler Geräte an Schweizer Schulen ist dann nicht mehr gross. Der Ball liegt also beim "Normallehrer". Lehrer, die sogar bereit sind, die Geräte aus der eigenen Tasche zu finanzieren, gibt es schon einige. Es braucht also noch Zeit. Es kann aber plötzlich schnell gehen, wenn eine Mehrheit gute Erfahrungen damit gemacht hat.
Wo sehen Sie die Schweiz beim Einsatz von Lern-Apps im internationalen Vergleich?
Natürlich verfolge ich jeden Tag die Rangliste der von mir programmierten 16 Lern-Apps im App-Store. Da ich in keinem Land Werbung mache, kann ich verfolgen, was in den deutschsprachigen Ländern läuft. Die Schweiz lag seit Jahren bei den Downloads immer ganz weit vorne, dann folgte Deutschland, Österreich lag weit hinten. Nun biete ich neu 10 verschiedene Lern-Apps gratis an. Das führte dazu, dass in den letzten Wochen Deutschland die Schweiz bei den Downloads meiner Lern-Apps überholen konnte. Im deutschen App-Store wurde an einem Tag 600 Mal die gleiche Gratis-App heruntergeladen. Ich nehme an, dass das eine grosse Schule war. In der Schweiz gibt es vielleicht ein Mal pro Monat Spitzen bis 35 Downloads an einem Tag, wahrscheinlich auch von Schulen.
Was wird sich in den nächsten Jahren Ihrer Meinung nach ändern? Werden sich immer mehr Tablets durchsetzen?
Meine Erfahrung ist, dass sich zwangsläufig früher oder später das durchsetzt, was gut ist und funktioniert. Dass sich iPads gut als Lehr- und Lerninstrument für die Schule eignen, konnte der Kanton Solothurn in einer Untersuchung belegen. Sie gehören definitiv in die Volksschule! Allerdings braucht es Zeit. Jede Lehrperson und jeder Kanton muss noch überzeugt werden. Als die ersten Wikis aufkamen und jeder für das Web schreiben konnte, verfasste ich ein Buch, wie diese Wikis in der Schule eingesetzt werden könnten. Ich hätte nicht gedacht, dass daraus Facebook entsteht und die übermässige Nutzung sogar zu Problemen führen könnte. Als die ersten iPhones verfügbar waren, schrieb ich auf dem schweizerischen Bildungsserver Educa einen Guide, wie man diese Geräte in der Schule einsetzen könnte und entwickelte erste Lern-Apps. Damals waren Smartphones an den Schulen noch strikt verboten. Es dauert also immer eine gewisse Zeit, doch die Entwicklung ist nicht aufzuhalten. Es findet ein langsames, aber stetes Umdenken statt. Die Lehrpersonen lassen sich nicht durch Werbung beeinflussen, sie schauen aber, was die Kollegen für Erfahrungen damit machen, und die sind positiv.
Was sind momentan noch die Hauptschwierigkeiten beim Einsatz von mobilen Technologien?
Zunächst muss die technische Seite geklärt werden. Ich stellte zwei Kisten mit je zehn iPads in das Lehrerzimmer. Auf jedem Gerät sind die gleichen 220 Apps installiert. Nun sind sie ohne Probleme im Einsatz, aber es braucht eben jemanden, der sie vorbereitet. Dann braucht es ein starkes WLAN. Wir haben in jedem Schulzimmer einen Air Port Extreme. Das war viel günstiger, als ein Firmennetz zu installieren. Wichtig ist auch, für Schüler genaue Regeln aufzustellen, was ihnen erlaubt ist und was nicht und dass sie nur mit den installierten Apps arbeiten dürfen. Ein Problem ist, dass erst wenige Lehrmittelverlage Apps entwickeln, die genau zu den Lehrmitteln passen, weil es sich nicht lohnt. Ich entwickle etwa solche Apps zu einem in der Schweiz und in Deutschland weit verbreiteten Mathematik-Lehrmittel. Da ich die Apps auf privater Basis produziere, darf ich den Namen dieses Lehrmittels nicht nennen. Anhand dieser Apps kann man spielerisch üben, was an den Prüfungen abgefragt wird, doch die Schüler kennen diese Apps nicht. Zu finden sind sie im App-Store unter dem Suchbegriff "Lernklick".
Wird der BYOD-Trend noch weiter zunehmen, und welche Schwierigkeiten sind damit verbunden?
Das sehe ich eher umgekehrt, das heisst, Schüler nehmen Geräte von der Schule nach Hause mit. Wenn ein flächendeckender Einsatz und ein interessanter Unterricht von allen Lehrpersonen angestrebt wird, müssen alle Hürden dafür abgebaut werden. Alle Geräte müssen genau gleich und immer verfügbar sein, die gleichen Programme enthalten, und die Lernenden sollten die Devices auch mit nach Hause nehmen dürfen. Es ist nicht so, dass die Lehrperson einen Auftrag gibt und alle Schüler wissen gleich, wie es funktioniert. Die Lehrperson muss auch helfen können, oder die Lernenden helfen sich gegenseitig. Und das geht nur, wenn alle über die gleichen Programme verfügen, was bei privaten Geräten schwierig wäre. Auch sind Spiele, die auf privaten Geräten installiert sind, zu verlockend, etwas anderes zu tun, als das, was gerade verlangt wird.