Titelgeschichte

Wie mobiles Lernen Schulen verändert

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von Christoph Grau

Auch die Schweizer Schulen stellt der Einsatz von mobilen Geräten vor grosse Herausforderungen. Dabei ist ein grundlegender Kulturwandel in den Lehrprozessen nötig, um das Potenzial der Geräte ­ausschöpfen zu können.

Digitalisierung erfasst alle gesellschaftlichen Bereiche in der Schweiz. Nicht nur Unternehmen, auch Schulen müssen sich den fünf Megatrends: Social, Security, Big Data, Cloud und Mobile stellen. Für Schulen ist das Thema Mobile eine der grössten Herausforderungen. Laptops, Tablets und Smartphones sind immer häufiger auch im Schulalltag anzutreffen. Der Einsatz mobiler Geräte wird von der Basis vorangetrieben. Denn nicht nur die Schüler, sondern auch die Lehrer nutzen diese Geräte täglich in ihrem privaten Umfeld, wie Claudia Balocco, Bildungsverantwortliche Microsoft Schweiz, in einem Gespräch sagt.

In der Schweiz steckt das mobile Lernen an den Schulen aber im Vergleich zu anderen Ländern noch in den Kinderschuhen. Doch der Druck von unten wächst, sodass die "Bremser immer mehr ausgebremst werden", bringt es Balocco auf den Punkt.

BYOD auch an Schulen ein heisses Thema

Da die Anschaffung von mobilen Geräten für Schulen sehr kostspielig ist, sehen viele von ihnen den Trend zu Bring your own Device (BYOD) als Lösung. Das Potenzial in diesem Bereich ist enorm, wie die James-Studie (Jugend, Aktivitäten, Medien – Erhebung Schweiz) zeigt. Im Rahmen dieser Studie befragt das Institut für angewandte Psychologie der ZHAW alle zwei Jahre 1000 Jugendliche im Alter zwischen 12 bis 19 Jahren zu ihrem Medienverhalten. In der aktuellen Ausgabe aus dem Jahr 2014 gaben 97 Prozent aller befragten Jugendlichen an, ein Smartphone zu besitzen. Daher bietet sich dieses für den aktiven Einsatz an Schulen geradezu an. Gleichzeitig tun sich hier mehrere Problemfelder auf. Die grösste Schwierigkeit liegt in der Vielzahl der Geräte, Betriebssysteme und dazu noch deren unterschiedliche Versionen. Im Unterricht müsste der Lehrer für alle Varianten Problembewältigung und Unterstützung leisten können, damit alle ihr Gerät jederzeit produktiv nutzen könnten, sagt Balocco. Hinzu komme, dass bei BYOD nicht jeder Schüler auf seinem Gerät die gleiche Software habe oder die Geräte nicht die Voraussetzungen erfüllten, um Lernprogramme oder spezifische Apps darauf installieren zu können. Deswegen bestünde die Gefahr, dass in solchen Settings das, was im Browser gemacht werden könne, der kleinste gemeinsame Nenner sei und das Potenzial der Geräte für das Lernen nicht ausgeschöpft werde, hält Balocco fest.

"Die Schwierigkeiten bei privaten Geräten sind, dass man wohl nur gerade das Internet nutzen kann, was noch nicht gerade einen grossen Mehrwert ergibt", belegt An­dres Steiff diese Einschätzung. Er spricht aus seiner Erfahrung als Lehrer an der Oberstufe Weesen-Amden, er ist zudem Ausbildner für Ausbildende AdA ICT an den Pädagogischen Hochschulen FHNW/PHZH.

Ein Kulturwandel ist gefordert

Für Martin Kathriner, Public Affairs & Citizenship Manager Samsung Electronics Schweiz, ist es eine kulturelle Frage. Für ihn steckt die Schweiz noch in der analogen Zeit fest. Häufig würden zwar Geräte wie Laptops oder Tablets angeschafft, jedoch ohne deren Einsatz didaktisch zu begleiten. Wie auch in Unternehmen brauche es einen Kulturwandel. Altbewährte Arbeitsabläufe und Prozesse müssten an die neuen Technologien und Möglichkeiten angepasst werden, zeigt sich Kathriner überzeugt.

Diese Auffassung vertritt auch Balocco. Das Tablet werde häufig nur als Consumer-Gerät gesehen, diene also zum Anschauen von Videos und zum Surfen im Web. Ein weiteres Problem sei, dass die Lernprozesse nicht an die Möglichkeiten der digitalen Welt angepasst würden. So könnten etwa die gleichen Arbeitsblätter nicht mehr auf dem Papier, sondern auf dem Tablet ausgefüllt werden. "Mobiles Lernen sollte aber viel mehr bringen", ist Ba­locco der Meinung. Mobile Geräte sollten "Lernbegleiter" sein, wie Balocco Tablets und Smartphones nennt. Der Einsatz mobiler Endgeräte sei ohne eine umfassende Digitalisierung auch nur eine halbe Sache. Wo Unternehmen ihre Akten und die damit verbundenen Prozesse digitalisieren müssen, seien es an den Schulen die Lehrmaterialien.

In der Schweiz komme die Digitalisierung aber nur langsam voran. Da viele Schweizer Bildungsverlage nur sehr klein seien und einen begrenzten Markt bedienten, könnten sie sich die aufwändige elektronische Aufbereitung ihrer Lehrinhalte nicht leisten. Auch Urheberrechtsfragen seien ein Problem. Um den Mehrwert der Technologie gegenüber dem Buch auszunutzen, müssten Apps, Programme und Portale entwickelt werden. In der Praxis zeige sich dies durch die Einbettung von Videos, Links, Lernzielkontrollen und spielerische Elemente, erklärt Balocco. Mit der Initiative und der Website Learnify.ch wolle Samsung dem entgegenwirken, sagt Kathriner. Samsung startete das Portal kürzlich in der Schweiz. Es soll helfen, Materialien zu digitalisieren und deren Austausch unter den Lehrern zu erleichtern.

Da das Angebot an Apps noch begrenzt ist, kommt es auf die Eigeninitiative von Lehrkräften an. Ein Beispiel hierfür ist Mobile-Pionier Streiff. Er entwickelte kurz nach Einführung des iPads mehrere Apps für seinen Unterricht, die er aber auch anderen Lehrern zur Verfügung stellt. "Ich entwickle etwa solche Apps zu einem in der Schweiz und in Deutschland weit verbreiteten Mathematik-Lehrmittel. Da ich die Apps auf privater Basis produziere, darf ich den Namen dieses Lehrmittels nicht nennen. Anhand dieser Apps kann man spielerisch üben, was an den Prüfungen abgefragt wird", erklärt Streiff seinen didaktischen Ansatz.

Umstellung ist eine Führungsaufgabe

Balocco betont, dass der Verband der Schulleiter Schweiz das mobile Thema zwar zu einem Führungsthema erklärt habe. Dennoch hielten sich die Schulleiter häufig noch zurück und nähmen sich des Themas nicht aktiv an. Wie eine technische Angelegenheit würden sie es delegieren. Dabei seien "beim schulischen ICT-Einsatz durchaus die Kernprozesse einer Schule betroffen, oder sie könnten es sein". Das Thema würde dann häufig an "die eine Lehrkraft" delegiert, die etwas mit mobilen Technologien probieren wolle. Solche engagierten Personen gebe es viele, aber leider würden diese nicht ausreichend gefördert und unterstützt. Manchmal komme es daher vor, dass sie nach einiger Zeit der Schule enttäuscht den Rücken kehrten, berichtet Balocco.

Solothurn zeigt, wie es gehen kann

Insgesamt gesehen sei die Schweiz beim mobilen Lernen noch nicht sehr weit fortgeschritten. Es gebe aber keinen Grund, den Teufel an die Wand zu malen, findet Balocco. Einige Kantone und Schulen machten es vor, wie mobile Technologien in den Schulalltag integriert werden können. Balocco, Streiff und auch Kathriner heben dabei die Vorbildfunktion des Kantons Solothurn hervor.

Der Kanton läutete das mobile Zeitalter mit dem Projekt "myPad" ein. Dieses lief von 2012 bis 2014. Die Schüler mehrerer Projektklassen erhielten ein eigenes iPad für den Schuleinsatz. Das Gerät konnten sie nach der Schule auch mit nach Hause nehmen und privat nutzen. Im Mai dieses Jahres zogen das Departement für Bildung und Kultur des Kantons Bilanz. In einer Mitteilung wertete die Behörde das Projekt als vollen Erfolg. Der Solothuner Bildungs- und Kulturdirektor Remo Ankli schlussfolgerte daraus, dass künftig alle Schüler ein eigenes mobiles Gerät für den Schuleinsatz besitzen sollten. Denn: "Bildung und Schule werden genauso digital durchdekliniert wie alle anderen Gesellschaftsbereiche. Der lange Zeit als stabil geltende Bildungskanon wird durch diese Digitalisierung der Welt herausgefordert. Dies zu erkennen und damit umgehen zu können, darauf sollten wir unsere Schüler vorbereiten", lässt er sich in einer Mitteilung zitieren.

Laut Steiff hat Solothurn den Beweis erbracht, dass sich Tablets für den Einsatz an Schulen eignen. Er vertritt daher die Auffassung, dass sie "definitiv an die Volksschule gehören". Auch Beat Zemp, Zentralpräsident des Dachverbands Lehrerinnen und Lehrer Schweiz, hob die positiven Erfahrungen von Schulen und Pilotklassen hervor. Seiner Meinung nach werde sich der Trend zum Einsatz von mobilen Technologien in den kommenden Jahren verstärken. Schweizer Schulen hätten auch in den vorangegangenen Jahrzehnten gelernt, Medien wie Radio und Fernsehen für den Unterricht einzusetzen. Heute seien es eben Whiteboards, Beamer, Laptops und Tablets. "Diese unterstützen nicht nur das konventionelle schulische Lernen, sondern ermöglichen erstmals auch orts- und zeitunabhängiges kollaboratives Lernen", diese Potenziale gilt es seiner Meinung nach zu nutzen.

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