E-Mail als Auslaufmodell?
Neue Kommunikations- und Kollaborationsformen wie Instant Messaging, Microblogging oder Wikis machen E-Mail zunehmend Konkurrenz. Hat E-Mail nach 20 Jahren den Zenit überschritten? Die Netzwoche hat sich umgehört.
Die wenigsten Menschen sind in ihrer beruflichen Laufbahn davon verschont geblieben: E-Mails, von denen man unnützerweise eine Kopie erhält, lästige Werbeangebote für Produkte, Betrugsversuche mittels Phishing, und Informationen, die im schwarzen Loch namens Posteingang verschwinden.
Mit dem Aufkommen der sozialen Plattformen wie Facebook, Xing oder Twitter haben auch andere Formen der Onlinekommunikation, beispielsweise Instant Messaging, auf breiter Ebene Einzug gehalten und konkurrieren mit der E-Mail.
Technische Herausforderungen
Es ist keine neue Erkenntnis, dass das Bewirtschaften des Posteingangs sehr zeitintensiv sein und sich sowohl auf die Produktivität als auch auf die Arbeitszufriedenheit negativ auswirken kann. Gemäss Stephan Schillerwein, Director of Research von Infocentric Research, ein Forschungs- und Beratungsunternehmen für Informationsmanagement, wird diese Problematik den Unternehmen immer mehr bewusst und auch diesbezüglich die Kostenfrage gestellt.
Bisher beschäftigte sich das Management dabei fast ausschliesslich mit Kosten des technischen Betriebs. Neben den Nachteilen von E-Mail gibt es auch einen entscheidenden Vorteil: Während E-Mails allgemeinen Standards unterliegen, seien die neuen Kommunikationslösungen alles proprietäre Produkte, hält Andreas Reinhard, Geschäftsführer von Cleanmail, fest, ein Unternehmen das unter anderem Spam- und Virenfilter-as&Service anbietet. Deswegen sei es für ihn auch nicht vorstellbar, dass die neuen Kommunikationsmittel einen grossen Durchbruch feiern werden, bevor ein gemeinsamer Standard gefunden worden sei.
Ausserdem sind gemäss Reinhard in der letzten Zeit auch auf Seiten der Software einige Fortschritte gemacht worden: "Heute lassen E-Mail-Clients schon eine wesentlich bessere Strukturierung durch Tags und Filter zu, damit Informationen im Posteingang gefunden werden können."
Neue und alte Gewohnheiten
Die eigenen Bemühungen, der überfluteten Mailbox Herr zu werden, sind lediglich ein Tropfen auf dem heissen Stein, ist Schillerwein überzeugt. Denn das eigentliche Problem sind falsche Gewohnheiten. "Der Posteingang liesse sich sehr gut entlasten, wenn ihm nicht Funktionen aufgebürdet würden, für die er eigentlich nicht gemacht ist", gibt Reinhard zu bedenken.
Michael Rottmann, Principal Consultant beim Webdienstleister Namics, ist der Meinung, dass die Mailbox mittlerweile auch als Wissensspeicher genutzt würde, wodurch der Stressfaktor bezüglich der vollen Mailbox abgenommen habe. Ebenfalls überzeugt ist er, dass die Problematik der überlasteten Mailbox überbewertet werde. Für eine wichtige oder dringliche Anfrage, das sei heute jedem bewusst, muss sowieso der Telefonhörer in die Hand genommen werden, so Rottmann.
Auch wenn sich die Aufregung über volle elektronische Briefkästen gelegt haben sollte, die Nachteile bleiben. Den Schlüssel für eine Lösung sehen die Experten in den geänderten Gewohnheiten. Bisher seien die Arbeitsabläufe noch nicht dem digitalen Arbeitsplatz angepasst worden. Ausserdem: "Auch in grossen Unternehmen kommt es häufig vor, dass den Mitarbeitern Tools zur Verfügung gestellt werden, die sie zwar lernen zu bedienen, aber trotzdem nicht verstehen, welche Rolle die Tools innerhalb des Informationsflusses haben", ergänzt Schillerwein. Auch Reinhard verweist auf ein integriertes Kommunikationskonzept, in dem die Rolle jedes Kommunikationskanals definiert werden muss. Dieses Konzept, so Reinhard, wird im Idealfall mit einer Arbeitsplattform ergänzt, die alle Kanäle zusammenführt.
Neue Nutzer
Die Diskussion über die Zukunft von E-Mails ist zwar nicht neu, doch hat sie mit dem Erfolg der Social Networks zugenommen. Welche Rolle spielen sie und die Digital Natives, die in diesen neuen Königreichen leben? "Die Digital Natives zeigen ein Nutzungsverhalten, das E-Mail überflüssig machen könnte: Der Vorteil, dass bei E-Mail Sender und Empfänger nicht gleichzeitig online sein müssen, spielt keine Rolle mehr, wenn alle ständig online sind", argumentiert Rottmann. Aber unabhängig davon: Bis jetzt gibt es kein Tool, das E-Mail in seinen Funktionen komplett ersetzen kann.
Rechtliche Voraussetzungen
Neben den Stärken und Schwächen von E-Mail gibt es letztlich auch ungeklärte rechtliche Aspekte. Rottmann: "In einigen Unternehmen, insbesondere im Finanzsektor, werden die sozialen Plattformen in der Kommunikation so lange eine Nebenrolle spielen, bis sich entweder die Rechtslage ändert oder die Social Networks ihre Daten in der Schweiz speichern." Ausserdem diene E-Mail in grossen Unternehmen vielfach dazu, um persönliche Kommunikation zu offizialisieren und sich so abzusichern.
Für alle drei Befragten scheint klar, dass E-Mail zwar der Geschäftswelt mittelfristig erhalten bleibt, aber die Bedeutung abnehmen wird. Gut beraten seien Unternehmen, die sich Gedanken zum Wissens- und Informationsmanagement machen, so die Befragten, weil damit nicht nur der Posteingang entlastet wird, sondern Kosten in verschiedenen Bereichen reduziert werden können.