"Wo bleibt die Solidarität?"
Abacus hat zu einem Anlass zum Thema IT-Beschaffungspolitik im Kanton St.Gallen eingeladen. CEO Claudio Hintermann nahm kein Blatt vor den Mund.
Es war ein emotionaler Auftritt, den Abacus-CEO Claudio Hintermann gestern aufs Parkett legte. Am Firmensitz in Wittenbach/St.Gallen referierte der Chef der Softwareschmiede vor Politikern und Medienvertretern. Angekündigt war ein Anlass zum Thema IT-Beschaffungspolitik, doch es ging um weit mehr als das. Hintermann sprach mit entwaffnender Ehrlichkeit über die Folgen der Digitalisierung, über das Wegrationalisieren von ganzen Berufszweigen, über die Zukunft seiner Kinder. Und er prangerte Missstände an, die Abacus das Leben im Kanton St. Gallen schwer machen.
Fehlende Schnittstellen behindern den Wettbewerb
Hintermann kritisierte einmal mehr das Verhalten der Verwaltungsrechenzentrum AG St. Gallen (VRSG), das laut Abacus marktverzerrend ist. Die Vergabepraxis der VRSG sei monopolistisch - und die AG nicht bereit, IT-Aufträge auszuschreiben. Sie behindere so seit Jahren den Wettbewerb.
Martin Riedener, Mitglied der Abacus-Geschäftsleitung, schlug in die gleiche Kerbe. Die VRSG habe ein Monopol auf Steuerlösungen im Kanton. Sie stelle Schnittstellen für Dritt- oder Fremdprodukte nur teuer oder gar nicht zur Verfügung. Abacus rief darum im März 2014 die eidgenössische Wettbewerbskommission (Weko) an - und blitzte ab. Die VRSG müsse Beschaffungen nicht ausschreiben, entschied die Weko. "Es haben sich keine Hinweise auf relevante Wettbewerbsvorteile der VRSG augrund ihrer staatlichen Trägerschaft ergeben", antwortete sie im Juli.
"Wir dürfen nicht einmal offerieren"
Die Weko stellte aber auch Bedingungen: Die Aktionäre müssen sich gegenüber der VRSG wettbewerbsneutral verhalten und ihre Aufträge nach den Regeln des Beschaffungsrecht vergeben. Laut Abacus bedeutet das, dass die Aktionäre der VRSG - also die rund 125 Gemeinden und Schweizer Städte, die hinter der Aktiengesellschaft stehen - ihre IT-Aufträge ausschreiben müssen. Die Realität sei aber anders, so Hinterman am gestrigen Anlass. "Wir dürfen nicht einmal offerieren".
Abacus sei nun gewillt, so lange weiterzuklagen, bis vollständige Transparenz herrsche. Das Unternehmen verlangt darum bei der Weko Einsicht in sämtliche Akten zum Fall VRSG. Abacus fragte zudem 19 Städte und Gemeinden im Kanton an, welche Vergabepraxis bei ihnen angewandt werde. Nur fünf antworteten, und alle mit fast identischem Wortlaut: Man habe die Empfehlung der Weko zur Kenntnis genommen. Geändert habe sich aber gar nichts, sagte Hintermann gestern in Wittenbach.
Privilegien, aber keine Pflichten?
"Welchen Zweck hat eine privatrechtliche Firma, die im Besitz der öffentlichen Hand ist, wenn sie den Markt monopolisiert und die Preise selber festsetzen kann?" fragte der Abacus-Chef. Die VRSG stufe die Verträge hinter ihren IT-Vergaben trotz Öffentlichkeitsgesetz als geheim ein. Sie schalte so einheimische Produzenten aus und schade dem Produktionsstandort St. Gallen. Auch die Ideale der öffentlichen Hand befolge die VRSG nicht. Im Gegenteil: Sie geniesse alle Privilegien, unterliege aber keinen Pflichten. Die VRSG nehme ihre Verantwortung gegenüber dem Wirtschaftsstandort St.Gallen nicht wahr. "Wo bleibt die Solidarität?", fragte Hintermann in den Raum - die Antwort blieb aus.
"Es ist verrückt, dass eine private Firma, die der Öffentlichkeit gehört, nicht sozial sein muss", sagte Hintermann. Im Kontrast dazu stehe die Firma Abacus, die ihren Mitarbeitern gratis Essen abgebe, lokale Einrichtungen wie die Stiftsbibliothek unterstütze und versuche, "für die St.Galler zu denken".
Und da gebe es noch ein weiteres Problem: Die Gemeinden wüssten gar nicht, wie man so eine Ausschreibung mache. Das sei nicht verwunderlich, sagte Hintermann. "Sie machen es seit 30 Jahren nicht - und niemand hilft ihnen dabei".