Wilhelm Tux: "Entscheid schafft positive Effekte"
Die überregionale Interessengruppe Wilhelm Tux, die sich zum Ziel gesetzt hat, den Einsatz von Freier Software in der Schweiz zu fördern hat anlässlich des Entscheids des Bundesgerichts vom 11. März 2011 zum Thema IT-Beschaffung beim Bund eine Analyse des Urteils durchgeführt.
Die elf Firmen, welche die automatische Vergabe von 42 Millionen Steuerfranken an den US-Konzern Microsoft zumindest teilweise in die lokale Wirtschaft umleiten wollten, sind vor dem Bundesgericht gescheitert (Netzwoche berichtete).
Das höchste Gericht äussert sich erwartungsgemäss nicht dazu, ob gleichwertige Alternativen zu MS-Produkten bestehen. Es impliziert jedoch, dass Anbieter die Ebenbürtigkeit ihrer Produkte im Zweifelsfall nachweisen können. Laut Wilhelm Tux ist das grundsätzlich positiv für die einheimische Konkurrenz zu Microsoft und für Anbieter von Freier und Open Source Software (FOSS).
Zwiespalt: Einerseits Bedauern über das Scheitern einheimischer Marktteilnehmer ...
Die in- und ausländischen Firmen wollten die freihändige Vergabe des Bundesamtes für Bauten und Logistik (BBL) nicht akzeptieren. Sie hatten gefordert, solch grosse Vorhaben seien zumindest ordentlich auszuschreiben. Wilhelm Tux Vorstandsmitglied Georg Schulthess, Chef einer der beschwerdeführenden Firmen und SVP-Parlamentarier aus Kreuzlingen, gibt sich dazu enttäuscht: "Als Unternehmung sind wir definitiv Marktteilnehmer und somit enttäuscht vom Entscheid."
Der Bund fördere einerseits Innovation, das einheimische Gewerbe, Arbeit und Bildung. "...Wenn es aber darum geht, den echten freien Wettbewerb spielen zu lassen und sich dadurch diesen Themen zu widmen, lösen sich alle Vorsätze in Luft auf" meint Schulthess.
Die Beschwerdeführenden wollten zudem gleiche Chancen, wie sie dem US-Multi Microsoft zugestanden werden. Das BBL als Einkäufer des Bundes argumentierte, es handle sich bloss um eine Verlängerung von bestehenden Lizenzen. Die Beschwerdeführenden hielten dagegen, da es mit diesem Argument quasi nicht möglich sei, als Anbieter überhaupt jemals evaluiert zu werden.
... andererseits optimistische Aussichten
Laut Analyse von Wilhelm Tux, sei der Entscheid bedauerlich für die unterlegenen Anbieter, dennoch schaffe er auch positive Perspektiven:
- Gemäss Bundesgericht müssen Ausschreibungen nämlich "primär funktional", also produkteneutral sein.
- Ein freihändiges Verfahren ohne Ausschreibung ist nur zulässig, wenn es keine Alternativen gibt.
- Überraschend deutlich öffnet das oberste Gericht eine Chance für Freie Open Source Software (FOSS): Das wirtschaftlich günstigste Angebot gewinnt, auch wenn die Beschaffungsverantwortlichen ein anderes bevorzugen würden.
- Das BBL wollte Beschwerden gegen freihändige Vergaben verunmöglichen. Das Bundesgericht stellte aber klar, eine Vergabestelle müsse gerade auch dann mit einer Beschwerde rechnen, wenn sie glaubt, es gebe keine Produkte-Alternativen.
- Schliesslich: auch freihändige Vergaben müssen veröffentlicht werden, was das BBL gemäss Vorinstanz womöglich nicht immer tat.
Die Beschwerde wurde abgelehnt, weil laut Gericht die Beschwerdeführenden ihren Teil hätten beitragen sollen um nachzuweisen, es gebe taugliche Alternativen. Eine blosse Liste von Software und Referenzen genüge nicht.
Wichtigsten Punkte des Urteils
Ausschreibungen müssen produkteneutral sein
Gemäss Bundesgericht ist die "materiellrechtlich" umstrittene Frage, "ob die Einschränkung des Beschaffungsgegenstands auf Microsoft-Produkte zulässig" sei.
Diese Frage wird durch das Bundesgericht indirekt beantwortet: "Die Beschwerdeführerinnen machen zu Recht geltend, dass die Beschaffungsgegenstände primär funktional umschrieben werden sollten". Die Vorinstanz bejahte dies in ihrem Urteil ausdrücklich.
Allerdings gab es aber keine Ausschreibung. Die Vergabe erfolgte freihändig. Nach Ansicht des Bundesgerichts schränkt sich die Vergabestelle bei einer Freihandvergabe ja gerade auf eine Marke oder ein Produkt ein. Dies darf sie dann, wenn es keine Alternativen gibt. Was auch Sinn macht: Wenn es nur ein Produkt gibt, ist ein aufwändiges Ausschreibungsverfahren unnötig.
Fehlt aber eine Ausschreibung, sind andere Anbieter, die behaupten, ein gleichwertiges Produkt anzubieten, naturgemäss ausgeschlossen. Folgerichtig müssen ausgeschlossene Anbieter Beschwerde einreichen können, wenn sie nachweisen, dass eine Ausschreibung notwendig gewesen wäre. Dieser Nachweis gelingt dann, wenn Konkurrenten ein Produkt anbieten, "das bei rechtmässiger Ausschreibung Beschaffungsgegenstand sein könnte, nicht aber, wer geltend macht, ein davon verschiedenes Produkt anbieten zu wollen."
Das Bundesgericht ebnet mit seiner Entscheidung Open Source/FOSS und anderen Produkten indirekt den Weg in den öffentlichen Beschaffungsmarkt: Nicht nur lässt es Anbietern offen, den Beweis von Alternativen zu erbringen. Wenn dieser Beweis gelingt, verschliesst es der öffentlichen Vergabestelle darüber hinaus die Möglichkeit, künftig ohne Ausschreibung freihändig vergeben zu dürfen.
Chance für Open Source/FOSS: Wirtschaftlich günstigstes Angebot gewinnt
Wenn dereinst eine Ausschreibung nötig wird, sei der Zuschlag dem wirtschaftlich günstigsten Angebot zu erteilen, sagt das höchste Gericht. Im offenen oder selektiven Verfahren werde nicht geprüft, welche Offerte die denkbar beste sei, sondern "es werden nur die konkret vorliegenden Offerten darauf hin geprüft, welche davon die günstigste ist".
Grundsätzlich kann das als Chance für FOSS-Anbieter gewertet werden. Denn diese beanspruchen oft, wirtschaftlich günstiger zu sein als Anbieter von überteuerten proprietären Lösungen. Der Nachweis dürfte zwar bei einer gross angelegten Umstellung von Arbeitsplätzen der Bundesverwaltung schwierig sein. Im Einzelfall und mit dem Ziel, kontinuierlich den IT-Produkte-Mix von Monokultur weg zu bewegen, müsste FOSS mit zunehmendem Trend aber als günstigste Variante hervorgehen.
Auch freihändige Vergaben müssen veröffentlicht werden
Das BBL wollte den Firmen kein schutzwürdiges Interesse einräumen. Die beschwerdeführenden Firmen hätten gar keine realistischen Chancen auf den Abschluss eines Beschaffungsvertrags, glaubte das BBL. Das Bundesgericht sah dies aber anders. Der Vertrag mit Microsoft könne zwar vorab abgeschlossen werden. Falls aber die Beschwerde Erfolg gehabt hätte, dann wäre auch nachträglich eine Rechtsverletzung mit möglicher Schadenersatzpflicht des BBL entstanden.
Während das Bundesverwaltungsgericht als Vorinstanz schon mutmasste, es sei "nicht auszuschliessen, dass frühere Informatikaufträge des Bundes nicht nach den Bestimmungen des BöB ausgeschrieben und [...] beschafft wurden", lässt das Bundesgericht weiterhin keinen Zweifel daran: auch freihändige Vergaben müssen veröffentlicht werden.
Es gesteht Einsprechern - hier Konkurrenten von Microsoft - damit ausdrücklich ein Recht zu, auch gegen solche freihändige Vergaben einzusprechen: "Diese Veröffentlichung würde kaum Sinn machen, wenn sie nicht auch in Hinblick auf eine mögliche Anfechtung erfolgte."
Wettbewerb bei der IT-Beschaffung - eine Illusion!
Wilhelm Tux fragte sich bei der Analyse auch, ob beim Bund nun bald Wettbewerb bei der IT-Beschaffung herrschen werde?
Angenommen, bei einem ähnlichen Fall würden Apple und weitere Anbieter die vom Bundesgericht stipulierten Nachweise erbringen. Das zuständige Bundesamt BBL könnte wiederum den gerichtlichen Weg der Diskussion vorziehen. Nach dem relativ klaren Verdikt aus Lausanne diesmal wohl mit zweifelhaftem Erfolg.
Taktisch geschickter wäre wohl, das BBL würde einer Ausschreibung grundsätzlich zustimmen. Es könnte sogar versuchen, potenziellen Anbietern ein vorläufiges Stillhalten schmackhaft zu machen. Die Gerichte räumen den Vergabestellen richtigerweise die Entscheidung bei einer Beschaffung ein. Schwierig wird es, wenn Anbieter eine "funktional als auch wirtschaftlich [...] angemessene Alternative" anbieten. Dann müssten Einkäufer gemäss Bundesgericht das günstigste Angebot beschaffen.
Letztlich eine politisch-gesellschaftliche Frage
Wilhelm Tux ist überzeugt, dass die Chancengleichheit von inländischen und von FOSS-Anbietern gegenüber multinationalen Konzernen auf politischem und gesellschaftlichem Weg errungen werden muss.
Schulthess meint nach seiner Erfahrung mit dem Gang durch die Instanzen, dass nicht der Entscheid des Bundesgerichtes unbefriedigend sei, auch wenn er aus formellen Gründen diesmal negativ ausfiel. "Zuvor konnte nicht einmal die Sache an sich diskutiert werden. Mit dem Hinweis, wir als Firmen seien nicht berechtigt, Einsprache zu erheben, waren wir am Ende der Diskussion angelangt. Zumindest hier hat uns das Bundesgericht Recht gegeben."
In der Tat eröffnet das oberste Schweizer Gericht jetzt die Möglichkeit aufzuzeigen, dass es angemessene Alternativen gibt. Ist dieser Nachweis einmal erbracht, wird die Chance von Produkte-Diskriminierungen geringer. Wie bei allen technischen Märkten, die sich rasant entwickeln, ist das nur eine Frage der Zeit.