Dürfen Print-Medien Tweets abdrucken?
"Welt Kompakt" hat die Rubrik "Tweets des Tages" eingestellt. Diese habe zu Beschwerden geführt, so die Zeitung, und die Rechtslage sei unklar. Wie sieht es in der Schweiz aus? Die Rechtsanwältin Lilian Snaidero Kriesi beantwortet im Gespräch mit der Netzwoche offene Fragen.
"Eine Rubrik mit ganz besonderem Charme gehört nun der Vergangenheit an. Am Mittwoch erschienen auf der Seite 1 von "Welt Kompakt" (einer Zeitung des Medienkonzerns Axel Springer, zu dem auch "Welt Online" gehört) zum letzten Mal die Tweets des Tages."
Mit diesen Worten hat "Welt Kompakt" am 1. März seine Rubrik "Tweets des Tages" eingestellt. Die Zeitung zitierte bislang täglich auf der Titelseite Meldungen von Twitter. Dies habe immer wieder zu Beschwerden der Autoren geführt. "Sie wollten nicht, dass ihre Tweets in dieser Rubrik unter Nennung ihres Twitter-Namens erscheinen, einige drohten auch mit rechtlichen Schritten", schreibt die Welt. Da die Rechtslage tatsächlich unklar sei, werde die Rubrik eingestellt.
"Welt Kompakt" sei es nicht möglich, für jeden Tweet eine Erlaubnis einzuholen. Die Zeitung suche die Beiträge oft erst kurz vor Redaktionsschluss aus. "Hier noch zusätzliche Listen einzuführen, wer erwähnt werden darf, oder auf Zustimmungen zu warten, erscheint nicht realistisch", wird die Einstellung der Twitter-Rubrik begründet.
"Öffentlichkeit nicht mit Carte Blanche gleichsetzen"
Wie reagieren Schweizer Zeitungen auf den Entscheid? Patrik Müller, Chefredaktor von "Sonntag", auf Twitter: "Unsere Tweets der Woche gibts weiterhin. Hat sich noch keiner beklagt." Thomas Benkö, Blattmacher bei "Blick am Abend", schloss sich ihm umgehend an.
Wie aber sieht die Situation in der Schweiz aus? Im Gespräch mit der Netzwoche erklärt die auf Internet- und Datenschutzrecht spezialisierte Rechtsanwältin Lilian Snaidero Kriesi die Rechtslage.
Frau Snaidero, gibt es eine Rechtsprechung zu Twitter in der Schweiz?
Mir sind bis dato keine Gerichtsurteile im Zusammenhang mit Twitter bekannt.
Sind Tweets überhaupt urheberrechtlich geschützt?
Um diese Frage beantworten zu können, ist zunächst zu prüfen, ob Tweets ein Werk im urheberrechtlichen Sinne darstellen. Dies trifft nach dem schweizerischen Urheberrechtsgesetz (URG) zu, falls drei Merkmale erfüllt sind:
(1) Es muss sich um einen sprachlichen, anschaulichen, hörbaren oder sonstigen Inhalt des Vorstellungs- und Gemütsleben handeln;
(2) Dieser Inhalt muss mittels Sprache, Bild, Ton etc. zum Ausdruck gebracht werden;
(3) Schliesslich bedarf der Inhalt eines individuellen Charakters. Dabei spielt aber keine Rolle, ob die Individualität durch den Inhalt, die Form oder durch beides zum Ausdruck kommt.
Erfüllen Beiträge auf Twitter diese Anforderungen?
Die ersten zwei Merkmale sind erfüllt. Offen bleibt aber die Frage, ob Tweets dem Kriterium der Individualität genügen. Wie in der Vorfrage bereits angeführt, wurde diese Frage in der Schweiz noch nie gerichtlich entschieden.
Trotzdem: Ein Abdruck eines Tweets ist nichts anderes als ein Retweet. Online zulässig, im Print aber nicht?
Meiner Ansicht nach hängt die Frage, ob retweetet werden darf, nicht davon ab, ob dies online oder in der Printversion erfolgt. Liegt ein urheberrechtlich geschütztes Werk vor, hat man sich an die Zitierregeln zu halten. Das heisst, Zitate müssen einen bestimmten Zitatzweck verfolgen.
Was heisst das konkret?
Gemäss URG-Kommentar ist das Zitieren demnach nur zulässig, wenn es "der Erläuterung, als Hinweis oder zur Veranschaulichung (als "Belegsfunktion") dient. Unzulässig ist ein Zitat dann, wenn es dem reinen Selbstzweck oder überwiegend der schmückenden Illustration dient. Erforderlich ist somit immer ein inhaltlicher Bezug zwischen zitiertem Werk(teil) und der eigenen Darstellung. Ausserdem muss das Zitat gegenüber der eigenen Darstellung von untergeordneter Bedeutung sein."
Wie sieht es im Fall "Welt Kompakt" aus?
Die Tweet Zitate von Welt Kompakt dienen meines Erachtens lediglich dem Selbstzweck. Ginge man davon aus, dass Tweets in der Schweiz urheberrechtlich geschützt wären, wären diese Zitate urheberrechtlich unzulässig.
Die meisten Twitter-Profile stehen öffentlich im Netz. Auch die Tweets sind öffentlich einsehbar. Braucht es trotzdem die Einwilligung des Autors?
Öffentlichkeit darf grundsätzlich nicht mit Carte Blanche gleichgesetzt werden. Damit meine ich, dass öffentlich zugängliche Informationen, Bilder etc. nicht ohne weiteres und bedenkenlos weiterverbreitet werden dürfen. Im konkreten Fall dient das Zitieren von Tweets wie bereits erwähnt dem Selbstzweck und wird zudem aus seinem Zusammenhang gerissen. Ich bin deshalb der Ansicht, dass es grundsätzlich der vorgängigen Einwilligung des Autors bedarf.
Hätte eine Klage gegen eine Schweizer Zeitung denn Chance auf Erfolg?
Unbeantwortet ist die Frage, ob Tweets urheberrechtlich geschützt sind. Falls ein Richter diese Frage bejahen würde, stünden die Chancen eines Twitteres vor Gericht zu obsiegen meines Erachtens relativ gut.
Anmerkung der Redaktion: Das Interview wurde schriftlich geführt.
Quelle: URG Kommentar, Rehbinder/Viganò, 3. Aufl., Art. 25, 28 und 68.