"Letztlich geht es doch vielen nur darum, sich die Gratisnutzung zu sichern"
ACTA und Megaupload bewegen die Gemüter der Internetcommunity. Besonders schlecht weg in der Diskussion kommen auch die Rechteverwerter. Roger Chevallaz, Präsident von Audiovision Schweiz, bezieht im Interview Stellung.
Herr Chevallaz, die Internet-Community läuft Sturm gegen ACTA. Wie nehmen Sie das Thema wahr?
Ich bin etwas erstaunt darüber, dass ACTA in der Schweiz überhaupt ein Thema geworden ist. Ich hatte den Eindruck, dass das Institut für Geistiges Eigentum geradezu mustergültig - und unüblich für Staatsvertragsgeschäfte - während dem Verhandlungsprozess informiert hat.
ACTA-kritische Organisationen, wie beispielsweise die Piratenpartei oder die Erklärung von Bern waren bei den Informationsveranstaltungen auch dabei gewesen. Zudem ist das Abkommen inhaltlich gelinde gesagt beschämend zahnlos herausgekommen.
Die zwingenden Anforderungen werden mit der aktuellen Gesetzgebung bereits erfüllt und inwiefern die Schweiz die Kann-Formulierungen umsetzen will, hängt vom gesetzgeberischen Prozess ab. Positiv an der jetzigen Diskussion werte ich, dass damit endlich einmal eine Debatte über das Urheberrecht angestossen wurde. Eine Revision ist dringend nötig, aber eben gerade nicht so, wie die Piratenpartei es möchte.
Wieso muss das Urheberrecht gerade jetzt angepasst werden?
Machen wir einen Vergleich mit dem Strassenverkehr, einem Gebiet in dem sich die Technik und deren Nutzung in den letzten Jahrzehnten radikal verändert hat. Das Strassennetz, dessen Nutzung und der Automobilbau ändern sich unaufhörlich. Deshalb wird das Strassenverkehrsrecht, auch laufend revidiert und der Bund verabschiedet dafür ganze Programme wie "via sicura".
Ganz anders ist die Situation beim Urheberrecht: Lange Zeit gab es wenig technische Entwicklungen, weshalb es auch nicht unmittelbaren Handlungsbedarf beim Urheberrecht gab. Mit dem Internet änderten und ändern sich Distributionsmöglichkeiten und Nutzung rasant.
Der Gesetzgeber vermochte mit der Entwicklung nicht mehr Schritt zu halten; die letzte Urheberrechtsrevision, die seit dem 1. Juli 2008 in Kraft ist, kam zu spät und schützt Urheberinnen und Urheber im heutigen Internet-Umfeld nicht genügend.
Was wären denn ihre Kernanliegen?
Das Hauptthema ist der Privatgebrauch, der sich deutlich verändert hat, im Vergleich zu der Zeit, wo der Artikel ins Gesetz aufgenommen wurde. Der Gesetzgeber stellte sich den Privatgebrauch etwa so vor: Man nehme ein Spulentonband, stelle dieses neben das Radio, schalte das Mikrofon ein und nehme eine Sendung auf, zum Beispiel die Hitparade. Das Resultat ist eine Kopie im wahrsten Sinne des Wortes und diese ist klar vom Original zu unterscheiden.
In der heutigen digitalen Welt kann man jedoch nicht mehr von einer Kopie sprechen, weil diese qualitativ gleich gut ist wie das Original. Es handelt sich um identische Vervielfältigungen, also um Klone. Im Zusammenhang mit sozialen Netzwerken wird oft auch der Begriff "Teilen" bemüht. Dazu möchte ich folgendes anmerken: Der Begriff Teilen impliziert bei materiellen Gütern, dass etwas, das ganz ist, aufgeteilt wird, und dann nicht mehr das ganze übrigbleibt oder dass eine nicht zeitgleiche Nutzung erfolgt.
In der immateriellen Welt bleibt nach dem Teilen das ganze Stück übrig. Man müsste da viel mehr von Mitteilen sprechen, also von Vervielfältigen. Ich kann etwas teilen, was mir gehört, aber wenn ich eine fremde Idee vervielfältigen will, sollte ich doch zuerst die Urheberin oder den Urheber um Erlaubnis fragen.
Sie sagten, dass der Gesetzgeber nicht mehr Schritt halten konnte mit der technischen Entwicklung. Weshalb ist das Thema noch nicht angekommen bei den Politikern?
Der Bereich Internet steht bei vielen politischen Akteuren sicher nicht zuoberst auf ihrer Prioritätenliste. Allerdings ist es nicht generell so, dass nicht gehandelt würde. Zum Beispiel beim Thema Cybercrime hat die Politik viel rascher reagiert. Sie hat, Stichwort BÜPF und VÜPF, Gesetzesrevisionen angestossen und Verordnungen erlassen.
Ein weiteres Thema ist die Killerspiel-Debatte, wo es verschiedene parlamentarische Vorstösse gab. Daraufhin hat der Bundesrat mehrere Millionen Franken bereitgestellt, um ein Medienkompetenzprogramm zu initiieren. Bei diesen beiden Themen ist es so, dass die Politik die Volksmeinung tendenziell hinter sich glaubt.
Anders ist es beim Urheberrecht: Hier merkten die Politiker, dass sich eine breite Bevölkerungsschicht daran gewöhnt hat, Musik, Film und Literatur im Internet gratis konsumieren zu können.
Das heisst, dass sich unbeliebt machen würde, wer eine Gesetzesverschärfung anstossen möchte?
Das ist wohl die Befürchtung vieler Politiker. Sie scheuen sich, dem Gratis-Konsumenten zu erklären, dass es so nicht mehr weiter gehen kann. Letztlich geht es bei den Protesten gegen ACTA doch vielen nur darum, sich die Gratisnutzung, die de facto da ist, zu sichern.
Weil man das nicht so plump sagen kann, bemüht man grosse Begriffe aus dem Grundrechtskanon, wie die Informationsfreiheit oder den Schutz der Privatsphäre. Selbstverständlich gibt es diese Grundrechte! Aber die Forderung "Informationsfreiheit jetzt, schafft das Urheberrecht ab!" ist ein Kurzschluss.
Wie würden Sie denn vorgehen? Würde mit einer schärferen Gesetzgebung unter Umständen nicht eine grosse Bevölkerungsschicht kriminalisiert?
Das Hauptproblem ist der Sanktionsmechanismus, der dem Unrechtsgehalt der Tat nicht mehr gerecht wird. Wenn man gegen einen 14-Jährigen ein Strafverfahren mit dem ganzen Drumherum eröffnet, weil dieser in einer Tauschbörse ein, zwei Filme herauflädt, dann ist das tatsächlich "mit Kanonen auf Spatzen geschossen".
Es wäre viel pragmatischer, wenn man den Eltern des Teenagers einen eingeschriebenen Brief schicken würde und darin auflisten würde, was auf dem betreffenden Internetanschluss alles passiert, inklusive dem Hinweis auf den Gesetzesverstoss. Das wäre schon einmal ein Anfang.
Das Urheberrecht müsste laut einer der Forderungen der Piratenpartei so geändert werden, dass ausschliesslich die gewerbliche Nutzung und das Vervielfältigen geschützter Werke reguliert werden müsste. Kopien zu teilen oder Werke für den gemeinnützigen Gebrauch anderweitig zu verbreiten oder zu nutzen, dürfe niemals illegal sein, da solch ein fairer Gebrauch der ganzen Gesellschaft zu Gute komme. Was sagen Sie zu dieser Forderung?
Die Piratenpartei verschliesst die Augen davor, was wirklich abgeht. Ab wann ist denn im Internet etwas eine gewerbliche Nutzung? Wer Musik oder Filme gegen Bezahlung anbietet, handelt wohl gewerblich, wer das gleiche Angebot mit Freunden "teilt" und diese um eine kleine Spende für seine tolle Idee bittet, wäre dann wahrscheinlich gemeinnützig tätig.
Und wohl auch der derjenige, der einen rascheren Download der "gemeinnützig geteilten Files" gegen Bezahlung anbietet. Das Motiv ist meines Erachtens klar: Nicht kaufen, sondern klauen. Ein Pirat kauft nicht, er raubt. Und das ist meines Erachtens durchaus ein gewerbliches Verhalten.
Laut heutiger Gesetzgebung darf ich eine Privatkopie für mein näheres Umfeld anfertigen. Wie definieren Sie das nähere Umfeld im Zeitalter von Facebook-Freunden und Twitter-Followern?
Das Gesetz definiert keine Anzahl an Freunden, sondern schaut auf die Beziehungsqualität, es verlangt eine enge Verbundenheit. Diese Bestimmung war in der physischen Welt noch relativ leicht anwendbar. Sie ist aber in der digitalen Welt vielleicht nicht mehr so leicht verständlich, weil sich viele ihren Facebook-Freunden auch sehr eng verbunden fühlen. Sie können beispielsweise gemeinsam mit ein paar eng verbundenen Freunden einen Film zuhause anschauen. Kaum jemand hätte in seiner Wohnung aber genügend Platz, um all seine Facebook-Freunde einzuladen.
In der Schweiz ist der reine Download legal, nur der Upload illegal. Ich nehme an, dass Sie den Download verbieten möchten?
Nein, es geht nicht darum den Download zu verbieten. Es gilt zu unterscheiden zwischen Download aus legaler und illegaler Quelle. Die Gegner dieser Unterscheidung behaupten, der Nutzer würde sich in einem rechtlichen Graubereich wieder finden. Dieser Meinung bin ich nicht, denn der Nutzer kann sehr wohl beurteilen, ob ein Angebot legal ist oder nicht. Wenn auf der offiziellen Website von Coca Cola ein Musikclip zum Download bereitsteht, darf er davon ausgehen, dass das Unternehmen die Rechte abgeklärt hat.
Wenn der Konsument hingegen ein Portal ansteuert, das keine offenen und überprüfbaren Angaben zu den Anbietern enthält, dann muss er davon ausgehen, dass es sich um einen Marktplatz von digitalen Hehlern handelt. Dieser Nutzer ist offenbar bereit, durch einen Download von einer illegalen Vortat, dem illegalen Upload, zu profitieren, und ein solcher Trittbrettfahrer verdient meines Erachtens keinen Schutz.
Kürzlich wurde das Filesharing-Portals Megaupload geschlossen. Den Behörden gelang ein Schlag gegen illegales Geschäftsgebaren im Netz. Eine Firma in der Schweiz, Rapidshare, verhält sich scheinbar etwas gesetzeskonformer. Wie beurteilen Sie diesen Fall? Müsste man Rapidshare verbieten?
Rapidshare verfolgt ein Geschäftsmodell, das meines Erachtens stark darauf aufbaut, dass die Nutzer urheberrechtlich geschützte Inhalte heraufladen und anderen zur Verfügung stellen. Früher belohnte Rapidshare diejenigen Nutzer sogar noch, die Inhalte hochluden, die besonders oft heruntergeladen wurde.
Damit ist für mich klar, dass Rapidshare nicht unbedingt darauf abzielt, dass Nutzer ihre Ferienfotos hochladen. Das Unternehmen hat allerdings erkannt, dass das so nicht mehr geht und hat ein sogenanntes Notice-and-Takedown-Verfahren eingerichtet. Zudem haben sie auch Leute angestellt, die sich um die Einhaltung dieser Regeln kümmern. Meines Erachtens ist das aber zuwenig effektiv. Deshalb müsste dieses Angebot in seiner heutigen Form gestoppt werden.
Wo sehen Sie den Unterschied zu Youtube? Macht Youtube genug?
Ich sage es mal allgemein: Wer neue technische Möglichkeiten für den Medienkonsum anbietet, muss die Verantwortung dafür tragen, dass alles mit rechten Dingen zu und her geht. Der Betreiber muss beispielsweise ein System installieren, das Dateien herausfiltert, die illegal dort eingestellt werden. Das Problem ist, dass damit die meisten Leute sofort einverstanden sind, wenn es um Kinderpornografie oder Rassismus geht. Das Verständnis hört dann allerdings dort auf, wo man selbst auch ein bisschen profitieren könnte.
Erhebungen bestätigen, dass Leute heute nicht weniger für Kultur ausgeben. Anstatt für CDs, so wie früher, geben sie es heute verstärkt für Konzerte aus. Ist es nicht so, dass sich die Musikbranche eher neue Erlösmodelle ausdenken sollte, anstatt auf die Durchsetzung der Rechtsordnung zu pochen?
Tatsächlich gibt es immer mehr Konzerte. Das Kulturleben funktioniert. Das ist erfreulich. Und wenn man sich die Budgets anschaut, dann ist klar, dass das Geld tatsächlich auch für Konzerte ausgegeben wird.
Doch der grösste Teil des Budgets für Kultur fliesst in neue technische Geräte. Nach zwei Jahren ist ein Gerät alt, nach vier Jahren uralt und man kauft sich eben regelmässig ein neues Gerät. Weil die technische Aufrüstung aber so viel kostet, will man nun beim Content sparen; er soll gratis sein. Die Hardwarekonzerne verdienen, die Kreativen verarmen.
Wie beurteilen Sie die Option, dass Firmen wie Rapidshare, die ein funktionierendes Distributionsmodell haben, und die Musikbranche, zu Partnern werden könnten? Gibt es derartige Bestrebungen?
Distributionsmodelle à la Rapidshare sind nicht mehr so toll, wenn Inhalte dort etwas kosten. Es ist Sache der potenziellen Reseller auf die Rechteinhaber zuzugehen und mit ihnen zu verhandeln. Gerade das Modell iTunes ist ein hervorragendes Beispiel dafür, dass es Möglichkeiten gibt, in Zusammenarbeit mit den Rechteinhabern attraktive Angebote für die Distribution von Musik und Filmen zu entwickeln. Und es gibt immer mehr legale Anbieter. Das ist erfreulich.
Wenn ein Film in den USA herauskommt, sehen viele Menschen in der Schweiz nicht ein, weshalb sie Wochen oder gar Monate darauf warten sollten. Sie laden sich deshalb den Film dann möglicherweise im Internet herunter. Um dem entgegen zu wirken, könnte man zum Beispiel weltweit einheitliche Veröffentlichungsdaten einführen. Wie realistisch ist dieses Szenario?
Es ist klar, dass die Distribution über das Internet heute viel einfacher geworden ist. Der Punkt ist allerdings, dass die weltweite Vermarktung eines Produktes auch im Internet sehr viel Geld kostet, noch bevor ein Dollar an Einnahmen generiert ist. Für die allermeisten Rechteinhaber ist eine gleichzeitige globale Vermarktung gar nicht realistisch.
Nehmen wir das Beispiel eines französischen Filmproduzenten: Dieser muss zuerst im Heimmarkt Geld einnehmen, um in Marketingaktivitäten in anderen Ländern investieren zu können. Oder er muss zuerst im Heimmarkt beweisen, dass der Film funktioniert, damit dann in Deutschland jemand die Rechte kauft und eine deutsche Synchronversion produziert. Das kostet Geld. Deshalb will der deutsche Rechteinhaber ein exklusives Vertriebsrecht, sonst tätigt er die Investition nicht.
Dazu kommt, dass es im Filmbereich nicht wirklich eine Garantie gibt, dass das Produkt kommerziell funktioniert.
Dafür gibt es ein gutes Beispiel: Ich weiss von einem erfahrenen Verleiher in der Schweiz, der den Film "Les Intouchables" nicht kaufen wollte! Es gibt im Filmbereich nur ganz wenige Produkte, wo man mit Sicherheit sagen kann, dass sie funktionieren. Zum Beispiel Marken wie James Bond.
Schlussfrage: Zuletzt wurde die Umsetzung von ACTA etwas gebremst. Was erwarten Sie, wie es jetzt weiter geht?
Auf internationaler Ebene muss jetzt das Urteil des europäischen Gerichtshofs abgewartet werden. In der Schweiz gehe ich davon aus, dass bald eine Vernehmlassung eröffnet wird.
Ich würde es begrüssen, wenn die Schweiz ACTA unterschreiben würde. Aber ich werde mit Sicherheit keine Kampagne für ACTA lancieren. Viel mehr setze ich mich prinzipiell für einen verstärkten Schutz der Urheberinnen und Urheber ein.