Berufswandel in der IT: Düstere Zukunft für Quereinsteiger
Neue Trends dynamisieren Märkte und verändern Berufe. IT-Fachkräfte müssen sich an den Bedürfnissen des Business orientieren, doch auch spezifische Kenntnisse sind gefragt. Für Quereinsteiger und Generalisten bleibt wenig Platz.
Bis 2020 werden in der Schweiz rund 25 000 IT-Fachkräfte fehlen, so die Ende 2012 gestellte Prognose der vieldiskutierten Studie "ICT-Fachkräftesituation. Bildungsprognose 2020 ". Mit der Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative könnte sich das Problem des Fachkräftemangels zusätzlich verschärfen. Angesichts der grossen Dynamik der Informatik und des wachsenden Digitalisierungstrends in Unternehmen stellt sich aber auch die Frage, ob 2020 nicht nur genügend, sondern auch die tatsächlich nachgefragten Fachkräfte vorhanden sein werden.
Megatrends wie Cloud Computing, Big Data, Mobility und Security haben die Bereitstellungsmodi der IT stark verändert. Anwender kommen immer öfter in den Genuss von automatisierten und skalierbaren Lösungen, um deren technischen Unterhalt sie sich nicht kümmern müssen, die sie aber präzise auf ihre jeweiligen Bedürfnisse einstellen können. Diese neuen Lösungen erwecken den Eindruck, die IT hätte sich ihrer Komplexität entledigt und könne sich nun ohne Wenn und Aber dem Business unterordnen. Tatsächlich aber steigen mit den zusätzlichen Anforderungen an die IT auch die Anforderungen an die IT-Fachkräfte, und dies sowohl in technischer als auch in betriebswirtschaftlicher Hinsicht. Dadurch verändern sich auch die im Markt nachgefragten Profile, was sich wiederum – manchmal erst mit Verzögerung – auf die Berufsbilder und Ausbildungsschwerpunkte auswirkt.
Berufsbilder im Wandel
Einen wichtigen Anhaltspunkt für den Wandel der Berufsbilder liefert das seit 1986 regelmässig erscheinende Buch "Berufe der ICT ". In der aktuellen 8. Ausgabe von 2013 schieden im Vergleich zur 7. Ausgabe von 2009 elf Berufsbilder aus, das entspricht knapp einem Viertel aller vormals gelisteten Berufe. Darunter ist der ICT-Auditor, der ICT-Kundenberater, der ICT-Trainer, der RZ-Planer, der Netzwerkarchitekt, der ICT-Benutzer- Supporter, der Business-Engineer und der Businessarchitekt.
Wie die Autoren des Buches schreiben, sind für das Weiterführen einer Berufsbeschreibung unter anderem der Bedürfnisnachweis durch die Wirtschaft, die Entwicklungen im Berufsfeld der ICT und die Qualifikationsprofile im Ausbildungsbereich entscheidend. Damit scheiden also jene Berufsbilder aus, die mit aktuellen Entwicklungen nicht Schritt halten, kurz gesagt veraltet sind. Neu dazu kamen hingegen der ICT-Sourcing-Manager, der ICT-Requirements-Engineer, der Projektmanagement- Officer, der Prozessmanager, der Unternehmensorganisator und der Organisationsmanager.
Fokus auf das Business
Die meisten der neu geschaffenen Berufsbilder sind sogenannte Schnittstellenfunktionen zwischen IT und Business. So umfasst das Aufgabenspektrum des ICT-Requirements-Engineers das Analysieren, Konsolidieren und Kommunizieren der Bedürfnisse und Erwartungen von Auftraggeber an ICT-Lösungen, beim Prozessmanager das Identifizieren und Kommunizieren der Schwachstellen in Businessprozessen und Organisationsstrukturen und beim Unternehmensorganisator das Gestalten von betrieblichen Prozessen nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen.
Gemäss Jörg Aebischer, Geschäftsführer von ICT-Berufsbildung Schweiz, lässt sich dieser Schwerpunkt damit erklären, dass IT immer stärker als Mittel zur Steigerung des Businesswerts herangezogen wird: "Der Beruf des Informatikers hat sich dahingehend gewandelt, dass es nicht mehr nur darum geht, eine Applikation programmieren zu können, egal, ob sie jemand gebrauchen kann oder nicht. Heute müssen Informatiker das Kundenbedürfnis verstehen und mit dem Kunden kommunizieren können. Das Nerd- Image des Informatikers ist mit den aktuellen Anforderungen nicht mehr vereinbar." Ähnlich sieht es Olaf Stern, Studiengang-Leiter Informatik an der School of Engineering der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW): "Traditionell schlossen sich Informatiker in Rechenzentren ein, warteten Geräte, und niemand verstand, was sie taten. Heute erwartet man von ihnen, dass sie die Businessprozesse unterstützen und zusammen mit dem Kunden Systemlösungen finden. Der Informatiker ist zum Dolmetscher von Businessanforderungen in Informatiklösungen geworden."
Technologische Trends prägen IT-Berufe
Auch der Einfluss verschiedener technologischer Trends lässt sich bei den neuen ICT-Berufsbildern klar nachweisen. Jörg Aebischer zufolge zeigt sich die wachsende Bedeutung des Cloud Computing nicht zuletzt am Beispiel des ICT-Sourcing- Managers: "Der ICTSourcing- Manager ist verantwortlich für den Einkauf und die Beschaffung rund um die ICT. In dieser Funktion beurteilt er sämtliche Fragen rund um die Sourcing-Strategie des Unternehmens und entscheidet auch, ob das Unternehmen in die Cloud gehen soll und wenn ja, in welche."
Für Sascha Meier, Field CTO Switzerland Specialist Presales Manager bei EMC, erzeugen nicht nur die verschiedenen Cloud-Angebote neue Berufsprofile, sondern auch die für das Cloud Computing signifikante Konvergenz der Bereiche Storage, Data Protection, Netzwerk, Server und dem Cloud Framework: "Es werden zum einen vermehrt Fachkräfte gesucht, die als Cloud-Architekten in der Lage sind, Infrastructure-as-a-Service-Lösungen zu erarbeiten und die Architektur zu definieren und zum anderen Cloud-Administratoren, die anschliessend in der Lage sind, den Betrieb zu übernehmen."
Auch Gustavo Alonso, Professor und Studiendelegierter des Informatik-Departements der ETH Zürich, sieht Cloud Computing als berufsprägenden Trend und die Verwaltung von grossen IT-Infrastrukturen als einen der wichtigen sich neu entwickelnden IT-Berufszweige: "Im Gegensatz zur Verwaltung von kleinen Infrastrukturen erfordert dieses Spezialgebiet nicht nur ein Verständnis der technischen Systeme. Verwalter von grossen IT-Infrastrukturen müssen auch über gründliche und vielseitige Fachkenntnisse verfügen, wie zum Beispiel von Energieverbrauch, Liegenschaftsverwaltung und Kostenmanagement."
Gesucht: Spezialisierte Generalisten
Ein anderes Berufsprofil, das gemäss Alonso auffallend im Kommen ist und gleichfalls durch einen Megatrend ausgelöst wurde, ist jenes des Data Engineer. Wie Alonso erklärt, haben die riesigen verfügbaren Datenmengen und die Technologien, mit denen sie nun auch verarbeitet werden können, das neue Jobbild hervorgebracht: "Ein Data Engineer benötigt neben all den traditionellen IT-Fähigkeiten auch Kenntnisse der Statistik und der Datenverarbeitung. " Doch auch im Bereich der Embedded Systems und der Programmierung von Kleingeräten sieht Alonso eine steigende Nachfrage nach spezialisierten Fachkräften. Im Gegensatz zum herkömmlichen Programmierer müssen diese Alonso zufolge unter erschwerten Bedingungen arbeiten. Zum einen bestehe ein Echtzeitanspruch, dann seien die erwünschten Ergebnisse aufgrund der Vorgaben beim Energieverbrauch, dem begrenzten Datenspeicher und der geringen Verarbeitungskapazität schwieriger zu erzielen. Schliesslich seien die Anforderungen an die Programmierung von Kleingeräten deutlich kundenspezifischer und damit aufwändiger als jene an Programmierer von traditionellen Systemen.
Alonso prognostiziert, dass die gewöhnlichen Programmierer in den nächsten Jahren allmählich von Programmierern, die spezielle Kenntnisse von eingebetteten Systemen, von bestimmten Plattformen oder Energiemanagement mitbringen, verdrängt werden. Auch Aebischer geht davon aus, dass IT-Generalisten künftig weniger nachgefragt werden: "Der IT-Generalist wechselt dann vielleicht auf die Managementebene, wo Personen gefragt sind, die den Überblick über die verschiedenen Bereiche haben."
Dennoch werden Informatiker weiterhin auch über breite IT-Kenntnisse verfügen müssen. Wie Stern erklärt, ist das Studium an der ZHAW so aufgebaut, dass die Studenten zunächst eine fundierte, aufeinander abgestimmte Grundausbildung vermittelt bekommen, ehe sie sich nach zwei Jahren im Fachstudium individuell spezialisieren. Dieser Aufbau sei darin begründet, dass kein Teilgebiet der Informatik losgelöst von den anderen bearbeitet werden könne.
Schlechte Aussichten für Quereinsteiger
Mit den steigenden Anforderungen an den Informatiker sinken die Chancen für Quereinsteiger, sich im Beruf ohne solide Ausbildung zu behaupten. Gemäss Alonso werden es Quereinsteiger in Zukunft nicht nur aufgrund der stärkeren Spezialisierung immer schwerer haben, sondern auch weil immer mehr Effizienz von den Fachkräften verlangt wird. Bereits ausgebildete Informatiker würden hingegen ohne allzu viel Mühe fehlende Kenntnisse im Bereich des Cloud Computing oder der eingebetteten Systeme im Rahmen von Weiterbildungen erlernen können. ICT-Berufsbildung empfiehlt Quereinsteigern aus diesem Grund, so rasch wie möglich einen Abschluss nachzuholen und auf diese Weise ihre Jobexpertise zu formalisieren, erklärt Aebischer. "Grundsätzlich aber gehen wir davon aus, dass die Zeit der Quereinsteiger in der IT abgelaufen ist", so Aebischer.
Die sich allmählich anbahnende strukturelle Arbeitslosigkeit der Quereinsteiger ist Aebischer zufolge aber nicht nur auf die fehlende Ausbildung zurückzuführen, sondern auch auf die Ausrichtung von monotechnologischen Unternehmen, wie sie unter anderem in der Finanzbranche verbreitet sind. Gerade in Banken seien zahlreiche Personen mit kaufmännischer Ausbildung in der IT wie Legehühner hochgezüchtet worden. Als sie infolge der Finanzkrise ihre Stelle verloren, hätten sie aufgrund ihrer einseitigen Expertise keine Stelle mehr gefunden. "Solche Unternehmen haben gegenüber Mitarbeitern eine soziale Verantwortung und sollten gezielt Personalentwicklung betreiben. Denn sie wissen genau, dass das entwickelte Produkt ein Lebenszyklus von 15 oder 20 Jahren hat und danach ausgewechselt wird", so Aebischer.
Informatikkenntnisse schon in der Schule fördern
Um sicherzustellen, dass bis 2020 nicht nur genügend, sondern auch die richtigen IT-Fachkräfte im Arbeitsmarkt zu finden sein werden, müssten Stern zufolge einerseits die Unternehmen dafür sorgen, dass der IT-Beruf einen besseren Stellenwert erhält: "In Firmen, die die Bedeutung der Informatik verstanden haben, sitzt der Informatikleiter mit in der Geschäftsleitung. Es gibt aber noch viele Schweizer Unternehmen, in denen der CIO dem Supply- Chain-Manager oder dem Finanzchef untergeordnet ist. Der Fokus der IT liegt dann häufig ausschliesslich auf der Kostenreduktion und wird weniger als Katalysator für die Optimierung der Geschäftsprozesse genutzt. Darunter leidet auch die Attraktivität des Berufs des Informatikers."
Andererseits aber sollte der Beruf des Informatikers gemäss Stern in der Schule durch die entsprechenden Stellen stärker gefördert werden, indem den Naturwissenschaften insgesamt mehr Platz eingeräumt wird: "Heute argumentieren in der Primarschule zum Teil selbst die Lehrer: "Ja, früher war ich in Mathe auch schlecht, das ist nicht schlimm." Wenn man aber in der Schule das logische Grundverständnis nicht mitbekäme, würde man das später nur selten schaffen. "Das ist ein Schweizer Problem, dass die Naturwissenschaften zum Teil zu kurz kommen. Man kann an vielen Gymnasien Altgriechisch und Latein studieren, aber Informatik häufig nur als Freifach belegen", so Sterns Fazit.