Smarte Uhren, kreative Entwickler
Der Markt für tragbare Kleincomputer wie Smartwatches boomt. Sie werden die Art verändern, wie wir Computer verwenden, prophezeien Marktforscher. Die Geräte sind inzwischen reifer geworden und bieten unzählige Möglichkeiten. Mit dem Marktstart der Apple Watch erhoffen sich Hersteller und Schweizer App-Entwickler deshalb neue Geschäftsmöglichkeiten im Businessumfeld.
Hololens, Fitbit, Apple Watch: Der Markt für Wearables boomt. Weltweit sollen dieses Jahr über 72 Millionen Geräte an Handgelenken, auf Nasenrücken, in Kleidungsstücken und an anderen Stellen getragen werden. Im Vergleich zum Vorjahr entspricht dies einer Zunahme von 173,3 Prozent, wie die Marktforscher von IDC in ihrer jüngsten Studie zum Thema Wearables berichten.
Die Analysten prophezeien ein jährliches Wachstum von 42,6 Prozent in den nächsten fünf Jahren. Gemäss jüngsten Zahlen von GfK geben die Kunden in der Schweiz für ein Wearable im Schnitt 160 Franken aus (mehr zum Schweizer Wearables-Markt).
Immer interessanter werden Wearables im Geschäftsbereich, etwa in der Logistik mit Navigationsunterstützung oder in der Medizin. Laut den Analysten sollen im vergangenen Jahr rund 300'000 Wearables über Schweizer Ladentheken gegangen sein. Der Umsatz belief sich nach jüngsten Hochrechnungen für die drei Unterkategorien Health- und Fitnesstracker, Smartwatches und Wrist-Sport-Computer zusammen auf knapp 50 Millionen Franken.
Mobile Technik wird zum "Schlachtfeld"
Mobile Berührungspunkte seien heute das wichtigste Interface für Klienten. Mobile Technik werde daher zum wichtigsten "Schlachtfeld" für disruptive Innovationen, schreibt Steffen Binder vom Schweizer Analystenhaus My Private Banking Research in einer Studie. Vermögensverwalter, die ein hochwertiges und wettbewerbsfähiges Mobile-App Klienten anbieten, werden gegenüber ihren Mitbewerbern Vorteile haben. Langfristig wird dieser Wettbewerbsvorteil eine Frage des Überlebens für alle Banken in der heutigen sich rasch verändernden digitalen Umwelt sein.
Die Apple Watch werde an Boden gewinnen, glauben die Analysten von My Private Banking Research. Inzwischen bieten mehrere Banken eigene Mobile-Apps für die Apple- oder Android-Plattform an.
Wie etwa die Zürcher Kantonalbank (ZKB). Deren App zeigt für ausgewählte Konten den Saldo und die letzten drei Buchungen. Die Benutzer können sich in der Anwendung "E-Banking Mobile" auf dem Smartphone anmelden und Konten freigeben. Auf der gekoppelten Smartwatch ist für den Abruf der Informationen kein Log-in mehr nötig. "Die Zürcher Kantonalbank möchte mit Trends Schritt halten und aktiv daran beteiligt sein, herauszufinden, welche Rolle neue Technologien im Banking spielen können", erklärt Unternehmenssprecherin Evelyne Brönnimann auf Anfrage.
Hinzu kommen Marketinggründe. Das Unternehmen wolle zeigen, dass die Marke "Zürcher Kantonalbank" auch für Innovation stehe. Überdies sei ein Wearable auch ein sehr persönliches Stück Technik. Viel näher dürften sich Unternehmen und Kunde kaum kommen, es sei denn, man trifft sich mit einem Kundenberater. So sind denn auch Wearable Devices für die ZKB "ein neuer, sehr persönlicher Kanal, auf dem wir erreichbar sein wollen".
Zu den Downloadzahlen wollte die ZKB keine Angaben machen. Allerdings merkt die Bank an, dass die App erst für Android Wear erhältlich ist. Entsprechend halte sich die Nutzung wegen der geringen Verbreitung von Android-Wear-Geräten in Grenzen.
Im Vordergrund hätten andere Beweggründe als hohe Downloadzahlen gestanden, teilt die ZKB mit. "Die Smartwatch-App soll unseren Kunden Spass und Freude bereiten." Das Feedback der bisherigen Nutzer ist laut ZKB "sehr gut". Ausserdem werden die User der Bank viele Ideen für weitere Funktionen liefern. Das dürfte der ZKB entgegenkommen, da es sich bei Wearables um ein sehr junges Segment im Mobile-Bereich handelt.
Noch weiss kein Hersteller und App-Anbieter, was Kunden wollen und was nicht. Vom Marktstart der Apple Watch erhofft sich die ZKB, wie viele andere Unternehmen auch, einen Schub in der Verbreitung und Akzeptanz von Wearables. Die Bank geht davon aus, dass die Rolle von Wearables insbesondere beim bargeldlosen Bezahlen in den nächsten fünf Jahren stark wachsen wird. "Mit oder ohne Beteiligung traditioneller Banken", wie der Finanzdienstleister betont.
Entwickelt wurde die App der ZKB von einem internen Entwickler im Innovationslabor der ZKB. Das Team benötigte rund 80 Manntage. Diese waren nötig für die Entwicklung der App für Android Wear und für die Apple Watch sowie für die benötigte Serverinfrastruktur. Die Entwickler mussten hier auch auf Vorgaben achten, besonders was die Sicherheitsstandards betraf oder die Konformität der App zu den Finma-Regeln.
Selbst programmiert hat auch Comparis. Der Vergleichsdienst erweiterte seine Immobilien-App für das iPhone um die Fähigkeit, mit der Apple Watch zu kommunizieren. Nutzern werden damit Push-Nachrichten zu neuen Wohnungsangeboten auf die Uhr gesendet. "Die Nutzer sollen auf diese Weise schnell, einfach und transparent Wohnungen ihrer Wahl finden", erklärt Telekom-Experte Ralf Beyeler von Comparis. Anders als die ZKB fokussiert Comparis aber auf das Apple-Produkt.
Android- und Microsoft-Nutzer bleiben aussen vor. Der Grund ist einfach und nachvollziehbar: Apple ist momentan die stärkste Plattform. Vier von fünf Apps werden laut Experten für Apples Mobile Devices entwickelt. Gemäss jüngstem Weissbuch-Report von Branchenkenner Robert Weiss liegt der Marktanteil von Apples iPhone in der Schweiz bei rund 45 Prozent.
Deshalb lancieren die meisten App-Anbieter erst einmal Applikationen für Apple-Geräte. Doch Comparis will nichts ausschliessen. Setzen sich die Smartwatches der anderen Plattformen durch, will Comparis auch für diese Plattformen entsprechende Dienste entwickeln, wie Beyeler betont.
Uhren-App für smarte Shopper
Auch im Schweizer Detailhandel bereitet man sich auf die Ankunft der Apple Watch vor, etwa bei der Migros: Kunden können sich die Einkaufsliste für das Abendessen auf der Uhr anzeigen lassen. Mit der Einkaufslisten-App will die Migros nach eigenen Angaben ihren Kunden eine Möglichkeit bieten, den Einkauf bequemer zu gestalten.
In diesem Zusammenhang teste man auch neue Geräte. Wirtschaftliche Ziele stünden aber nicht im Vordergrund, betont das Unternehmen. Doch wie die ZKB verfolgt auch die Migros Marketingziele. "Wir erhoffen uns aber natürlich, die Kundenbindung dadurch zu stärken", erklärt der Detailhändler auf Anfrage. Programmiert wurde die App von einer internen Abteilung der Migros.
Die Migros-Entwickler zogen für ihr Projekt gleich mehrere Agenturen für Konzeption, Design und Umsetzung hinzu. Dazu zählen Deepblue Networks, Grandcentrix, Netcetera und Liip. Eine Herausforderung bei der Kreation sei gewesen, etwas zu entwickeln, ohne das Device zu kennen und es schon einmal in der Hand gehabt zu haben.
Zudem hätten manche Funktionen mit dem aktuellen Software Development Kit von Apple nicht realisiert werden können. Dennoch soll die App Migros-Kunden Vorteile bringen, wie das Unternehmen mitteilt. Mit einem Wearable am Arm hätten Kunden beispielsweise beide Hände frei und könnten immer noch einige Funktionalitäten der Migros-App nutzen.
Nach Angaben der Migros hat sich jeder zehnte Schweizer Appstore-Nutzer die Migros-App heruntergeladen. Beim Detailhändler geht man davon aus, dass sich mittelfristig auch Wearables, insbesondere die Apple Watch, stark verbreiten werden.
Übrigens: Keiner der drei Anbieter setzt Smartwatches und ähnliche Wearables im eigenen Unternehmen ein. Bei der Migros würden teilweise mobile Datenerfassungsgeräte genutzt. Diese liessen sich zwar auch am Arm befestigen. "Eigentliche Wearables sind das aber keine", sagt die Migros.
Kreative Entwicklerszene, zurückhaltende Kunden
Was bringen Wearables also? "Wearables werden gekauft wegen des zusätzlichen Komforts", erklärt Fritz Reust, Geschäftsführer beim Branchenverband Smama. Ein Wearable bietet ein weiteres Display, über das Anwender rasch wichtige Informationen erfassen könnten. Die in Smartwatches verbauten Sensoren ermöglichten viele sinnvolle Anwendungen. Um Wearables werde man deshalb nicht herumkommen. Dafür sorgt auch die Entwicklerszene selbst. Ein prominenter Vertreter unter den Entwicklern von Unternehmensanwendungen für die Apple Watch ist IBM, das mit seiner Technologiepartnerschaft mit Apple für einiges Aufsehen sorgte.
IBM bewirbt auf seiner Website Anwendungen für verschiedenste Branchen. Der IT-Hersteller bietet etwa für Polizeidienste in den USA eine App an. Geht bei der Polizei eine Einbruchsmeldung ein, erhalten Polizisten in der Gegend umgehend einen Alarm ihrer Apple Watch. IBM sieht auch in der Schweiz Potenzial für Wearables. Gerade im Gesundheits- oder im Sicherheitsumfeld, wo die schnelle Alarmierung über ein Wearable am Handgelenk mit der nötigen Treffsicherheit sichergestellt werden kann. "Die neue Technik bringt neue Anwendungsmöglichkeiten, die einen klaren Businessnutzen hervorbringen und somit dem Wachstum im Wearable-Geschäft Rechnung tragen", teilt der IT-Konzern auf Anfrage mit.
Und wie sieht es bei den lokalen Entwicklern aus? Die Redaktion hörte sich bei den Teilnehmern des Best of Swiss Apps Award 2014 um. Von gut 50 Unternehmen haben 17 geantwortet (alle Interviews gibt es im Online-Schwerpunkt "App-Entwicklung", Webcode 3087). Schweizer Entwickler sind kreativ, wenn es um den Einsatz von smarten Uhren im Businessumfeld geht. Vom Schlüssel- respektive Badge-Ersatz für Büros, Dienstwagen und Sitzungszimmer über das Bezahlen in der Kantine und dem Bedienen der Beleuchtung oder Belüftung sei vieles möglich, erklären Michael Schranz, Business Development Manager, und Olivier Oswald, CTO von Apps with Love in Bern.
Unternehmen interessieren sich in der Tat sehr stark für die Entwicklung im Bereich Wearables, sagt Manuel Heuer, COO bei Dacadoo. Mobile Lösungen würden helfen, automatisch und ohne manuelle Eingabe von Daten, Bewegungen oder sogar den Lifestyle aufzuzeichnen. Heuer sieht daher auch grosses Potenzial in den Bereichen betriebliche Gesundheitsförderung oder Versicherungsprodukte, die Lebensstildaten berücksichtigen. Andere Entwickler machten die Erfahrung, dass Kunden zwar interessiert, aber grundsätzlich zurückhaltend vorgehen. Es finde eher ein Abtasten statt, um zu sehen, welche Anwendungen und Geräte sich im Markt etablierten, bringt es Reto Senn, CEO von Bitforge, auf den Punkt.
Wettkampf der Plattformen
"Das Wachstum bei den Wearables führt zu einem Wettkampf unter den rivalisierenden Plattformen", sagt Ramon Llamas, Research Manager Werables bei IDC. Android Wear, Tizen und Watch OS gäben den Ton an mit verbesserten User-Interfaces und Applikationen. Der Wettbewerb werde die Erwartungen der Anwender erhöhen, was Wearables alles können müssen, und jeder Plattformanbieter werde versuchen, Klassenbester zu werden. Wer diese UX-Konkurrenz gewinnen will, ist auf die Kooperation mit Entwicklern angewiesen. Letztlich sind sie es, die ein Spielzeug für das Handgelenk in ein Werkzeug für das Business transformieren.
Die Redaktion hakte deshalb bei Apple, Google, Microsoft und Samsung nach. Microsoft äusserte sich nicht auf unsere Anfrage. Google, das mit Android Wear derzeit die bedeutendste Plattform am Markt anbietet, verwies auf seine allgemeine Website zum Thema Android.com/wear. Apple Schweiz weiss um den Hype im Vorfeld des Schweiz-Starts seiner Smartwatch. Der Hersteller verwies auf verschiedene Business-Apps, die bereits lanciert oder in Planung seien, wie etwa jene der ZKB, Migros oder von Comparis. Als Fördermassnahme zum Marktstart erwartet Apple Schweiz lokale App-Empfehlungen vom internationalen Apple Watch Store Team.
Beziehungen mit den Entwicklern stärken
Am ausführlichsten äusserte sich Samsung Schweiz. Das Unternehmen unterstützt Google Wear und bietet mit Tizen eine eigene Entwicklerplattform an. Samsung unterhält nach eigenen Angaben Kontakte zu Schweizer App-Entwicklern besonders im B2B-Umfeld. Zur Zusammenarbeit teilt Samsung mit: "Wir sind bestrebt, unsere Beziehung zu den Entwicklern weiter zu stärken und auszubauen. Daher geht unser Business Development Team aktiv auf lokale Entwickler zu und versucht, potenzielle Partnerschaften aufzubauen. Ziel ist es, sich gegenseitig zu unterstützen und die jeweiligen Möglichkeiten und Netzwerke bestmöglich zu nutzen."
Mit dem Marktstart der Apple Watch dürfte neuer Schwung in den Markt für Wearables kommen, insbesondere für Smartwatches. Ideen gibt es viele. Gute Pilotprojekte wie die genannten Beispiele zeigen, wie Smartwatches bereits heute sinnvoll eingesetzt werden können. Inwieweit Wearables unseren Alltag beeinflussen werden, sei dennoch schwierig zu beantworten, sagt Reust. "Aber hätten Sie mich vor wenigen Jahren gefragt, ob Tablets eine Notwendigkeit sind, hätte ich geantwortet: Wohl kaum."