Politische Agenda

Überforderte EVP, wortkarge Jungparteien

Uhr | Aktualisiert
von Marcel Maurice Urech

Am 18. Oktober wählt die Schweiz zum 50. Mal ein neues Parlament. Höchste Zeit, dass die Parteien ihre politischen ­Agenden offenlegen. Wer setzt sich für welche IT-Themen ein? Die Redaktion hat nachgefragt.

(Quelle: Services du Parlement 3003 Berne)
(Quelle: Services du Parlement 3003 Berne)
Bald ist er da, der zweitletzte Sonntag im Oktober, an dem die Schweiz alle vier Jahre ein neues Parlament wählt.

Am 18. Oktober gehen die Schweizer Bürger bereits zum 50. Mal an die Wahlurne. Gewählt werden National- und Ständeräte – die auch die Interessen der Schweizer ICT-Branche vertreten sollten.

Nicht alle antworteten

Aber welche Partei unterstützt überhaupt welche Anliegen? «Netzwoche» und «ICT-Journal» fragten bei sämtlichen im Parlament vertretenen Parteien nachgefragt – fast alle antworteten. Nur die Christlichsoziale Partei Obwalden, die Christlichsoziale Volkspartei Oberwallis, Lega dei Ticinesi und die Mouvement Citoyens Genevois reagierten nicht auf unsere Anfragen. Mässig war der Rücklauf von den Jungparteien: Ausser der Jungen CVP und der Juso nahm niemand an der Umfrage teil. Die Junge SVP verpasste die Eingabefrist und konnte nicht mehr berücksichtigt werden.

Den Vogel schoss die Evangelische Volkspartei ab. Ihr waren die Fragen zu weitgehend, um eine «halbwegs fundierte Rückmeldung» zu geben. «Wir haben nicht die Ressourcen, uns in all die erwähnten Gesetze und Abkommen einzuarbeiten», schreibt Generalsekretär Joel Blunier.

Innovationsförderung, E-Voting und Social Media

Die Umfrage wurde im Juli 2015 schriftlich geführt. Alle Parteien erhielten zwölf Fragen, die sich um Netzneutralität, das Nachrichtendienstgesetz (NDG), das Bundesgesetz betreffend die Überwachung des Post- und Fernmelde­verkehrs (Büpf) und die Masseneinwanderungsinitiative drehten. Weitere Themen waren Bildung, E-Health, Social Media, Innovationsförderung und die Abkommen «Transatlantic Trade and Investment Partnership» (TTIP) und «Trade in Services Agreement» (TISA). Die Parteien mussten sich zudem zu Themen wie E-Voting, Service Public, das Schweizer Urheberrecht sowie das Bundesgesetz und die Verordnung über das öffentliche Beschaffungswesen äussern.

Zusätzlich zu den Parteien nahmen folgende Einzelpersonen Stellung: Balthasar Glättli (Grüne), Barbara Schmid-Federer (CVP), Bernard Guhl (BDP), Edith-Graf Litscher (SP), Franz Grüter (SVP), Jean Christophe Schwaab (SP), Natalie Rickli (SVP) und Ruedi Noser (FDP).

Netzneutralität bleibt ein heisses Thema

Zur Netzneutralität stellten wir folgende Frage: «Der Ständerat hat sich gegen eine gesetzliche Verankerung der Netzneutralität entschieden. Nun scheint das Thema in der Schweiz vom Tisch zu sein. Auch für Ihre Partei?» ­Ausser bei der Jungen CVP ist die Netzneutralität bei allen Parteien auf der Agenda.

«Das Thema Netzneutralität ist und bleibt aktuell», schreibt die BDP. «Nur verstehen nicht alle das Gleiche darunter.» Um zu einer Lösung zu kommen, müsse zuerst breiter über die Problematik informiert werden, sagt die BDB. Die CVP sieht das ähnlich. Sie spricht von einem «komplexen Thema», das die Partei genau beobachte. Eine gute Debatte bedinge, dass erst einmal definiert werde, worüber genau diskutiert werden müsse. Erst dann könne man im politischen Diskurs herausfinden, was die Schweiz bei diesem globalen Problem überhaupt tun könne. Die Entwicklung in der EU, die eine Verschärfung antönt, beobachtet die CVP. Einen dringenden Handlungsbedarf gebe es aber nicht. «Trotzdem erkennen wir die Wichtigkeit und die Dimension der Netzneutralität.»

Die FDP will keine gesetzliche Verankerung der Netzneutralität. «Dies jedoch nicht mit dem Ziel, das komplexe Thema zu ignorieren.» Die Partei will «zuerst die internationale Entwicklung abwarten». Die FDP geht wie auch die SVP davon aus, dass die Debatte im Rahmen der Fernmeldegesetz-Revision wieder aufgegriffen wird. Sie begrüsst, dass sich die Industrie per Code of Conduct selbst reguliert.

Wenn sich SP und SVP mal einig sind

Die SVP nennt den diskriminierungsfreien Zugang auf Informationen eine der wichtigsten Errungenschaften der modernen Gesellschaft. Ohne Netzneutralität würden die Möglichkeiten für Missbrauch und Manipulationen steigen. 95 Prozent der Fraktionsmitglieder folgten bei der Abstimmung im Nationalrat der Parteilinie und sprachen sich für eine gesetzliche Festschreibung der Netzneutralität aus. Die SP-Fraktion stimmte sogar zu 100 Prozent dafür. Sie will ein offenes und freies Internet für alle – jederzeit und überall. «Weder Staat noch Unternehmen dürfen Dienste, Quellen oder Protokolle bevorzugen oder benachteiligen», schrieb die SP im April in einer Resolution.

Für Netzneutralität sprechen sich auch die Grünen aus. Sie brachten das Thema als erste Schweizer Partei aufs politische Parkett. Initiator Balthasar Glättli betont, dass die Debatte im Ständerat relativ offen gewesen sei. Auch Gegner der Motion sagten, dass sie bei der Revision des Fernmeldegesetzes ihre Position allenfalls nochmals überdenken würden. Für die Schweiz wäre es verheerend, wenn sie eine «Erlaubnis zur Innovation durch die Zugangsprovider» bräuchte, sagt Glättli. So oder so würden sich die Grünen weiter für eine gesetzliche Verankerung einsetzen.

Kurz antworteten die Grünliberalen: «Die GLP befürwortete die gesetzliche Festschreibung der Netzneutralität und tut dies auch weiterhin.» Die Juso will sich ebenfalls dafür einsetzen – auch auf EU-Ebene.

Nachrichtendienstgesetz provoziert Referendum

Zum NDG und zum Büpf stellten wir folgende Frage: «Wird Ihre Partei die Referenden gegen das neue NDG und das neue Büpf unterstützen?» Nein, sagen BDP, CVP, FDP und JCVP. Ja, sagen Juso und Grüne. SP, SVP und GLP wollen sich noch nicht festlegen.

Die Grünen beschlossen im Frühling, das NDG-Referendum zu unterstützen. Beim Büpf warteten sie die Junisession ab. «Allerdings wurden die grünen Anträge zur Abschaffung der Vorratsdatenspeicherung und für einen limitierten Deliktekatalog bei den Staatstrojanern abgelehnt.» Eine Unterstützung des Referendums sei daher absehbar. Die Jungsozialisten werden die «Referenden gegen die Schnüffelgesetze» ebenfalls unterstützen, schreibt die Partei.

Grünliberale fordern unabhängige Kontrollinstanz

Laut den Grünliberalen torpediert das neue NDG (vor ­allem die Kabelaufklärung und bewilligungspflichtigen Massnahmen) Grundrechte und schränkt die Privatsphäre stark ein. Die Partei fordert eine unabhängige Kontroll­instanz für die Tätigkeiten des Nachrichtendienstes: «Ohne diese kann die GLP die Gesetzesvorlage nicht befürworten.»

Beim Büpf hingegen gehe es nicht um die Überwachung unbescholtener Bürger, sondern um Instrumente der Strafverfolgung und deren Anpassung an heutige Technologien. Das Büpf regle die Strafverfolgung bei dringendem Tatverdacht und erlaube keine präventive Überwachung. Unbehagen gegen zunehmende Überwachung durch den Staat sei gerechtfertigt, schreiben die Grünliberalen. «Beim Büpf ist die Kritik jedoch am falschen Ort.»

«Auch Verbrecher nutzen moderne Technologien»

Die BDP vertritt die Meinung, dass den Strafverfolgungsbehörden neue Mittel gegeben werden müssen, um Kriminalität zu bekämpfen – «auch Verbrecher nutzen moderne Technologien». Schon ein einziger verhinderter Anschlag rechtfertige das neue NDG. Auch die CVP befürwortet eine Anpassung des Rechts an heutige Bedrohungen und technologische Entwicklungen. Die FDP sieht dies genauso: «Es geht dabei nicht um mehr, sondern um bessere Überwachung.» Da diese an Auflagen gebunden sei, bleibe der Datenschutz gewährleistet. Es brauche eine richterliche Anordnung, und überwacht werden dürfe sowieso nur, wenn bisherige Massnahmen erfolglos waren.

Nicht festlegen wollte sich die SVP – die Vorlagen seien noch in der Differenzbereinigung. «Ob gegen die eine oder andere Vorlage das Referendum ergriffen oder unterstützt wird, entscheiden die zuständigen Gremien erst nach der jeweiligen Schlussabstimmung.» Auch die Grünliberalen wollen noch keine Position ergreifen. Und die SP? Sie will ebenfalls erst nach Abschluss der Beratung im Parlament über die Referenden entscheiden. Die Partei sieht eine Ausweitung der Über­wachung kritisch, lehnt sie jedoch nicht kategorisch ab. «Einer ausufernden Überwachung auf Vorrat und ohne demokratische Kon­trolle wird die SP aber sicher nicht zustimmen.»

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