Gast-Post "1984"

Das neue NDG - "Big Brother" oder sinnvolle Überwachung?

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von Ursula Uttinger, Präsidentin des Datenschutz-Forums Schweiz

Die Schweiz stimmt am Wochenende über eine strengere Internetüberwachung ab. Würde mehr Datensammlerei zu mehr Sicherheit führen? Ein Gastbeitrag von Ursula Uttinger, Präsidentin des Datenschutz-Forums Schweiz.

George Orwell schrieb zwischen 1946 und 1948 seinen Roman "1984". In den achtziger Jahren war dieses Buch fast Pflichtlektüre, heute wird es kaum mehr gelesen und führt zu keinen Diskussionen. Daten über Menschen werden heute fast permanent erfasst – sei es über die GPS-Ortung des Smartphones, durch Videos in öffentlichen Verkehrsmitteln, in Bahnhöfen oder auch von Privaten.

Was hat "1984" mit dem Nachrichtendienstgesetz (NDG) und dem Bundesgesetz betreffend die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (BÜPF) zu tun? Im Buch ist der «Big Brother» allgegenwärtig. Der Überwachte sieht die Überwachungskameras. Beim NDG und BÜPF hingegen soll die Überwachung ohne Wissen der betroffenen Personen stattfinden.

Thomas Hansjakob, Erster Staatsanwalt des Kantons St. Gallen, legte in einem Referat anlässlich des Datenschutz-Forums Schweiz vom 15. September dar, dass die Strafverfolgungsbehörden äusserst selektiv mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln umgehen. Für eine Überwachung braucht es beim BÜPF eine richterliche Genehmigung und nachvollziehbare Gründe. Bezeichnenderweise genehmigen die Richter über 95 Prozent der Anträge von Strafverfolgungsbehörden für eine Überwachung.

Beim NDG geht es um eine Überwachung durch den Nachrichtendienst des Bundes, also nicht um die Strafverfolgungsbehörden. Damit der Nachrichtendienst aktiv werden kann, braucht es eine Genehmigung vom Bundesverwaltungsgericht, dem Chef des VBS sowie eine Konsultation des Sicherheitsausschusses. Zudem werden die Tätigkeiten des Nachrichtendienstes von verschiedensten Gremien kontrolliert: Durch das Departement VBS, eine weitere, unabhängige Kontrollinstanz bei der Funkaufklärung und das Parlament. Eine Überwachung im Rahmen des NDG soll nur gestützt auf Schlüsselworte stattfinden, eine Massenüberwachung sei nicht geplant. Bei BÜPF und NDG gehe es um eine technische Aufrüstung, sagte Hansjakob. Im Vergleich zu ausländischen Geheimdiensten oder Strafverfolgungsbehörden in Europa, aber auch in den USA, seien die Möglichkeiten in der Schweiz stehengeblieben. Die neuen technischen Kommunikationsmittel könnten gestützt auf die heutige Gesetzgebung nicht angezapft werden.

In einem nächsten Referat ging Nis Güggi, Leiter Recht und Controlling vom Dienst Überwachung Post- und Fernmeldeverkehr (Dienst ÜPF), auf die Aufgaben dieser Bundesstelle ein. Der Dienst ÜPF überwache nicht selbst. Vielmehr hole er die von den Strafverfolgungsbehörden verlangten Daten und relevanten Informationen bei den Fernmeldedienstanbieterinnen ein, speichere sie auf seinem System und mache sie den entsprechenden Strafverfolgungsbehörden zugänglich.

Beim BÜPF gehe es primär darum, die erlaubten Mittel der Strafverfolgungsbehörden an die technischen Entwicklungen der letzten 15 Jahre anzupassen. Straftäter sollten sich nicht durch die Verwendung von neuen Technologien wie Mitteilungs- oder Social-Media-Diensten der Überwachung durch die Strafverfolgungsbehörden entziehen können. Nils Güggi liess durchblicken, dass die Anbieterinnen aber aufatmen können, da vorgesehen sei, die meisten gegenüber heute zu entlasten. Durch das neue BÜPF soll zudem neu eine Handy-Ortung von entflohenen Häftlingen möglich werden – bis anhin fehlte dafür eine gesetzliche Grundlage.

Drittanbieter sollen zudem verpflichtet werden, bei einer Überwachung mitzuwirken. Die Überwachungsdaten sollen neu zentral gespeichert werden, damit Daten zu Beweiszwecken auch über eine längere Zeit noch lesbar und verwertbar sind. Am umstrittensten sei aber die Möglichkeit, IMSI-Catcher beziehungsweise GovWare einzusetzen. Mittels solcher Software soll es der Strafverfolgungsbehörde möglich sein, Gespräche oder Mitteilungen von Smartphones, Computer oder Laptops zu überwachen.

Als letzter Referent sprach Balthasar Glättli, Nationalrat und Verfechter des Persönlichkeitsschutzes. Je weniger Daten, desto kleiner das Risiko einer Persönlichkeitsverletzung. Der Verdacht einer Massenüberwachung der eigenen Bürger basiere auf der historischen Erfahrung der Fichenaffäre in den späten 80er-Jahren des letzten Jahrhunderts, sagte Glättli.

Allgemein wird die Gleichung "Mehr Daten = Mehr Sicherheit" in Frage gestellt. Denn selbst Bundesanwalt Michel Lauber forderte in einer Sendung von SRF1 nicht mehr, sondern bessere Daten. Es zeigt sich, dass es bei diesen beiden Gesetzen politisch nicht um ein Links-gegen-Rechts-Thema geht. Die Sensibilität bezüglich Persönlichkeitsschutz ist auch nicht eine Frage des Alters. Vielmehr dürften persönliche Erfahrungen und auch das Bedürfnis nach Sicherheit ausschlaggebend sein.

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