Die Vorboten einer Mobilitätsrevolution
Selbstfahrende Autos sind ein omnipräsentes Thema – nicht erst seit der diesjährigen Consumer Electronics Show in Las Vegas. Die grossen ICT-Firmen und Autohersteller steigen in den Markt ein. Die Veränderungen durch den Wandel der Mobilität werden die grösste Herausforderung sein.
An der Consumer Electronics Show in Las Vegas im Januar haben die grossen CE-Hersteller wie üblich ihre Neuheiten mit ganz viel Pomp dem Publikum präsentiert. Ausser Smartphones, Tablets und allerlei Gadgets standen erneut auch Autos im Fokus der Messe. So gut wie alle grossen Autohersteller zeigten, wie sie sich das vernetzte Fahrzeug der Zukunft vorstellen.
Seit der Messe vergeht kaum eine Woche, in der nicht einer der grossen Autohersteller eine neue Partnerschaft mit einem ICT-Unternehmen ankündigt. Einige prominente Beispiele aus diesem Jahr:
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Uber und Daimler schliessen einen Deal ab, um selbstfahrende Autos in die Mercedes-Benz-Flotte zu integrieren, wie Reuters am 31. Januar schrieb.
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Ford investiert eine Milliarde US-Dollar in die Firma Argo AI für selbstfahrende Autos, wie Techcrunch am
18. Februar berichtete. -
BMW und Volkswagen schliessen mit dem israelischen Videospezialisten Mobileye eine Partnerschaft für selbstfahrende Autos, wie Techcrunch am 21. Februar mitteilte.
Diese Liste zeigt, dass die grossen Automobilhersteller den Trend erkannt haben. Niemand will den «Nokia-Moment» erleben, wie es Jörg Beckmann auf den Punkt bringt. Er ist Vizedirektor des Touring Club Schweiz sowie Geschäftsführer der TCS-Mobilitätsakademie und des Verbands Swiss E-Mobility. Es bestehe die Gefahr, dass die Autohersteller nur zu einem Zulieferer der grossen ICT-Branchengrössen würden, meint Beckmann. Sowohl Autobauer wie auch ICT-Firmen seien mit ihrem jeweiligen Know-how aufeinander angewiesen. In den vielen Kooperationsankündigungen schlage sich dies nieder. Besonders deutlich sei dies bei der Milliardenübernahme des Kartendienstes Here durch ein Konsortium deutscher Autobauer Mitte 2015 geworden, sagt Beckmann.
Nur ein Baustein für die Mobilitätsrevolution
Was aktuell unter dem Schlagwort selbstfahrendes Auto vermarktet werde, sei nur der Anfang einer Revolution in der Mobilität, sagt Frank Rinderknecht, CEO und Gründer von Rinspeed. Beckmann bezeichnet autonome Fahrzeuge daher auch als «Basisinnovation», die weitere Veränderungen erst ermögliche. Auf die Gesellschaft kämen durch autonome Systeme «kolossale sozio-kulturelle Veränderungen» zu, sagt Beckmann. Letztlich werde das Verständnis von Mobilität komplett neu definiert werden. Beckmann vergleicht die anstehenden Veränderungen daher mit denen bei der Einführung der Dampfmaschine oder des Computers. Das selbstfahrende Auto werde «die klassischen Grenzen zwischen dem kollektiven öffentlichen und dem privaten Individualverkehr aufheben», sagt Beckmann. Gleichzeitig ergäben sich für die «Schweizer Infrastrukturbetreiber und Individualmobilitätsdienstleister neue Geschäftsmodelle».
Die Vision ist ein Mobilitätserlebnis aus einem Guss. Wie es gehen könne, zeige Uber in Ansätzen, sagt Rinderknecht. Mit einer App könne eine Fahrt von A nach B gebucht werden. In Zukunft werde dies unabhängig vom Transportmittel funktionieren. Ob der Nutzer nun mit dem autonomen Auto, Bus, Zug oder Flugzeug ans Ziel komme, sei im Prinzip nebensächlich. «Einfachheit und Kundenerlebnis werden der Schlüssel für die Mobilität der Zukunft sein. Am Ende des Monats bekomme ich dann eine Mobilitätsabrechnung und alles ist erledigt», sagt Rinderknecht.
Wandel der Besitzverhältnisse
Die zunehmende Vernetzung und Ausstattung von Autos mit Elektronik mache den Besitz von solchen Fahrzeugen immer unattraktiver. Aktuell würden Autos noch länger als zehn Jahre genutzt. Ein solcher Zeitraum sei mit vernetzten Autos nicht mehr handhabbar, zeigt sich Rinderknecht überzeugt. Die Technologie würde zu schnell veralten. Software könne zwar relativ einfach erneuert werden, die Hardware sei aber schon nach ein paar Jahren kaum noch zu gebrauchen, ähnlich wie bei einem PC oder Laptop. Aufrüsten sei in solchen komplexen Systemen auch nur begrenzt möglich und zu teuer, sagt Rinderknecht weiter.
Als Lösung sieht er Sharing-Modelle. Mit diesen würden die Fahrzeuge effizienter genutzt und sie stünden nicht 95 Prozent der Zeit ungenutzt herum. Mit einer deutlichen Steigerung der Nutzungszeit kämen die Autos schon nach zwei bis drei Jahren an ihr Lebensende, und der ICT-Lebenszyklus stelle kein wesentliches Problem mehr dar.
Noch viele Herausforderungen
Deutlich kritischer sieht Oliver Bendel den Einsatz von autonomen Fahrzeugen. Er ist Professor für Informations- und Maschinenethik an der Fachhochschule Nordwestschweiz. Bendel sieht vor allem technische Hürden. Ihm zufolge sind Computer und Sensoren nicht in der Lage, die Komplexität des Stadtverkehrs zu überblicken. Maschinen könnten die unzähligen Objekte und Vorgänge an vielbefahrenen Kreuzungen wie etwa dem Central oder Bellevue in Zürich nicht erfassen. Schon für die Menschen sei dies eine grosse Herausforderung. Gerade in solchen Verkehrssituationen sei die Kommunikation zentral. Nicht nur zwischen den Autos, sondern auch unter den anderen Verkehrsteilnehmern. Angefangen bei Velofahrern über Fussgänger bis hin zu Hunden.
Was der Mensch mit einer Geste, einem Blick oder einer Kopfbewegung lösen könne, sei für das autonome Fahrzeug eine harte Nuss. Es würde in solchen Situationen häufig scheitern. Im Extremfall bliebe das Fahrzeug einfach stehen, weil es die vielen Informationen nicht verarbeiten könne, zeigt sich Bendel überzeugt.
Autonome Systeme eignen sich laut Bendel eher für Autobahnen, da der Verkehr dort relativ einfach verlaufe. In den Städten werden autonome Fahrzeuge seiner Ansicht nach eher mehr Unfälle verursachen. Wenn man autonomes Fahren auch in den Städten wolle, dann müssten die Infrastrukturen völlig umgebaut werden. Die Fahrzeuge müssten räumlich von den anderen Verkehrsteilnehmern getrennt werden. Oder alle, ob nun Mensch oder Tier, müssten mit Funkchips ausgestattet werden. «Dies will aber wohl kaum jemand», sagt Bendel.
Rinderknecht glaubt hingegen an die Technik. Er stellt die Frage, was das grössre Hindernis sein werde, die Technologie oder der Mensch? Seiner Ansicht nach ist das autonome Fahrzeug mit dem heutigen Wissensstand genauso gefährlich wie ein vom Menschen gesteuertes Fahrzeug. Rinderknecht glaubt aber, dass sich das Verhältnis mittelfristig ändern werde. Die Technologie werde immer besser, und am Ende sei der Mensch am Steuer der Risikofaktor, da er weniger zuverlässig als die Maschine sein werde.
Selbstfahrende Autos werden nicht heute oder morgen kommen
Bis ein autonomes Fahrzeug – durch eine App herbeigerufen – einen an den Zielort bringt, wird es noch etwas dauern. Rinderknecht sieht einen Zeitraum von fünf bis zehn Jahren als realistisch an. Beckmann teilt den Optimismus von Rinderknecht. Er hofft, dass seine derzeit 8 Jahre alte Tochter mit 18 Jahren keinen Führerschein mehr machen muss.
Dies sieht Bendel kritischer. Angesprochen auf einen kürzlich erschienen Artikel in der «Sonntagszeitung», wonach es bald keinen Führerschein mehr geben wird, zeigt er sich sehr skeptisch. Den vollständig automatisierten Verkehr werde es in naher Zukunft nicht geben. Bendel kann sich für die nächsten 30 Jahre einzig einen gemischten Autoverkehr mit herkömmlichen und hybriden Fahrzeugen vorstellen, bei denen der Lenker immer noch eingreifen könne. Die bisherigen Autos mit den hoch- und vollautomatischen Systemen zu verbinden, sei ein langer Prozess. Der Mensch müsse zudem erst noch lernen, wie ein autonomes Fahrzeug zu bedienen sei, gibt er zu bedenken.
Ethische und rechtliche Fragen offen
Bendel hat auch ethische Bedenken. Viele Befürworter des autonomen Fahrens argumentierten, dass weltweit jährlich mehr als eine Million Menschen durch Autos getötet würden. Diese Zahl liesse sich angeblich auf bis zu 200 000 Tote reduzieren. Laut Bendel gibt es aber einen Unterschied, ob Menschen diese Toten verursachen oder Maschinen. Seiner Ansicht nach zieht das Argument nur, wenn die Zahl sehr klein ist, also nur wenige hundert Menschen im Jahr getötet werden. Zudem könne man Verkehrsopfer auch mit anderen Mitteln vermeiden. Fragen der Verantwortung und Haftung spielen hier eine ganz zentrale Rolle. Denn bisher ist nicht geklärt, wer beim Versagen eines Systems Schuld hat. Der Entwickler, der Besitzer des Autos oder die Person hinter dem Lenkrad, sofern dieses noch vorhanden ist.
Gerade die Schuldfrage beschäftige auch viele Juristen. Einige denken sogar darüber nach, das Auto selbst zu einer elektronischen Person zu machen, so wie Firmen juristische Personen sein können, wie Bendel erklärt. Schäden könnten dann etwa über einen Fonds, der von den Herstellern unterhalten werde, bezahlt werden. Bendel selbst hat noch keine abschliessende Antwort auf die Frage. Allein dem Fahrer die Schuld zu geben, sei etwas unfair, sagt er. Es müsse vielleicht wie heute auch eine gemischte Haftung geben. Wenn dem Hersteller eines Sensors oder einer Software ein Fehler nachzuweisen sei, dann müsse er auch dafür geradestehen. Volvo habe sich schon dazu bereiterklärt.