Hitzige Debatte um das Beschaffungswesen
Liip gegen Oracle, EDÖB gegen Armasuisse: In Bern haben Vertreter der ICT-Wirtschaft, von Behörden und Politiker über die Revision des Bundesgesetzes über das öffentliche Beschaffungswesen diskutiert. Am Ende brachte die Debatte nur eine Gruppe weiter: die Politiker.
In Bern wollen die Parlamentarier das Bundesgesetz über das öffentliche Beschaffungswesen (BöB) revidieren. Besonders diskutiert wird eine mögliche Abschaffung des sogenannten Öffentlichkeitsprinzips. Nach einer Vergabe soll niemand mehr die Ausschreibung und den Zuschlag einsehen können. Davor warnte der eidgenössische Datenschützer (EDÖB) Adrian Lobsiger umgehend und Medien schlugen Alarm. Die parlamentarische Gruppe für digitale Nachhaltigkeit (Parldigi) lud deshalb diese Woche Vertreter von IT-Firmen, Politiker und Medienvertreter nach Bern zu einer öffentlichen Diskussion ins Bundeshaus ein.
"Es geht um sehr viel Geld"
Franz Grüter, Co-Präsident von Parldigi, begrüsste die zahlreichen Gäste. Bei der Revision des BöB müssten verschiedene Gruppen berücksichtigt werden. Steuerzahler, Politiker, Verwaltungen, IT-Anbieter: Alle hätten unterschiedliche Bedürfnisse. Die Debatte sei wichtig, schliesslich gehe es um sehr viel Geld.
Franz Grüter (SVP), Co-Präsident von Parldigi: "Die Debatte ist wichtig, schliesslich geht es um sehr viel Geld."
Der Bund gebe jährlich rund 1,2 Milliarden für IT-Lösungen sowie Services aus und sei dadurch der grösste IT-Beschaffer der Schweiz, erklärte Grüter. Rechne man die Beschaffungen der Kantone und Gemeinden hinzu, summierten sich die Investitionen je nach Rechenart auf rund 50 Milliarden Franken.
Mit 36 Milliarden Franken schätzte Claudia Schneider-Heusi den Beschaffungsmarkt etwas geringer ein. Schneider-Heusi ist Anwältin und Dozentin im CAS-Kurs ICT-Beschaffung der Uni Bern. Schneider Heusi erklärte in 20 Minuten die Hintergründe, die zur Revision führten und wies auf einige Punkte hin, die zu Diskussionen führen könnten.
Beschaffungsrecht muss überarbeitet werden
Weshalb überhaupt die Revision? Es geht um den Staatsvertrag Government Procurement Agreement 2012 (GPA). Ein WTO-Übereinkommen über das öffentliche Beschaffungsrecht. Dieses muss das Parlament in Schweizer Recht umsetzen. In diesem Zug will das Parlament auch gleich das Beschaffungsgesetz gesamthaft revidieren.
Die Juristin Claudia Schneider-Heusi (rechts) erläuterte die Hintergründe der aktuellen Debatte.
In diesem Zug soll auch Bundes- und kantonales Recht harmonisiert werden. So sollen etwa künftig die Erlasse vom Bund mit denen der Kantone in Einklang gebracht werden. Heute müsste etwa im Kanton Zürich eine Vergabe begründet werden, in Bern hingegen nicht. Auf Bundesebene könnten die Parteien nach einem eingereichten Angebot die Preise nachverhandeln. Dies sei auf kommunaler Ebene nicht möglich.
Wenn die öffentliche Hand etwas einkauft und dafür bezahlt, spricht man von Beschaffung. Diese Definition stamme vom Bundesgericht, erklärte die Juristin. "Nun soll der Begriff gesetzlich geklärt werden", sagte Schneider-Heusi. Leichter gesagt, als getan. Die Revision sei komplex. 64 Gesetzesartikel müssten überarbeitet werden.
Öffentlichkeitsschutz gefährdet
Für Furore hatte im Vorfeld die Bestimmung gesorgt, wonach die Unterlagen der Ausschreibung und des Zuschlags nach erfolgtem Vertragsabschluss als geheim gelten. Es sei denn, das Gesetz sieht ausdrücklich etwas anderes vor. Anstatt alle Unterlagen öffentlich vorzuhalten, würden diese künftig als geheim eingestuft.
Das würde etwa die Arbeit der Medien erschweren, die öffentliche Ausschreibungen kontrollieren möchten. Künftig könnten sie nicht mehr recherchieren und über Details berichten, da die entsprechenden Dokumente als geheim eingestuft wären. Die Gesetzesänderung würde nicht nur die Arbeit von Journalisten, sondern auch von IT-Dienstleistern erschweren. Etwa von Mitbewerbern, die nicht zum Zuge kamen und wenigstens die Dokumente einsehen wollen, um gegebenenfalls rechtliche Möglichkeiten zu ergreifen.
Geheimhaltung gibt es schon
Oberster Datenschützer Adrian Lobsiger wies in der anschliessenden Diskussion darauf hin, dass ein Öffentlichkeitsgesetz nur dann interessant sei, wenn es auch heikle und sensible Daten betreffe. "Wenn wir nur noch Wetterdaten veröffentlichen, können wir auf das Öffentlichkeitsgesetz verzichten", sagte Lobsiger. Mit dem Öffentlichkeitsgesetz solle die Bevölkerung die Arbeiten der Verwaltung nachvollziehen können.
EDÖB Adrian Lobsiger (rechts) warnte vor einem schwachen Öffentlichkeitsgesetz.
Das könnte aus Sicht von Per-Magnus Larsson zu Schwierigkeiten führen. Der stv. Rechtschef von Armasuisse befürchtet, dass insbesondere US-Rüstungsanbieter künftig nicht alle Informationen mit ihren Angeboten einreichen oder gar auf Angebote verzichten. "Was wir von Dritten erhalten, muss besonderen Schutz geniessen", sagte Larsson.
Per-Magnus Larsson, stv. Rechtschef von Armasuisse, sieht künftige Rüstungsgeschäfte gefärdet.
Das wollte Lobsiger so nicht gelten lassen. Denn der Schutz von Dritten sei im Öffentlichkeitsgesetz ausdrücklich erwähnt. Es gebe Ausnahmen, nur vergessen die Ausschreiber diese, sagte Lobsiger und legte nach: "Beschaffung ist ein Projekt. Hierfür muss man sich auch mit dem Gesetz und seinen Möglichkeiten beschäftigen."
Geheimhaltung soll geistiges Eigentum schützen
Schützenhilfe erhielt Larsson von Oracles Schweiz-Chef Hanspeter Kipfer. Dieser vertrat die Meinung, dass eine Offenlegung nicht viel bringe, da der Kontext zu den Kosten nicht immer ersichtlich sei. Hinzu kämen Bedenken bezüglich des Schutzes von geistigem Eigentum. So fragten Kunden häufig nach einer Produkteroadmap wegen des Investitionsschutzes. Denn was bringt der Kauf von kostspieliger IT-Technik, wenn der Hersteller die Produktreihe einstampfen oder durch etwas Neues ersetzen will.
Hier hakte sich Nadia Fischer in die Diskussion ein. Fischer vertrat als Verantwortliche für das Business Development bei Liip die Sichtweise "kleiner" IT-Anbieter. Bei Angeboten von Monopolisten könnten andere Firmen und die Medien nachträglich die Preiskalkulationen prüfen, argumentierte Fischer.
Damit ging die von Parldigi-Geschäftsführer Matthias Stürmer moderierte Debatte in Richtung öffentliche Beschaffungen. Ein Dauerbrenner, der auch in Bern für eine hitzige Debatte sorgte.
Jungunternehmer praktisch chancenlos
Gut die Hälfte aller Aufträge vergibt die öffentliche Hand freihändig, also nach eigenem Gutdünken ohne vorherige Ausschreibung. Die Zahlen seien besorgniserregend, sagte Liips Fischer. Der Staat sage immer, er baue auf KMUs und vergebe dann Aufträge freihändig.
Brach eine Lanze für Start-ups und KMUs: Nadia Fischer, Business Development bei Liip.
Es geht hierbei auch um die digitale Entwicklung des Landes. Diese erfordere Innovation und die komme von KMUs. Fischer brach auch für die Jungunternehmen eine Lanze: "Der Staat investiert in die ETH und in die EPFL. Diese kreieren Spin-offs. Leider kommen diese in Wettbewerbe oft gar nicht erst hinein", sagte Fischer.
"Freihänder ermöglichen Kontinuität"
Hanspeter Kipfer, Country Leader Oracle Schweiz (links): Ist es jedes Mal sinnvoll öffentlich auszuschreiben?
Freihänder sind ein Ärgernis. Darin waren sich viele im Saal einig. Aber nicht alle. Oracles Kipfer beispielsweise. Mit freihändigen Vergaben soll Kontinuität gewährleistet werden, sagte Oracles Landeschef. "Ist es jedes Mal sinnvoll öffentlich auszuschreiben, wenn die Ausschreibung bereits derart spezifisch auf eine Lösung hinweist", fragte Kipfer.
Das brachte Fischer auf die Palme. "Im Gesetz heisst es, die freihändige Vergabe soll die Ausnahme bleiben. Aber wir reden hier nicht von 2 bis 5 Prozent sondern von rund 50 Prozent. Für mich ist das besorgniserregend."
"Ausschreibungen sind nicht immer sinnvoll"
Der Wortwechsel wäre wohl noch eine Weile hin- und hergegangen. Doch dann schaltete sich Giovanni Conti ein, Direktor des Bundesamts für Informatik und Telekommunikation. Conti erläuterte, weshalb Ausschreibungen eben nicht immer sinnvoll seien. Ausschreibungen erzeugten hohe Kosten.
Rasch summierten sich fünf- bis sechsstellige Beträge. "Die Diskussion suggeriert, dass wir etwas zu verheimlichen haben. Stattdessen versuchen wir unsere Aufgabe so steuereffizient wie möglich zu erledigen", sagte Conti. Ein Beispiel sei die Transformation der IT in der Zollverwaltung. Diese nutze hunderte von Fachanwendungen. "Da können wir nicht einfach etwas rauswerfen", argumentierte Conti.
Vermittelnd wirkte Peter-Jörg Marti, Leiter Rechtsdienst der eidgenössischen Finanzkontrolle (EFK). Der Meinung seiner Behörde zufolge sollte Wettbewerb nicht dem Selbstzweck dienen. Die EFK empfiehlt daher, Verträge über 5 Jahre hinaus abzuschliessen. "Lieber einen längerfristigen Vertrag, der öffentlich ausgeschrieben wird, als Freihänder nach wenigen Jahren", sagte Marti. Ob dies der richtige Ansatz bei dem raschen technischen Wandel ist, führte Marti nicht aus.
Peter-Jörg Marti, Leiter Rechtsdienst der eidgenössischen Finanzkontrolle (EFK), empfiehlt langfristige Verträge abzuschliessen.
"Die Debatte bringt uns weiter"
Die Diskussion schien zu keinem endgültigen Ergebnis zu gelangen. Alle Seiten lieferten nachvollziehbare Argumente. Für diese bedankte sich abschliessend Grüters Kollegin, Edith Graf-Litscher, Co-Präsidentin von Parldigi. "Dass wir heute so offen diskutieren konnten, bringt uns weiter."