Was Deep Learning heute schon kann – und was nicht
Am Business Breakfast der Fernfachhochschule Schweiz haben Fachleute über Deep Learning diskutiert. Referenten zeigten Anwendungsfelder der Technologie und warnten vor ihren Gefahren. Interesse und Skepsis hielten sich im Publikum die Waage.
Wenn es um IT-Trends wie künstliche Intelligenz (KI) oder Big Data geht, ist Deep Learning oft nicht fern. Doch was kann diese Technik überhaupt? Ist sie dem Menschen gar schon überlegen? Sollten Schweizer Unternehmen darüber nachdenken, sich einen Deep-Learning-Spezialisten an Bord zu holen? Diesen Fragen widmete die Fernfachhochschule Schweiz (FFHS) ihr Business Breakfast im Zürcher Landesmuseum.
Auf dem Weg zum Verständnis
Was man unter den Begriffen Deep respektive Machine Learning eigentlich versteht, erläuterte zu Beginn Beat Tödtli, Dozent für Datenanalyse, Physik und Mathematik an der FFHS. Grob vereinfacht gesagt, lernt ein Computerprogramm beim Machine Learning aus einer vorgegebenen Datenbasis.
Je grösser diese Datenbasis ist, umso besser merkt sich die Maschine Muster und Regelmässigkeiten, sagte Tödtli. Die Besonderheit des Deep Learning bestehe darin, dass der Computer sein Wissen mithilfe sogenannter neuronaler Netze strukturiert.
Mit diesem Wissen im Gepäck ist das Programm dann in der Lage, neue Informationen richtig zu interpretieren – zumindest in der Theorie. So war ein Deep-Learning-Algorithmus nach dem Durchforsten von Wikipedia laut Tödtli in der Lage, mit der Information "Rom - Italien + Frankreich" die Antwort "Paris" zu finden. Das System hatte eine Art Verständnis für den Begriff "Hauptstadt" entwickelt.
Shoppen wie die Promis
Was für Menschen nach wenigen Beispielen einleuchtet, dazu brauche ein Computer eine Unmenge an zuverlässigen Daten. Hierhin bestehe eine der ersten Hürden, für Unternehmen, die sich für Machine Learning interessieren. Die Technik eigne sich zudem vor allem für die Text-, Ton- und Bilderkennung.
Ein Beispiel für den Einsatz im kommerziellen Umfeld zeigte Lukas Bossard. Der Mitbegründer und CTO des Start-ups Fashwell ging von einem einfachen Problem aus, das sich dem Handel heute stellt. Menschen informierten sich heute vermehrt auf Social-Media-Plattformen. Diese lassen sich aber nur schwer mit dem Einzelhandel verbinden.
Viele Menschen würden Produkte, die sie etwa in einem Instagram-Post sehen, gerne kaufen. Dies sei aber bislang mit einem frustrierenden Aufwand verbunden, sagte Bossard. Mittels Deep Learning habe Fashwell hier eine Lösung entwickelt.
Lukas Bossard demonstrierte Fashwells Produkterkennung. (Source: Netzmedien)
Auf Grundlage einer Datenbank von Schuhen, Handtaschen, Sonnenbrillen und so weiter erkennt die Software, welche Produkte in einem Bild zu sehen sind und präsentiert einen Link auf die entsprechenden Seiten im Onlineshop. So könnten Käufer schneller zum gewünschten Produkt und Händler zum Kunden kommen.
Die Stärke des Machine Learning bestehe darin, dass ein Computer sich damit quasi selber etwas beibringt. Statt starre Regeln zu programmieren, könne der Mensch der Maschine Daten zur Verfügung stellen und sie damit arbeiten lassen. In genau definierten Anwendungsfeldern erreiche Deep Learning bereits "ein Level, das besser ist als der durchschnittliche User", sagte Bossard.
Der Privatwirtschaft biete die Technik vor allem dann Potenzial, wenn es darum geht, interne Daten auszuwerten und bestehende Prozesse zu optimieren. So könne etwa ein Chatbot auf der Grundlage von Deep Learning den Kundendienst einer Firma unterstützen.
Unternehmerische und ethische Fragezeichen
Schwieriger sei es dagegen, neue Business Cases zu entwickeln. Produkte, die es bislang nicht gar nicht gab, sind noch dünn gesät. Bossard erwähnte hier die Weinetiketten-App Vivino oder die Hörvorschläge von Spotify.
Zwei Dinge müssten Firmen beim Einsatz von Deep Learning besonders beachten. Erstens sei die Qualität der Datenbasis zentral. Lernt der Computer von Beginn weg mit verzerrten Informationen, seien Fehler vorprogrammiert. Wenn ein IT-Unternehmen etwa einen Algorithmus einfach mit den CVs der Vergangenheit füttere und dem Computer dann Entscheidungen überlässt, dürfte er weibliche Bewerberinnen wegen ihrer Seltenheit in der Datenbasis als unerwünscht klassifizieren.
Die zweite Herausforderung bestehe darin, Fachkräfte zu finden, die mit der Materie vertraut sind. Ein Deep-Learning-Algorithmus sei schnell installiert. Wenn es aber um Optimierungen und die Suche nach Fehlern geht, seien Unternehmen auf Experten angewiesen, schloss Bossard.
Eine kritische Sicht kam von Matthias von Rohr. (Source: Netzmedien)
Eine kritische Perspektive auf das Thema gab auch Matthias von Rohr. Der Data Scientist, der bei den SBB tätig war, bevor er die Firma Mydata gründete, vertrat eine klare Position: "Deep Learning hat nichts mit künstlichen Gehirnen zu tun."
Bei spezifischen Anwendungen sei die Technik für Unternehmen sinnvoll. Sobald man Deep Learning aber auf grössere Zusammenhänge loslasse und dem Menschen Entscheidungen abnehmen wolle, werde es heikel.
Von Rohr machte auch deutlich, dass sich die Arbeitsweise der Algorithmen immer weniger nachvollziehen lasse. Wenn die Datenbasis für Menschen wie im Beispiel von Fashwell verständlich sei, gehe es noch. Sobald der Computer aber mit strukturierten Daten lerne, werde eine Kontrolle schwierig.
Unternehmen sollten deshalb genau hinschauen, wo sie Deep Learning einsetzen möchten, meinte von Rohr. Der lernende Computer ersetze nicht die menschliche Intelligenz. Er sein ein Werkzeug, nicht mehr und nicht weniger.
Interesse und Skepsis
Diese Haltung kam auch in der Diskussion zum Ausdruck. Die anwesenden Gäste aus Firmen verschiedener Grössen zeigten Interesse am Deep Learning. Sie erwähnten die Auswertung von Sensordaten oder die Automatisierung von Prozessen als mögliche Anwendungsfelder.
Beat Tödtli, Lukas Bossard und Matthias von Rohr stellten sich den Fragen des Publikums. (Source: Netzmedien)
Als besonderes Problem tauchte schliesslich noch auf, dass es sich momentan nur grosse IT-Unternehmen leisten könnten, Daten zu sammeln, Algorithmen zu entwickeln und Deep Learning zu nutzen. Beat Tödtli von der FFHS äusserte deshalb Zweifel, ob KMUs von der Technik wirklich profitieren könnten.
Es bestehe die Gefahr, dass sich Schweizer Unternehmen von KI-Technologiefirmen wie Facebook oder Google abhängig machten, wenn sie deren Lösungen unbesehen einsetzten. Datenbasis, Risiken und Entscheidungsmechanismen wären so kaum noch kontrollierbar. Eine Art digitale Klassengesellschaft könnte entstehen.