Industrie, Raumentwicklung, Medizin

Mit digitalen Zwillingen in eine nachhaltige Zukunft

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von Adrian Ionescu, Leiter des Labors für nanoelektronische Bauelemente, EPFL, rja

Digitale Zwillinge revolutionieren die Art und weise, wie wir uns der nachhaltigen Entwicklung und den globalen umweltpolitischen Herausforderungen stellen. Die Technologie kommt heute schon in Industrie und Städteplanung zum Einsatz, stösst aber noch lange nicht an ihre Grenzen.

Im aktuellen digitalen Zeitalter jagt eine technologische Entwicklung die andere. Die Innovationen steigern unsere Produktivität, Effizienz und das allgemeine Vergnügen, und dabei verändert sich unser Leben grundlegend, beruflich wie privat. Zu den neuen Errungenschaften gehören auch die digitalen Zwillinge, die gerade dabei sind, die Art und Weise zu revolutionieren, wie wir uns der nachhaltigen Entwicklung und den globalen umweltpolitischen Herausforderungen stellen.

Ein digitaler Zwilling – auch Digital Twin genannt – ist ein dynamisches Computermodell eines physischen Objekts oder Systems. Dank Echtzeitdaten aus Edge-Technologien können mit einer solchen virtuellen Nachbildung Simulationen und Analysen durchgeführt und so die Prozesse des Originals optimiert werden. Diese Spitzentechnologie ermöglicht es den Unternehmen und der Wirtschaft, fundierte Entscheidungen zu treffen, denn ein digitaler Zwilling sagt die Auswirkungen unterschiedlicher Szenarios voraus, und menschliche Fehlentscheide lassen sich so auf ein Minimum reduzieren. Die digitale Zwillingstechnologie schliesst die Lücke zwischen der virtuellen und der realen Welt. Branchenübergreifend schafft sie damit neue Möglichkeiten zur Steigerung der Effizienz.

Digitale Zwillinge in der Industrie

Digitale Zwillinge werden bisher vornehmlich in der Produktion und in der Automobilindustrie eingesetzt. General Electric zum Beispiel hat mithilfe von digitalen Zwillingen die Echtzeitdaten von Düsentriebwerken und Stromanlagen überwacht und konnte so über 1.6 Milliarden US-Dollar einsparen. Siemens wiederum hat digitale Zwillinge in industrielle IoT-Systeme integriert und so Produktionsprozesse beinahe in Echtzeit optimiert sowie den Ausschuss verringert und die Energieeffizienz gesteigert.

In der Automobilindustrie steigern digitale Zwillinge die Fahrzeugleistung, die Sicherheit und die Nachhaltigkeit. Formel-1-Teams nutzen neu digitale Zwillinge, um die Rennwagenleistung in Echtzeit zu optimieren – die Teams fällen während der Fahrt datenbasierte Entscheidungen, die die Rennresultate beeinflussen.

Digitale Zwillinge in Smart Cities – für eine nachhaltige Entwicklung

Im Zuge der Urbanisierung werden die Städte immer grösser und damit auch die Umweltprobleme. Infolgedessen interessieren sich auch Städte vermehrt für digitale Zwillingsmodelle. Die digitale Abbildung einer Smart City hilft, das urbane System zu optimieren – u. a. mit Verkehrsleitsystemen, effizienter Energieverteilung und Schadstoffreduktion. Singapur macht es allen vor, es setzt die digitale Zwillingstechnologie bei der Stadtplanung und der Verwaltung ein. Aber auch andere Städte wie Wien, Madrid oder Budapest ziehen nach und sind dabei, "Smart City Solutions" zu implementieren – für mehr Effizienz und eine nachhaltige Entwicklung.

Übertragen wir diese Technologie auf einen grösseren Massstab, könnten sogar ganze Nationen abgebildet werden. Zum Beispiel könnte unsere Regierung mit einem digitalen Zwilling der Schweiz die Energiepolitik simulieren und so dazu beitragen, Infrastrukturentscheide im Sinne einer langfristigen nachhaltigen Entwicklung zu optimieren.

Digitale Zwillinge im Gesundheitswesen

Im Bereich der Gesundheitsfürsorge steht der Wandel durch digitale Zwillingstechnologie kurz bevor. Wenn die Gesundheitskosten steigen und die Bevölkerung immer älter wird, gewinnen die Frühprävention und die personalisierte Behandlung wesentlich an Bedeutung. Der digitale Zwilling im Gesundheitswesen ist ein Computermodell eines individuellen Patienten, das eine personalisierte medizinische Versorgung und bessere Behandlungsresultate möglich macht.

Im Rahmen verschiedener Projekte wird daran gearbeitet, mithilfe von digitalen Patienten-Zwillingen bereits frühzeitig die Anzeichen schwerer Erkrankungen zu erkennen. In der Schweiz zum Beispiel erforscht Digipredict mit dieser Technologie die Risiken bei einer COVID-19-Erkrankung bis hin zur Sepsis. Mit der Verlagerung auf eine prädiktiven Gesundheitsfürsorge können die Kosten gesenkt, medizinische Fehler verhindert und Behandlungen sehr präzise durchgeführt werden.

Nachhaltige Entwicklung – die Zukunft der digitalen Zwillinge

Auf dem Weg zu den 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung der UNO spielen digitale Zwillinge eine entscheidende Rolle. Tatsächlich können diese Technologien Städte und Industrien wirksam dabei unterstützen, Ressourcen sparsamer einzusetzen, Prozesse zu optimieren und Abfallstoffe zu minimieren, und somit globale Herausforderungen wie den Klimawandel und die Energieeffizienz zu bewältigen.

Kurzum, indem digitale Zwillinge Echtzeiterkenntnisse liefern, verleihen sie der Wirtschaft und der Gesellschaft ein neues – nachhaltigeres – Gesicht. Von der produzierenden Industrie über die Automobilindustrie bis hin zum Gesundheitssektor und zur Smart City, überall eröffnen sich dank der digitalen Zwillingstechnologie bisher noch unbekannte Wege in eine umweltfreundlichere, effizientere und resilientere Zukunft.

 

In der Medizin gibt es viele gute Gründe für den Einsatz von digitalen Zwillingen. Damit dies gelingt, müssen aber auch ein paar Herausforderungen bewältigt werden. Was jetzt schon möglich ist und wo die Reise hingehen könnte, erfahren Sie im Themenschwerpunkt von IT for Health 02 / 2024.

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