Wie generative KI die Zukunft der personalisierten Medizin prägt
Künstliche Intelligenz spielt eine Schlüsselrolle für die Entwicklung der personalisierten Medizin. Der Fortschritt steht und fällt jedoch mit dem Zugang zu Daten. Wie sich dieser für die Schweizer Pharmabranche gestaltet und wo die Chancen und Risiken generativer KI für die medizinische Diagnostik liegen, erklärt Alan Hippe, CFO und CIO von Roche.
Für Pharmaunternehmen wie Roche sind Daten ein wichtiges Kapital, um etwa Medikamente schneller und effizienter entwickeln zu können. Wie gestaltet sich für die Schweizer Pharmabranche aktuell der Zugang zu Patientendaten?
Alan Hippe: Zuerst einmal vorweg – Patientendaten sind sehr wertvoll und etwas, das wir gut schützen müssen. Diese Daten behandeln wir mit grösstem Respekt, indem wir die Privatsphäre der Patientinnen und Patienten schützen und unbefugten Zugriff verhindern. Es ist wichtig, zu betonen, dass wir keinerlei Zugang zu identifizierbaren Patientendaten haben. Leider werden sogenannte Real-World-Daten jedoch oft nicht in einer Weise erfasst, die eine einfache und effektive Auswertung ermöglicht. Dadurch wird ihr volles Potenzial kaum ausgeschöpft, was man meiner Meinung nach verbessern könnte.
Wie stellen Sie sich ein ideales Ökosystem für Gesundheitsdaten konkret vor?
Im Mittelpunkt stehen für uns immer die Patienten und Patientinnen sowie der Mehrwert, den wir für sie schaffen können. Bei einem idealen Ökosystem denke ich an eine Umgebung, in der verschiedene Gruppen wie Ärztinnen und Ärzte, Institutionen, Krankenhäuser, aber auch Universitäten und Unternehmen wie Roche eng für Patienten und Patientinnen zusammenarbeiten. Gesundheitsdaten können so ganzheitlich für Forschungszwecke genutzt und Innovationen für Patientinnen und Patienten vorangetrieben werden. Unsere Aufgabe ist es, dies so mitzugestalten, dass wir unter strengen Datenschutzauflagen Zugang zu Daten erhalten, um neue Erkenntnisse zu gewinnen. Und ich betone nochmals, dass wir hier keinen Zugang zu identifizierbaren Daten erhalten und dies ohnehin weder wollen noch brauchen. Das Ziel lautet, früher zu diagnostizieren und zielgerichteter behandeln zu können, während Forschende Zugang zu wertvollen Gesundheitsdaten bekommen, um weitere Therapien und diagnostische Tests zu entwickeln. Auch die Effizienz würde gesteigert werden, denn frühere Diagnosen und erfolgreiche Therapien führen zu Kosteneinsparungen – und das ist gut für das Gesundheitssystem in der Schweiz.
Welche Rolle könnte das elektronische Patientendossier (EPD) in solch einem Ökosystem spielen?
Wir begrüssen es sehr, dass der Bundesrat die Digitalisierung im Gesundheitswesen vorantreiben und das elektronische Patientendossier (EPD) weiterentwickeln möchte. Denn die Schweiz muss ein starker und wettbewerbsfähiger Forschungsstandort bleiben, damit die Voraussetzungen für ein qualitativ hochwertiges und nachhaltiges Gesundheitswesen gegeben sind. Und von einem integrierten EPD-System profitieren alle, Patienten und Patientinnen, Gesundheitsdienstleister und Forschende. Für uns ist es wichtig, dass die Daten für die Forschung nutzbar sind. Dazu müssen sie vollständig, zeitnah, strukturiert zugänglich und unter Einhaltung des Datenschutzgesetzes nutzbar gemacht werden. Besonders wichtig für die Digitalisierung im Gesundheitswesen ist die Datenqualität. Um diese zu gewährleisten, müssen einige Punkte besonders beachtet werden: Erstens muss die Möglichkeit zur Zusammenarbeit des Schweizer EPDs mit europäischen und anderen internationalen Standards gegeben sein, und zweitens muss das EPD als zentraler Knotenpunkt Daten aus weiteren dezentralen Datenbanken oder Registern sinnvoll verknüpfen können.
Die Schweiz hinkt bezüglich der Digitalisierung des Gesundheitswesens schon seit Langem anderen Ländern hinterher. Was bedeutet das für den Pharmastandort Schweiz?
Das ist richtig und dieser Rückstand wirkt sich direkt auf die Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz in der pharmazeutischen Forschung aus. Laut einer Studie der Universität Basel führt der fehlende Zugang zu strukturierten und qualitativ hochwertigen (Real-World-)Daten zu einer Verschiebung der Investitionen in Forschung und Entwicklung in andere Länder. Roche bekennt sich jedoch klar zum Forschungsstandort Schweiz. Ein Beispiel für unser Engagement ist das neue Forschungszentrum, das kürzlich in Basel eröffnet wurde. Basel ist als führender Standort für Life Sciences in Europa und als Hauptsitz der pharmazeutischen Industrie und Wissenschaft der ideale Ort für unser neues Forschungszentrum.
Was braucht es, um die digitale Transformation des hiesigen Health-Sektors voranzutreiben?
Roche engagiert sich stark für die Digitalisierung in der Schweiz und arbeitet eng mit allen Akteuren zusammen, damit das öffentliche Gesundheitswesen zukunftsfähig gestaltet werden kann. Momentan werden Gesundheitsdaten nicht flächendeckend strukturiert erfasst. Sie stehen also gar nicht zur Verfügung, und zweitens fehlen die infrastrukturellen, technischen und rechtlichen Grundlagen für eine Weiterverwendung von Daten. Es braucht gemeinsame Standards als Basis für Qualität bei der Datenerhebung, Fachkräfte mit gestärkter Datenkompetenz, eine nachhaltige Finanzierung für ein langfristig exzellentes Gesundheitswesen, einen konstruktiven rechtlichen Rahmen zur Förderung von Anreizen und Rechtssicherheit. Zudem ist es zentral, dass eine vernetzte Infrastruktur als Autobahn des Gesundheitssystems aufgebaut wird. Und schliesslich braucht es Akzeptanz und Beteiligung der Bevölkerung.
Künstliche Intelligenz spielt schon seit einigen Jahren eine wichtige Rolle im Kampf gegen Krebs, etwa in der diagnostischen Bildgebung. Wo genau stehen wir heute? Und wie prägt KI die Zukunft der Onkologie?
Bei Roche setzen wir die KI bereits in vielen operativen Bereichen ein, beispielsweise in der Forschung und Entwicklung, der Beschleunigung von klinischen Studien oder der Früherkennung in der Diagnostik. Bedeutende Fortschritte gibt es in der Onkologie, insbesondere in der diagnostischen Bildgebung, wo sie durch fortschrittliche Mustererkennung und Bildanalyse bei der Früherkennung und genauen Diagnose von Krebs hilft. KI-Algorithmen sind jetzt in klinische Arbeitsabläufe integriert und unterstützen Pathologen und Radiologen dabei, Krebserkrankungen mit grösserer Präzision und Effizienz zu identifizieren.
Im vergangenen Oktober gab Roche eine Partnerschaft mit AWS und Ibex Medical Analytics bekannt. Das erklärte Ziel lautet, Pathologielabore mithilfe von KI bei der Krebsdiagnose zu unterstützen. Wie kann man sich das konkret vorstellen?
Man muss sich vorstellen, dass ein Grossteil der Arbeit in der Pathologie heute noch weitgehend manuell und analog ist. Das Potenzial ist riesig, das Pathologielabor sowohl zu digitalisieren als auch innovative KI-basierte Bildanalyse-Lösungen einzuführen, die wichtige neue Einblicke in den Diagnoseprozess bringen können und ihn beschleunigen. Als Beispiel: Roche’s navify Digital Pathology ist eine leistungsstarke Workflow-Software für die Pathologie, die sowohl die Betrachtung digitalisierter Patientenproben als auch den Einsatz wertvoller KI-Lösungen erleichtert. Diese Software, die auf einer AWS-Infrastruktur aufgebaut ist, wurde entwickelt, um sowohl Roche’s KI-Lösungen als auch die Integration von KI-Algorithmen von Drittanbietern (wie Ibex) zu unterstützen. Dieses offene System gibt Pathologielaboren die Flexibilität, eine breite Palette von KI-Lösungen in ihren Laboren in einem effizienten, klinischen Workflow zu ermöglichen.
Welchen Stellenwert hat generative KI für Roche? Wie beurteilen Sie die Chancen und Risiken von generativer KI für die medizinische Diagnostik?
Das Verständnis von generativer KI, wie sie genutzt werden kann und wie sie unser Geschäft unterstützen kann, ist für uns enorm wichtig. Generative KI wird die Produktivität, Prozesseffizienz und Produktivität der Mitarbeitenden erheblich steigern, zum Beispiel durch die Automatisierung repetitiver Aufgaben, Inhaltserstellung, semantische Suche, Sprachübersetzung, Inhaltszusammenfassung oder Code-Generierung. Auch bietet generative KI grosse Möglichkeiten für die medizinische Diagnostik, indem sie die Genauigkeit und Geschwindigkeit der Erkennung einer Krankheit verbessert, personalisierte Behandlungspläne ermöglicht und die Entdeckung neuer Biomarker erleichtert. Beim ganzen Fortschritt darf man die Risiken aber nicht ausser Acht lassen – wie potenzielle Verzerrungen in den KI-Algorithmen, Datenschutzbedenken und die Notwendigkeit einer strengen Validierung, um die klinische Zuverlässigkeit zu gewährleisten. Das Ausbalancieren dieser Chancen und Risiken erfordert robuste regulatorische Rahmenbedingungen, kontinuierliche Überwachung und Zusammenarbeit zwischen allen Akteuren
Zur Person
Dr. Alan Hippe ist Chief Financial & Information Officer der Roche-Gruppe und Mitglied des Verwaltungsrats der Zürcher Jacobs Holding. Frühere Stationen seiner Karriere umfassen Leitungsfunktionen in der Flughafen-, Stahl- und Automobilindustrie.