Editorial

Ein altes Buch gegen neue Ängste

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(Source: Netzmedien)
(Source: Netzmedien)

Es war der beste Ratschlag, den ich jemals von einem Mathe-Lehrer bekommen habe. Ein einfacher Buchtipp, durch den ich allerdings fast meinen Schulabschluss vergeigt hätte. Der Lehrer hatte es an die Wandtafel gekritzelt: Douglas Adams: The Hitchhiker's Guide to the Galaxy.

Die Ferien waren eigentlich dazu da, für die Maturaprüfungen zu lernen. Eine Tatsache, die ich wochenlang erfolgreich verdrängt hatte. Da bekam ich dieses Buch in die Finger: ein Sammelband mit allen fünf Romanen auf 1102 Seiten. Keine zehn Tage später, ich war mit dem Buch schon fast durch, beschlich mich ein zwiespältiges Gefühl. Mir wurde klar, dass ich verloren war. Denn die Zeit zum Büffeln reichte nicht einmal mehr für die hochgepokerten Lernziele aus – also für jene Inhalte, von denen ich annahm, dass die Lehrer sie mit hoher Wahrscheinlichkeit abfragen würden. Trotzdem blieb ich erstaunlich gelassen. Ich las das Buch zu Ende und legte mir einen Plan zurecht: einen maximal pragmatischen Zeitplan. Der ging erstaunlich gut auf – bis zur mündlichen Spanischprüfung.

Von vier Büchern auf der Liste hatte ich eines gelesen. Im Nach­hinein betrachtet, war es das falsche Buch. Das merkte ich 15 Minuten vor Beginn der Prüfung, als ich erkannte, dass mir der Textausschnitt auf dem A4-Blatt mehr als Spanisch vorkam.

Erst wurde mir schlecht, dann ging ich meine Optionen durch. Feueralarm? Zu drastisch. Abhauen? Keine Lösung auf Dauer. Die Angst kroch in mir hoch, doch dann fand ich so etwas wie eine innere Ruhe. Ich dachte an Douglas Adams – an das, was seinen Büchern zufolge die nützlichste Sache der Welt ist: ein Handtuch. Arthur Dent, der Hauptprotagonist der Buchreihe, nutzte es für alles Mögliche, ­unter anderem für das gute alte Ablenkungsmanöver. Da wusste ich, mir bleibt nur eine Möglichkeit: ein Filibuster – pausenlos schwadronieren, egal worüber. Hauptsache, das Gegenüber kommt nicht zu Wort.

Das Ergebnis war durchzogen. Die Lehrerin wusste, dass etwas faul war – spätestens dann, als ich vom Spanischen Bürgerkrieg ­faselte, der mit dem Buch offensichtlich nichts zu tun hatte. Sie war, wie sie mir nach der Prüfung sagte, "no contenta". Ich war es hingegen sehr wohl. Denn ich war als Einfaltspinsel rein- und als Glückspilz wieder rausgekommen.

Was mich vor der Prüfung beruhigte, war übrigens nicht der Einfall mit dem Handtuch, sondern der Gedanke an die Geschichten von Douglas Adams. Es sind absurde, humorvolle Geschichten, die dennoch vieles von der Realität widerspiegeln – wenn auch verzerrt. Zum Beispiel die Geschichte vom manisch-depressiven Roboter. Oder die vom Planeten Erde, der nichts weiter ist als ein Supercomputer – mit der Aufgabe, die Frage aller Fragen zu formulieren. Oder der Babelfisch, der mittlerweile zum Sinnbild für maschinelle Übersetzung geworden ist. Und natürlich der kosmische Reiseführer, auf dessen Umschlag in grossen, freundlichen Lettern geschrieben steht: "don't panic".

Heute darf man so etwas nicht zynisch verstehen. Denn die Angst vor dem Coronavirus ist ernst zu nehmen. Den Menschen, die sich Sorgen machen, muss man zuhören. Und wir müssen lernen, mit neuen Ängsten umzugehen. Das wird eine Weile dauern. Ein Patent­rezept gibt es nicht. Aber hin und wieder kann eine Prise Satire dafür sorgen, dass man die Dinge plötzlich anders sieht. Manchmal hilft das schon.

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