Wild Card von Daniel Liebhart

Peak Performance

Uhr

Unsere Vorhaben sind anspruchsvoll und schwierig zu planen und noch schwieriger zu steuern. Das hat einen tiefen Grund. Wir unterschätzen den Unterschied zwischen langsamen und schnellen Teams. Er ist viel grösser, als wir denken.

(Source: dwara/Adobestock.com)
(Source: dwara/Adobestock.com)

Die Qualität unserer IT hängt von der Leistungsfähigkeit der Menschen ab, die Software und Hardware konzipieren, bauen und betreiben. In der Planung unserer Vorhaben und bei der Gestaltung unserer IT-Organisationen gehen wir immer von einer stabilen Performance von Teams und Individuen aus. Das ist ein Irrtum. Der Unterschied zwischen den Schnellen und den Langsamen ist enorm. 

Individuelle Leistungsfähigkeit

Das legendäre Experiment von Eugene Grant und Harold Sackman hat bereits vor knapp 60 Jahren bewiesen, wie gross der Unterschied zwischen schnellen und langsamen Entwicklern ist. 12 Personen erhielten in einem kontrollierten Experiment dieselbe Aufgabe: das Finden von Fehlern in einem kurzen Programm. 6 Stunden brauchte der Schnellste, 170 Stunden der Langsamste – also 28-mal länger. Lange Zeit galt in unserer Branche diese Zahl als Faktor für "zwischenmenschliche Leistungsunterschiede". Inzwischen sind wir etwas klüger. Lutz Prechelt, Professor für Informatik an der Freien Universität Berlin, stellte im Rahmen seiner "empirischen Studie über Unterschiede in der Arbeitsgeschwindigkeit zwischen Software-Ingenieuren für verschiedene Aufgabentypen" 2020 fest, dass die Unterschiede je nach Tätigkeit mehr oder weniger gross sind. Der Unterschied zwischen den Schnellen und den Langsamen ist für das Programmieren und Debuggen am grössten, während die Abweichung für Unterhalt und Problemerfassung kleiner ausfällt. Er hat dafür viele Ergebnisse von Experimenten untersucht und statistisch bereinigt. Und immer noch sind die Zahlen erschreckend. Selbst im Durchschnitt brauchen die Langsamen 7-mal länger als die Schnellen.  

Team Performance

In einem Team können sich diese Faktoren verstärken. Das führt dazu, dass der Unterschied zwischen langsamen und schnellen Teams grösser ist als der Unterschied der Leistungsfähigkeit der einzelnen Teammitglieder. Erfahrung, Fertigkeit, Kompetenz, Motivation, Präsenz und Klarheit Einzelner sind entscheidend für die Team-Performance. Das belegen Edna Dias Canedo und Giovanni Almeida Santos, zwei Wissenschaftler der Universidade de Brasilia, in ihrer umfangreichen Untersuchung "Factors Affecting Software Development Productivity". Ihr Fazit: 37 Faktoren beeinflussen die Produktivität in der Softwareentwicklung, die Team-Performance spielt eine zentrale Rolle. Was für Software gilt, gilt für die ganze IT und mehr und mehr auch für weite Teile der Wirtschaft. Die Beratungsfirma McKinsey spricht sogar von einen Developer Velocity Index (DVI), der die Leistungsfähigkeit eines Unternehmens bestimmt. 46 Treiber in 13 Dimensionen bestimmen den DVI. Das Resultat der Untersuchung von 440 Unternehmen, die in 12 verschiedenen Branchen tätig sind: ein 4- bis 5-mal grösseres Umsatzwachstum für Unternehmen mit DVI im obersten Segment. 

Wo wir heute stehen

Heute verstehen wir besser, was ein hoch-performantes Team ausmacht. Und wir können viel präziser messen. Weg von Lines of Code hin zu Durchlaufzeiten, Lieferfrequenz und Fehlerraten. Fokus ist die Erhöhung der Leistungsfähigkeit der Teams. "Acceleration" ist das Motto des aktuellen "State of DevOps Report 2023". Teamleistung wird da als die Fähigkeit beschrieben, Werte zu schaffen, innovativ zu sein und zusammenzuarbeiten. Und die gilt es systematisch zu verbessern. Dabei vergessen wir, dass die Unterschiede zwischen langsamen und schnellen Individuen und Teams grösser sind, als wir es wahrhaben wollen. Wir sollten diese Erkenntnisse in unsere Verfahren für belastbare Planungen, Schätzungen und Budgets miteinbeziehen und klar in Team-Performance-Szenarien denken.
 

Webcode
fGjHm3XD