Ethik und Agilität: So war das Service Management Forum Schweiz
Das Service Management Forum Schweiz hat gezeigt, wie vielfältig die Welt des IT-Service-Managements ist. Rund 250 Besucher diskutierten über Ethik, Prozesse und Selbstorganisation. "In zehn Jahren brauchen uns die Computer wohl nicht mehr", sagte Zukunftsforscher Gerd Leonhard.
Am 25. Oktober hat im World Trade Center in Zürich das Service Management Forum Schweiz stattgefunden. An der Veranstaltung, die früher ITIL-Forum Schweiz hiess, waren rund 250 Besucher anwesend. Der Event drehte sich um das Service Management in Unternehmen und behandelte Themen wie Agilität, Blockchain, Devops, künstliche Intelligenz und neue Arbeitsformen.
Martin Andenmatten, Gründer von Glenfis und Mitorganisator des Service Management Forum Schweiz (Bild: Netzmedien)
Die Keynote hielt Sönke Björn Vetsch, CEO bei Noumena Digital. Er hat über 25 Jahre Erfahrung als CIO und Vorstand und machte folgende Aussagen:
Viele Unternehmen sind immer noch zentralisiert und hierarchisch unterwegs, die Märkte sind aber eher dezentral und chaotisch.
In Unternehmen gibt es heute sehr viele Silos und heterogene Prozesse. Die Blockchain kann helfen, diese aufzubrechen und zu reformieren.
Wir leben in einer Misstrauensgesellschaft mit Misstrauenstechnologien. Darum braucht es die Blockchain – sie schafft Vertrauen ohne Drittpartei.
Sönke Björn Vetsch, CEO bei Noumena Digital (Bild: Netzmedien)
2019 könnten sich «Smart Protocols» etablieren. Sie erlauben im Gegensatz zu «Smart Contracts» auch Fehler. «90 Prozent eines Unternehmens ist das Vertragswesen», sagte Sönke Björn Vetsch.
«Die Geschäftleitung versteht die Blockchain in 3 Stunden. Bei der IT-Abteilung dauert es 3 Wochen», scherzte Vetsch.
Robert Sieber, Gründer von Servicenerd und Senior Consultant, sprach über Stolpersteine auf dem Weg zum Multiprovider-Management:
Sieber verglich Service-Architekturen mit Lego-Klötzchen. Beide funktionieren wie ein Baukasten.
Die Kooperation mit Serviceprovidern, die Konkurrenten sind, ist komplex. Unternehmen sollten alle Provider in einem Raum zusammenrufen, um gemeinsam operative, taktische und strategische Lösungen zu finden.
Robert Sieber, Gründer von Servicenerd und Senior Consultant (Bild: Netzmedien)
«Qualität heisst für jeden etwas anderes. Reden Sie mit den Fachbereichen und definieren Sie gemeinsam, was Qualität ist», sagte Sieber.
Provider, die nicht bereit sind, ihre Service Level Agreements (SLAs) auf Kundenwunsch anzupassen, sind die falschen Partner.
SLAs sind aus Providersicht vor allem eine Absicherung gegen Risiken.
Unternehmen sollten ihre Provider möglichst früh in neue Projekte und in die Entwicklung neuer Lösungen integrieren.
«Bauen Sie Fähigkeiten und Prozesse auf und steuern Sie Ihre Provider, nicht umgekehrt», sagte Sieber.
Suzanne Van Hove, Lead Author bei VeriSM und CEO und Gründerin von SED-IT, referierte auf Englisch. Sie sprach über das VeriSM-Modell. Die Abkürzung steht für value-driven, evolving, responsive und integrated Service-Management:
Unternehmen, die nur auf Technologie achten, werden keinen Erfolg haben. Die Technologie muss ein Teil der grösseren Strategie sein.
Der Kunde gibt die Richtung für die Serviceprovider vor.
Suzanne Van Hove, Lead Author bei VeriSM und CEO und Gründerin von SED-IT (Bild: Netzmedien)
Unternehmen müssen heute sehr agil sein und schnell ihre Strategie ändern können. Das VeriSM-Modell soll dabei helfen.
Agil sein heisst, schnell denken zu können, schnell Probleme lösen zu können, viele neue Ideen zu haben und diese auch auszuprobieren.
Auch Reto Schmid, Leiter des IT-Service-Desks der SBB, war vor Ort. Die SBB setzen im Desk auf weniger Hierarchien und mehr Selbstorganisation. Schmid startete die Initiative 2016. Mit 60 Mitarbeitern, ohne externe Hilfe, und ohne die Geschäftsleitung zu informeiren. Mittlerweile ist diese mit im Boot – das neue Arbeitsmodell ist seit Juli 2017 im Einsatz. Schmid machte folgende Aussagen:
Agilität und Selbstorganisation sind nichts Neues, das hatten wir schon mal. Mit dem Taylorismus rückten Firmen aber wieder davon ab.
Der IT-Service-Desk der SBB ist nach dem SELF-Prinzip organisiert: Selbstorganisation, Eigenverantwortung, Leidenschaft, Flexibilität.
Jede Selbstorganisation braucht einen klaren Rahmen, da sich die Mitarbeiter sonst gar nicht bewegen. «Die wenigsten verlassen den Käfig», sagte Schmid. «Die Türe ist offen, aber die Leute gehen nicht raus.»
Reto Schmid, Leiter des IT-Service-Desks der SBB (Bild: Netzmedien)
Selbstorganisation braucht Neugierde. Alles darf hinterfragt werden.
Selbstorganisation braucht Geduld und Vertrauen.
Wer auf Selbstorganisation setzt, spürt Gegenwind. Da muss man durch.
«Wir haben verlernt, miteinander zu sprechen», sagte Schmid. «Wir müssen den Mitarbeitern aufzeigen, was eine gute Diskussionskultur ist.»
Selbstorganisation heisst, Konflikte auszutragen.
Achte auf dein Gegenüber! Wahrnehmung ist Wertschätzung.
Nur wer Fehler macht, kann sich auch verbessern.
Selbstorganisation und mehr Agilität ohne die Unterstützung der Geschäftsleitung? «Das können Sie vergessen», sagte Schmid.
Am Nachmittag gab es diverse Impulsreferate parallel. Die Redaktion besuchte das von Georg Langlotz, CST Service Delivery EMEA und Schweiz bei Credit Suisse. Er zeigte auf, wie künstliche Intelligenz IT-Abteilungen durchrüttelt:
Die Haupttreiber für den Einsatz von künstlicher Intelligenz (KIs) in Firmen sind mehr Stabilität, eine höhere Kundenzufriedenheit, eine schnellere Time-to-Market und Dienste und Lösungen, die besser skalieren.
«NoOps ist keine Option», sagte Langlotz – auch nicht mit KIs.
Georg Langlotz, CST Service Delivery EMEA und Schweiz bei Credit Suisse (Bild: Netzmedien)
AIOps sei hingegen sinnvoll. Firmen sollten KIs unterstützend einsetzen.
Projekte sollten klein starten, etwa mit 1 bis 2 Apps, Anwendungen oder Use Cases. Funktioniert das Experiment, kann es ausgedehnt werden.
«Das grösste Problem in vielen Unternehmen ist die schlechte Qualität der vorhandenen Daten», sagte Langlotz.
«The AI powered Enterprise - Good News from the Future», versprach Oliver Lindner. Er arbeitet als KI- und Service-Management-Experte bei Continental IT und machte folgende Aussagen:
Unternehmen, die erfolgreich sein wollen, sollten sich mit folgenden Themen beschäftigen: Serviceorientierung, End-to-end-Prozesse und –Services, Plattform-Ökonomie, Vernetzung, Internet of Everything.
Oliver Lindner, KI- und Service-Management-Experte bei Continental IT (Bild: Netzmedien)
Die Herausforderungen liegen nicht nur in der Technologie, sondern vor allem auch in der Führung von Menschen und in den Prozessen.
«Effizienz ist für Roboter, nicht für Menschen. Automatisieren Sie!»
Am Nachmittag gab es eine Podiumsdiskussion mit Hannes Lubich, Professor für ICT System und Service Management an der FHNW, Martin Thalmann, Product Owner Agile Coaching und Enabling Squad bei Swisscom, Reto Schmid und Mathias Traugott, CEO von Punctdavista. Die Diskussion verlief sehr intensiv.
«Ich habe 30 Jahre lang hart dafür gekämpft, dass die ITler endlich ihre Prozesse einhalten. Und jetzt sagen sie mir, dass sie das nicht mehr interessiert, da ja nun alles agil ist», sagte Lubich. Er scherzte auch über die bimodale IT, die das Analystenhaus Gartner propagiert. «Sowas therapiert man normalerweise.»
Die Frage sei nicht, ob Firmen agil seien oder nicht, sondern wie stark die Agilität ausgeprägt sei. Viele Unternehmen würden zu stark zwischen den beiden Polen hin- und herspringen. «Agile Projekte scheitern oft, wenn Einzelinteresse zu stark gewichtet werden, und wenn sie Bottom-up statt Top-down organisiert sind.»
Die Podiumsdiskussion am Service Management Forum Schweiz (Bild: Netzmedien)
Die Verträge in Firmen seien meist nicht geeignet für agile Sprints. Es brauche mehr Verbindlichkeit der Vertragspartner über ihre Rolle im Projekt. Das Design einer Lösung könne zwar durchaus agil sein, die Ausführung aber eher nicht. «Prozessabweichungen sind die Definition von Agilität», so Lubich.
«Agilität braucht ganz wenig IT-Service-Management, und das, was es braucht, kann man zu einem grossen Teil automatisieren», sagte Martin Thalmann. In Projekten sei es heute wichtig, die Feedback-Loops schneller zu gestalten. «Wenn wir uns auf Verträge berufen müssen, ist es sowieso schon zu spät», sagte Thalmann. Zu srikte Verträge würden eine Scheingenauigkeit vorspielen, die gar nicht möglich sei. Darum brauche es ein gewisses Mass an Agilität.
«Ich will mein Geld nicht auf einer Bank haben, die nur agile Prozesse hat», sagte Mathias Traugott. Agilität sollte man da forcieren, wo das Risiko klein ist. «Es geht immer wieder vergessen, dass Agilität sehr viel Disziplin fordert.»
Zum Schluss des Events – kurz vor der Vergabe des Service Management Schweiz Awards – referierte Gerd Leonhard. Er ist Futurist, Autor und CEO der The Futures Agency in Zürich und machte spannende Aussagen über die Zukunft:
Wir müssen dringend eine gute Balance finden zwischen Mensch und Maschine. Zwischen dem, was möglich ist, und dem, was gut ist.
In zehn Jahren brauchen uns Computer wohl nicht mehr.
Wenn unsere Gesundheitsdaten in die Cloud ziehen, könnten wir 2 Millionen Leben pro Jahr retten. Aber was passiert, wenn Ihre DNA in der Cloud gestohlen wird? Cloud Everything bringt grosse Herausforderungen bezüglich Sicherheit und Ethik.
Grosse Onlineplattformen wie Facebook, Google und Co. machen jeden Tag digitale Kopien von uns. Das ist aus ethischen Gründen heikel.
Mit Voice Analytics kann man heute sagen, ob Menschen heterosexuell oder homosexuell sind. «Cortana und Co. sind Stasi-in-a-Box.»
Gerd Leonhard, Futurist, Autor und CEO der The Futures Agency in Zürich (Bild: Netzmedien)
Laut Gartner sind digitale Ethik und Privacy strategische Trends für 2019.
«Je mehr Rechte wir haben, desto weniger Gewinn machen die Technologieunternehmen», sagte Leonhard.
Technologie wird keine sozialen und politischen Probleme lösen, sondern Kapital anhäufen. «Es gibt keine App für Migration», so Leonhard.
«Die Zukunft des Autos ist, kein Auto zu besitzen.»
«Politiker sollten einen Zukunftsführerschein machen müssen.»
Technologie hat keine Ethik, sie ist moralisch neutral. Ethik definiert den Unterschied zwischen der Macht, etwas tun zu können, und der Entscheidung, das Richtige zu tun.
Wir brauchen einen digitalen Ethik-Rat. Denn Gesellschaften werden von Technologien getrieben, aber von Menschlichkeit definiert.
Es gibt heute weltweit rund 32 Millionen Social-Media-Manager und -Experten. Vor zehn Jahren gab es noch keinen einzigen.
«Wir müssen Technologie umarmen, aber nicht Technologie werden», sagte Leonhard zum Schluss seines Referats.