Interview mit Nicolas Ehses

Swisscom: "Mit 5G planen wir bis Ende Jahr die ganze Schweiz abzudecken"

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von Oliver Wietlisbach, Watson

Warum schaltet Swisscom das 2G-Netz ab? Und was bringt uns das neue 5G-Netz? Nicolas Ehses, Leiter Strategie des Bereichs IT, Netz & Infrastruktur bei der Swisscom, gibt Auskunft.

Nicolas Ehses plant bei Swisscom den Netzausbau. Sein grosses Thema im Moment: 5G. (Source: swisscom.ch/x-default)
Nicolas Ehses plant bei Swisscom den Netzausbau. Sein grosses Thema im Moment: 5G. (Source: swisscom.ch/x-default)

Swisscom schaltet Ende 2020 das über 25 Jahre alte 2G-Netz ab. Was bedeutet das für die Kunden?

Nicolas Ehses: Wer dann noch ein 2G-Handy hat, wird es nicht mehr nutzen können. Davon sind aber nur sehr wenige Kunden betroffen. Schon heute nutzen nur noch zehn Prozent das 2G-Netz, bis Ende 2020 werden es wohl nochmals deutlich weniger sein. Zum Vergleich: 75 Prozent nutzen heute 4G. Wir glauben daher, dass Ende 2020 der richtige Zeitpunkt für die Umnutzung des 2G-Netzes gekommen ist. Die Betroffenen werden natürlich vorab informiert.

Wird das 2G-Netz abgeschaltet, um freie Kapazität für das neue 5G-Netz zu haben?

Vermutlich werden wir die freien Frequenzen für das kommende 5G-Netz umnutzen. Die 2G-Abschaltung hilft aber nur sehr beschränkt, Kapazität für den 5G-Aufbau freizukriegen. 5G ist also sicher nicht der einzige Grund für die Abschaltung. Wir haben einfach gesehen, dass 2G immer weniger genutzt wird und wir möchten die knappen Frequenzen optimal nutzen.

Was genau habe ich als Handy-Nutzer von der geplanten Umnutzung des 2G-Netzes?

Wir modernisieren und verbessern unser Netz laufend und das alte 2G-Netz ist ein Stromfresser. Umgekehrt ist das 4G-Netz viel effizienter und es wird immer stärker genutzt. Beim neuen 5G-Netz rechnen wir ebenfalls mit einer starken Nachfrage. Die Umnutzung von 2G für modernere Netze ist also im Kundeninteresse, da so beispielsweise die Sprachqualität steigt. Störende Hintergrundgeräusche können herausgefiltert werden, was im 2G-Netz nicht geht.

Warum braucht es 5G überhaupt? Die meisten Kunden sind doch mit 4G völlig zufrieden.

Der Datenverkehr verdoppelt sich etwa alle 18 Monate, was zu 70 Prozent auf Video-Streams zurückzuführen ist. Bis 2025 rechnen wir mit einer Verzehnfachung der Datenmenge, es braucht also mehr Kapazitäten. 5G ist darüber hinaus weit zuverlässiger als ältere Mobilfunk-Technologien.

Das heisst konkret?

Der neue Mobilfunkstandard ist weniger störungsanfällig und es können pro Funkzelle viel mehr Geräte gleichzeitig versorgt werden. 5G ist daher prädestiniert für kritische Anwendungen. Wir können beispielsweise während der Street Parade einen Teil des Netzes für kritische Dienste wie die Ambulanz priorisieren, so dass der Notfalldienst immer erreichbar bleibt. Ein anderes Beispiel: In der Warenlogistik ist es mit 5G möglich, den Standort tausender Pakete, Container etc. in Echtzeit zu tracken. 4G oder WLAN wären dafür zu wenig zuverlässig und auch zu langsam. Und glauben Sie mir, schlaue Köpfe werden in Zukunft noch ganz andere Anwendungen erfinden, die sich erst mit 5G realisieren lassen.

Das kann gut sein, aber welche Vorteile haben private Nutzer von 5G?

Bei 5G ist die Latenz, also die Verzögerung bei der Datenübertragung, praktisch null. Ein Beispiel: Video-Anrufe werden künftig viel flüssiger laufen. Diese unangenehmen Momente, wenn wegen der Verzögerung beide gleichzeitig zu sprechen beginnen, wird es mit 5G kaum mehr geben. 5G ermöglicht auch neue Anwendungen wie etwa den von Google angekündigten Game-Streaming-Dienst Stadia. Unterwegs im Zug Spiele in höchster Bildqualität ohne spürbare Verzögerung bei der Steuerung auf ein Smartphone zu streamen, das geht nur mit 5G.

Auch Konkurrent Sunrise will per Ende März 150 Schweizer Orte mit 5G erschliessen, als Alternative zur Glasfaser. Mehr dazu erfahren Sie hier.

Swisscom sagt, die bisherigen Mobilfunk-Antennen hätten kaum noch Kapazität für 5G frei. Rasch Tausende neue Antennen bauen, dürfte ebenfalls schwierig werden. Wie wollen Sie trotzdem ein flächendeckendes 5G-Netz hinbekommen?

Der Netzausbau ist ein kontinuierlicher Prozess. Wir erstellen und modernisieren jährlich rund 300 Mobilfunk-Antennen. Dazu kommen etwa gleich viele Kleinantennen, die zum Beispiel zentrale Plätze mit besonders grossem Menschenaufkommen zusätzlich abdecken. Mit 5G planen wir bis Ende Jahr die ganze Schweiz – Stadt, Land und die Bergregionen – abzudecken. Tatsache ist aber auch, dass wir aufgrund des Strahlenschutzgrenzwertes nicht überall die maximal mögliche Geschwindigkeit anbieten werden können.

Sie stellen also für die ganze Schweiz 5G in Aussicht, aber viele davon erhalten gar nicht wirklich 5G-Speed ...

Die Geschwindigkeit wird nicht überall gleich sein. 5G hat aber zahlreiche weitere Vorteile, nehmen Sie etwa die bessere Latenz. Ich glaube, alle Kunden werden merkliche Verbesserungen spüren – allerdings unterschiedlich ausgeprägt.

Bei 5G werden von den Mobilfunkanbietern ganz unterschiedliche Geschwindigkeiten genannt. Wie schnell ist 5G bei Swisscom tatsächlich?

Wir haben Frequenzen in unterschiedlichen Wellenbereichen ersteigert. Im schnellen Hochfrequenzbereich erreichen wir beim Start des 5G-Netzes bis zu 2 Gbit pro Sekunde (2000 Mbit/s). Wenn der Bund in einigen Jahren weitere Frequenzen versteigert, liegen Geschwindigkeiten von 3 oder 5 Gbit/s drin, aber das ist noch Zukunftsmusik (für Details siehe Infobox am Ende des Artikels).

Steht diese Geschwindigkeit auch in Innenräumen zur Verfügung?

Die maximale Geschwindigkeit wird zunächst vor allem im Freien mit den hohen Frequenzen erreicht. Die Versorgung von Innenräumen wird Swisscom mit niedrigeren Frequenzen sicherstellen. Wir schaffen mit 5G die Kapazitäten zuerst da, wo die Datennutzung über Mobilfunk stark steigt, nämlich in den Städten. Wo notwendig, werden wir auch das Netz mit Kleinzellen ergänzen – im Inneren von Gebäuden und auch im Freien. (Anm. d. Red.: Kleinzellen sind Funkbasisstationen mit geringer Ausgangsleistung.)

Anders gesagt: Jene Frequenzen, welche die schnellste Geschwindigkeit erlauben würden, gelangen ohne Zusatzantennen gar nicht in die Gebäude.

Wir nutzen unterschiedliche Frequenzen mit unterschiedlichen Eigenschaften. Die neu ersteigerten Frequenzen im tiefen Bereich von 700 MHz breiten sich gut aus, haben also eine hohe Reichweite und gelangen sehr gut in Gebäude. Damit kommen wir sogar in den Keller. Die Frequenzen im mittleren Bereich von 1400 MHz gelangen etwas schlechter in Gebäude, dafür können mehr Daten übertragen werden. Das dritte, hohe Frequenzband im Bereich von 3.5 GHz erlaubt die schnellste Datenübertragung von bis zu 2 Gbit pro Sekunde. Diese Frequenzen breiten sich aber tatsächlich schlechter aus und gelangen ohne Signalverstärker nicht in Innenräume. Wir werden die hohen Frequenzen vor allem da einsetzen, wo unsere Kunden den höchsten Bedarf haben und die niedrigen Frequenzen für eine landesweite Abdeckung.

Gut zu wissen:

5G ist wie jedes andere Mobilfunk-Netz ein «shared medium». Das heisst, die maximale Bandbreite wird auf alle Geräte in einer Funkzelle aufgeteilt. Die maximale Geschwindigkeit ist immer das Produkt aus zwei Faktoren: Aus der Technologie, also 5G, und der Menge der verfügbaren Frequenzen. Der 5G-Standard definiert, wie viele Daten (Mbit) pro Megahertz (MHz) übertragen werden können.

Die Technologie stösst an ihre Grenzen und wird nicht beliebig schneller, aber mit der nun erfolgten Versteigerung der 5G-Frequenzen stehen Swisscom rund doppelt so viele Frequenzen, sprich die doppelte Kapazität, zur Verfügung. Die Kapazität für mehr Datenverkehr kann also mit neuer Technologie (5G statt 4G), zusätzlichen Antennen und mehr Frequenzen erweitert werden. (oli)

Dieses Interview erschien zuerst auf "Watson.ch".

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