Thomas Zwahlen über digitale Spitäler, zögerliche Politiker und neue Herausforderungen
Thomas Zwahlen berät als Managing Partner von Indema Spitäler und öffentliche Verwaltungen in Sachen IT und ist Gastgeber des Digital Economic Forum. Ein Gespräch über Wunsch und Wirklichkeit in der Digitalisierung des Gesundheitswesens, seine aktuellen Projekte und den Wandel der Arbeitswelt im digitalen Zeitalter.
Was macht einen guten IT-Berater aus?
Thomas Zwahlen: Das Beratungsumfeld hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Viele unserer Kunden beschäftigen heute eigene Beraterinnen und Berater. Das erscheint zwar auf den ersten Blick effizienter und günstiger, kann aber insbesondere bei fachlich und politisch komplexen Projekten zu Know-how- oder Erfahrungslücken führen, was in Projektverzögerungen und Kostenüberschreitungen resultieren kann. Gute Beraterinnen und Berater zeichnen sich durch eine zeitgemässe Aus- und Weiterbildung, Flexibilität und Empathie aus. Methodenkenntnis, strukturiertes Arbeiten und Technologie-Know-how gehören zum Rüstzeug. Wir legen grossen Wert darauf, dass unsere Beraterinnen und Berater eng mit den Kunden zusammenarbeiten. Wesentlich ist auch die Fähigkeit, klar, zeitnah und transparent an alle am Projekt beteiligten Personen und Ansprechgruppen zu kommunizieren. In der Projektarbeit muss ein Berater oder eine Beraterin verbindlich sein und die Versprechen einhalten.
Sie haben im September 2017 das IT-Beratungsunternehmen Indema gegründet. Was hat sich seither getan?
Den operativen Betrieb haben wir vor gut einem Jahr, im März 2018, aufgenommen. Wir konnten die Marke Indema im Markt erfolgreich positionieren, eine stabile Mitarbeiterbasis aufbauen und tragfähige Partnerschaften etablieren. Meistens arbeiten wir vor Ort bei unseren Kunden, schätzen aber die Rückzugsmöglichkeit in unsere Büros mit modernster Infrastruktur in Zürich. Für alle Deutschschweizer Universitäts-, grosse Kantonsspitäler sowie für mehrere städtische und kantonale Verwaltungen konnten wir Projekte realisieren und so den Grundstein für langfristige Beziehungen mit unseren Kunden und ein nachhaltiges Wachstum legen.
Indema hat sich auf die Digitalisierung von Spitälern spezialisiert. Wo besteht hier Ihrer Meinung nach der grösste Nachholbedarf?
Wir beraten zwei Branchen: Spitäler und öffentliche Verwaltungen. In vielen dieser Organisationen ist das grosse Digitalisierungspotenzial offensichtlich. Der vermutlich am häufigsten genannte Grund für den Nachholbedarf sind die Regulierung und scheinbar notwendige Abstimmungen über die föderalen Ebenen hinweg. In beiden Branchen sind aber ein starker Drang und viele Absichtserklärungen, «digital» zu werden, spürbar. Es gibt aber sehr unterschiedliche Vorstellungen davon, was Digitalisierung bedeutet.
Können Sie das an einem Beispiel erläutern?
Beispielsweise haben wir in einigen Spitälern immer noch handschriftliche Patientenakten und führen gleichzeitig hochspezialisierte Prognose-(Prädiktions-)Lösungen ein und sind in der Lage, aus gigantischen Datenmengen präzise, personifizierte Therapien anzubieten. In Verwaltungen wird in nächster Zeit viel in Bürgerservices, in die Vernetzung sowie in durchgängige Prozesse investiert. Die heute verfügbaren, enormen Datenmengen werden noch nicht so genutzt, wie es möglich wäre. Einen grossen Nachholbedarf sehe ich deshalb beim Datenmanagement und in den Bereichen Datenschutz und -sicherheit.
Wo sehen Sie die Potenziale von digitalen Instrumenten für das Gesundheitswesen?
Das Delta zwischen den lokalen, herausragenden Forschungs- und Lehrinstituten wie ETH, Universitäten und Fachhochschulen und der operativen Umsetzung bei unseren meist öffentlich-rechtlichen Kunden in Bereichen wie Big Data, Artificial Intelligence und Machine Learning, virtuellen Realitäten und Data Science könnte nicht grösser sein.
Wo könnte man ansetzen?
Eine grosse Herausforderung sehe ich in den bestehenden Spital-IT-Architekturen, die ein Sammelsurium von Silolösungen darstellen. Mit den heute zur Verfügung stehenden Instrumenten und Werkzeugen könnte eine virtuelle Vernetzung dieser Systeme und damit Prozessoptimierungen erwirkt werden. Dafür fehlt jedoch häufig der interne politische Wille. Die Datenbewirtschaftung kann definitiv fundamental optimiert werden.
Einige Beobachter gehen davon aus, dass das Schweizer elektronische Patientendossier (EPD) von Lösungen grosser IT-Konzerne wie Google überholt wird. Wie sehen Sie das?
Meiner Meinung nach haben wir in der Schweiz mit ihrem föderalen System den Zug von übergeordneten Lösungen wie dem EPD fast schon verpasst. Beispielhaft zeigt sich das bei der elektronischen Identität, für die die Politik bis heute keine Lösung präsentiert hat. Eine solche wäre für die breite Akzeptanz von E-Health- und E-Government-Anwendungen wichtig. Private Datensammlungen und Dossiers werden dank der einfachen Handhabung mit mobilen Geräten immer häufiger bei GAAFA (Google, Apple, Alibaba, Facebook, Amazon) angelegt und verwaltet.
Woran liegt das?
Die Entwicklung von Kundenlösungen dauert in der Schweiz oft viel zu lange, weil «perfekte» Lösungen angestrebt und oft zu viele Stakeholder einbezogen werden. Der harzige Aufbau der EPD-Infrastruktur zeigt für mich exemplarisch, dass zum Beispiel der Bund eine klare, verbindliche Führungsrolle übernehmen müsste.
Vor wenigen Wochen haben Sie mit Inspirata wieder eine Firmengründung vollzogen. Was macht Ihre neue Firma?
Inspirata zählt in den USA zu den Marktführern für digitale Pathologie und Cancer Informatics. In der Schweiz gibt es Kunden, die schon mit solchen Lösungen arbeiten. Aus der lokalen Gesellschaft werden wir vorerst die Kunden im deutschsprachigen Europa bei der Implementierung und Weiterentwicklung betreuen. Die erzeugten Daten können spitalübergreifend genutzt werden. Darin sehen wir ein immenses Potenzial für bessere Forschung und effizientere Therapien. Damit kann die Behandlungsqualität positiv beeinflusst werden. Die Leistungen der Indema und der Inspirata Europe ergänzen sich optimal. Unsere Kunden können so von einer noch breiteren Werkbank profitieren. Notabene ist es für unsere Beraterinnen und Berater eine spannende Erweiterung des Tätigkeitsfeldes.
Was hat Sie motiviert, diese neuen Engagements einzugehen?
In den letzten Jahren habe ich beobachtet, dass immer noch viel alter Wein in neuen Schläuchen verkauft und leider teilweise bei unseren Kunden auch umgesetzt wird. Beispielhaft denke ich hier an Ausschreibungsunterlagen, die häufig basierend auf sogenannten «bewährten» Funktionskatalogen zusammenkopiert werden; ohne dabei neue technologische Möglichkeiten genügend zu berücksichtigen. Die rasche Entwicklung neuer Technologien fordert neue Beratungsmodelle, die einerseits Bewährtes behalten, andererseits aber weit Vorausschauendes unterstützen. Wir wollen zusammen mit unseren Forschungs- und Wirtschaftspartnern genau hier ansetzten und bessere Lösungen für unsere Kunden anbieten.
Wie läuft das Geschäft für IT-Beratungsunternehmen in der Schweiz aktuell?
Der Beratungsmarkt wird immer preissensitiver. Viele Leistungen werden im Ausland eingekauft. Viele Verwaltungen und Spitäler verfolgen zudem eine Internalisierungsstrategie. Für grössere Projekte wird nach wie vor viel Geld ausgegeben. Bei kleineren, spezialisierten Mandaten scheint die Preissensitivität ausgeprägter zu sein, obschon solche Projekte häufig wesentliche Grundlagen für grössere Veränderungsprozesse legen.
Sie haben das Digital Economic Forum (DEF) im April zum zweiten Mal als Gastgeber durchgeführt. Was bedeutet Ihnen die Veranstaltung?
Das DEF ist für unser Team eine hervorragende Plattform, um die verschiedenen Aspekte der Digitalisierung zu beleuchten und mit den Referentinnen und Referenten sowie den Partnern hinter die Kulissen von Forschung, Entwicklung und Praxis zu schauen. Wir diskutieren im Rahmen des DEF politische, technische, soziale, regulatorische und praktische Aspekte in einem breiten Kontext. Aufgrund der sehr positiven Rückmeldungen der Teilnehmenden schliesse ich, dass wir mit diesem Format die Bedürfnisse nach Wissenstransfer, Unterhaltung und Inspiration gut abdecken.
Und persönlich?
Vom Veranstaltungstag kann ich sehr viele Gedankenanstösse mitnehmen und in die tägliche Arbeit einfliessen lassen.
Unmögliche Hamburger vom Roboterkoch, neue Gelenke aus dem 3-D-Drucker und eine automatisierte Finanzwelt. Das und noch mehr wurde am Digital Economic Forum 2019 diskutiert, wie Sie hier lesen können.
Es ging am DEF 2019 um die Digitalisierung der Arbeitswelt. Wie verändert sich die Gesellschaft Ihrer Meinung nach durch digitale Technologie und Vernetzung?
Die aus meiner Sicht einschneidendste Veränderung wird in der Kommunikation unter Menschen stattfinden. Man kann heute schon – wenige Jahre nach Einführung mobiler Geräte und der Verbreitung von Social Media – feststellen, dass viele Menschen nicht mehr verständlich debattieren können. Die kommunikativen Aussagen werden massiv verkürzt. Philosophische und humanistische Betrachtungen könnten so in den Hintergrund gedrängt werden.
Welche Herausforderungen kommen damit auf die Schweiz zu?
Viele Schweizer glauben immer noch, dass wir zu den innovativsten Volkswirtschaften gehören. Wenn man jedoch in andere hochtechnologisierte Länder schaut, ist unschwer zu erkennen, dass das für die angewandte Informatik nicht unbedingt stimmt. Insbesondere bei Fragen rund um Datensammlung, -aufbereitung und -verwertung fehlen schlüssige, pragmatische und sichere Konzepte.
Wie müssen Wissenschaft, Wirtschaft und Politik zusammenwirken, um diese Herausforderungen zu meistern?
Eine grosse Herausforderung liegt bei der Politik. Diese sollte die grossen Entwicklungen ermöglichen und die richtigen Rahmenbedingungen für Innovation schaffen. Sie zeigt sich jedoch in vielen Belangen zögerlich und verhindernd. Die Verantwortlichkeiten sind im Schweizer System nicht einfach geregelt. Umso wichtiger sind gut informierte und verantwortungsbewusste Politikerinnen und Politiker, die vorangehen und Entscheidungen vorbereiten und durchsetzen.
Sehen Sie in der Digitalisierung eher eine Bedrohung oder eine Chance, um aktuelle Probleme zu lösen?
Es kommt darauf an, welche «Probleme» Sie ansprechen. Vieles, wie die überbordende Mobilität, die Genmanipulation am Menschen, Eingriffe in politische Wahlen usw. sind grosse Bedrohungen. Auf der anderen Seite gibt es unzählige Chancen insbesondere im Gesundheitswesen und für das Zusammenleben von Menschen, die wir hoffentlich aktiv mitgestalten und nutzen.
«Wird die menschliche Arbeit durch die Digitalisierung und künstliche Intelligenz überflüssig?», lautete die Frage am DEF 2019. Was denken Sie dazu?
Ich schliesse mich hier der Konklusion aus dem Forum an: Der Mensch wird in der Arbeitswelt auf absehbare Zeit nicht überflüssig, aber die Arbeitsfelder, Aufgaben und Rollen werden sich immer rascher ändern. In diesem Umfeld profitiert sicher eher, wer mit Neugierde durch das Leben geht und nie mit dem Lernen aufhört.
Welches Projekt packen Sie als Nächstes an?
Ich glaube, dass ich mit der Weiterentwicklung der Indema in der Schweiz und mit den europaweit anstehenden Aufgaben in der digitalen Pathologie und Cancer Informatics für die nächsten Jahre gut ausgelastet bin. Die spannenden Projekte und die Arbeit mit meinem hervorragenden Team ermöglichen genug Abwechslung für die nächste Zeit.