Interview mit Jaime Duarte von Myoswiss

Algorithmen helfen geschwächten Muskeln auf die Sprünge

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Myoswiss hat einen Exo-Suit entwickelt, der Menschen mit Muskelschwächen das Gehen erleichtern soll. Dafür hat das ETH Spin-off von der EU gerade 250'000 Euro Starthilfe bekommen. CEO Jaime Duarte spricht darüber, wie der Suit funktioniert und welche Pläne Myoswiss damit hat.

Jaime Duarte, CEO, Myoswiss. (Source: Caroline Marti)
Jaime Duarte, CEO, Myoswiss. (Source: Caroline Marti)

Wie funktioniert Ihr Exomuskel?

Jaime Duarte: Im Unterschied zu vielen anderen Produkten auf dem Markt entwickeln wir einen externen Muskel und keine fixe externe Struktur, wie dies bei Exoskeletten meist der Fall ist. Der «Myosuit» funktioniert nach dem gleichen Prinzip wie ein menschlicher Muskel. Unser Suit verfügt über Motoren im Rucksack, welche die Kabel so anziehen, dass sie die Beinmuskulatur und die Bewegungen des Trägers unterstützen. So können sie etwa beim Aufstehen von einem Stuhl, beim Treppensteigen oder gewöhnlichem Laufen unterstützen. All das geschieht über Sensoren, die Bewegungen des Trägers erkennen und dann unterstützen – ähnlich wie ein E-Bike seinem Fahrer automatisch beispringt, wenn er in die Pedale tritt. Und wie beim E-Bike können auch wir die Stärke der Unterstützung individuell festlegen; für jedes Bein einzeln. Das ist wichtig, etwa bei der Therapie von Schlaganfall-Patienten mit einer gelähmten Körperhälfte.

 

Was hat das mit Robotern zu tun?

Eine Besonderheit unseres Suits ist der Fokus auf Soft Robotics. Normalerweise haben Roboter harte Strukturen, da sich diese leichter kontrollieren lassen. Weiche Komponenten sind anspruchsvoller im Handling, dafür aber bequemer für die Träger des Suits und flexibler einsetzbar. Deshalb setzen wir wo möglich auf Textilien und weiche, leichte Komponenten. Wir wollen, dass sich der Patient sicher und unterstützt fühlt, während er sich bewegt.

 

Welche Software setzen Sie ein?

Abgesehen von der mechanischen Seite sind unsere Algorithmen das Herzstück des Suits. Wir wollten den Roboter intelligent und lernfähig machen, aber nicht zu intelligent, damit der Nutzer stets die Kontrolle über den Myosuit behält.

 

Was meinen Sie damit?

Wenn ein Nutzer den Myosuit zum ersten Mal trägt, kalibriert sich das System auf die Bewegungen, versucht diese zu verstehen und unterstützt dann entsprechend. Das ist sehr wichtig, denn jeder Mensch läuft anders. Der Myosuit passt sich also dem Träger und dessen Bewegungsmuster an und bietet so individuelle Unterstützung.

 

Was machen Sie anders als Ihre Mitbewerber?

Ein grosser Vorteil unseres Systems ist seine Transparenz. Das heisst, der Nutzer wird dadurch nicht in seiner Bewegungsfreiheit eingeengt oder belastet. Natürlich trägt er einen Roboteranzug, aber dieser stellt keinen Widerstand dar. Viele Exoskelette sind so aufgebaut, dass der Mensch mit einer Bewegung quasi dagegen ankämpfen muss, damit sie aktiv werden. Das ist bei uns anders. Der Nutzer hat mehr Bewegungsfreiheit und muss mittrainieren.

 

Wo ist der Suit schon im Einsatz?

Wir testen ihn aktuell in der Universitätsklinik Balgrist, im Universitätsspital Zürich und in einer Pariser Spezialklinik für neuromuskuläre Erkrankungen. Zusätzlich haben bereits einige weitere Kliniken/Studios eine Bestellung für den Myosuit aufgegeben.

 

Wann wollen Sie den Suit auf den Markt bringen?

Die Technologie wird Ende dieses Jahres einsatzbereit sein. Dementsprechend sind wir aktuell intensiv daran, Rehabilitationskliniken und Physiotherapiestudios für uns zu gewinnen, die das System als Erste nutzen wollen.

 

Was kostet ein Exemplar?

Mit unserem Exomuskel können wir uns in einem vergleichsweise günstigen Preisniveau ansiedeln – wir kosten gerade einmal ein Drittel eines klassischen Exoskeletts. Zudem gibt es auch die Möglichkeit zur Miete des Myosuits.

 

Soll der Myosuit von Myoswiss nur bei der Reha helfen oder Patienten ein Leben lang unterstützen?

Das Spektrum der Patienten ist sehr gross. Manche leben seit Jahren mit Multiple Sklerose, andere erlitten erst kürzlich eine Verletzung der Wirbelsäule. Auf der einen Seite gibt es also solche, die sich von ihrer Krankheit nie mehr erholen werden. Für sie ist es wichtig, möglichst viele Körperfunktionen zu erhalten.

 

Und auf der anderen Seite?

Auf der anderen Seite gibt es Patienten, die nach einem Unfall einen Teil ihrer früheren Fähigkeiten durch Training wieder­erlangen können. Beiden Gruppen wollen wir durch unseren externen Muskel ermöglichen und Motivation geben, aktiv zu bleiben. Das Produkt ist also zwischen Rehabilitation und permanenter Unterstützung positioniert. Unser Fokus liegt allerdings auf Rehabilitationskliniken und Physiotherapie­studios.

Medizinische Robotik verbindet Mensch und Maschine. Was nach Science-Fiction klingt, ist heute schon Realität. Lesen Sie hier, wie an der ETH Zürich Forscher Methoden entwickeln, um gelähmten Menschen zu ermöglichen, wieder zu gehen – und Wettkämpfe zu bestreiten.

 

Nutzen Rehabilitationskliniken Ihr Produkt bereits?

Wir führen seit einer Weile Gespräche mit verschiedenen Kliniken, die an fortschrittlichen und innovativen Lösungen interessiert sind und das Potenzial intensiver Rehabilitations- und Physiotherapie-Trainings sehen und umsetzen wollen.

 

Wie schnell kann man denn damit rennen?

Rennen ist ein bisschen knifflig. Laufen kann man mit einer Geschwindigkeit von bis zu 6 Stundenkilometern. Auch das ist mit Lösungen der Konkurrenz nicht möglich.

 

Wie lange hält der Akku des Suits?

Zwischen 3 und 4 Stunden, je nach Intensität der Nutzung.

 

Wie produziert man so einen Suit?

Wir arbeiten heute mit Prototypen, die wir inhouse per 3-D-Drucker gebaut haben. Später ist dann die Fertigung in grösseren Stückzahlen geplant. Viele Komponenten werden von Zulieferern kommen. Wir führen dazu Gespräche mit verschiedenen Firmen.

 

Wie viele Exemplare des Suits wollen Sie in den nächsten 5 Jahren verkaufen?

Mehrere Tausend. Aktuell arbeiten wir noch stark mit Kliniken zusammen. Mit der Zeit wollen wir aber auch auf den Endkundenmarkt damit.

 

Wo liegen für Sie die grössten Herausforderungen?

Die grösste Herausforderung ist den Sprung von der glücklichen Erfinderwelt auf den Markt für Medizingeräte zu schaffen. Am Ende wollen wir ein System herstellen, das Patienten mit Muskelschwäche aller Art im Training unterstützt und so insbesondere ein intensiveres Training ermöglicht. Da muss man auf viele Dinge achten, etwa die Regulierung oder die Nutzbarkeit für verschiedene Altersstufen. Auch war es für Physiotherapeuten wichtig, dass der Patient den Suit schnell anziehen kann. Wir mussten vieles lernen.

 

Wie ist es für Myoswiss als Start-up, in der Schweiz so ein Produkt zu entwickeln?

Für uns war es bis jetzt eine gute Zeit. Man hört immer, im Silicon Valley sei das Geld für Start-ups im Überfluss vorhanden. In der Schweiz ist man da vielleicht etwas konservativer unterwegs. Wir sind aber mit unseren Ideen, unserem Team und Ziel immer auf positive Resonanz gestossen. Die Menschen sehen den (Mehr-)Wert, der dahinter steckt. Ein Schwierigkeit ist allerdings, dass viele Versicherungen eher noch zurückhalten sind, die Kosten für technologische Hilfsmitte zurückzuerstatten. Wir müssen also Krankenkassen finden, die gegenüber neuen Technologien offen sind und das Potential darin sehen. Aber so sind nunmal die Spielregeln im Gesundheitswesen.

 

Ihr Hauptfokus liegt auf der Beinmuskulatur. Gibt es Pläne, die Technologie des Suits auch für andere Körperteile zu verwenden?

Wir konzentrieren uns aktuell noch auf die Beine. Aber unser Ziel ist es, die Technologie auch auf die Arme auszuweiten. Viele Patienten, mit denen wir arbeiten, haben Probleme mit ihren Schultern. Von ihnen bekommen wir Anfragen, auch diesen Teil des Körpers mit dem Suit zu unterstützen.

 

Sehen Sie auch Anwendungsmöglichkeiten ausserhalb des Gesundheitswesens? Etwa in der Logistik oder im Militärbereich?

Bis jetzt sind wir im medizinischen Bereich glücklich. Dort wollen wir die grösste Wirkung erzielen. Denn wir glauben daran, dass Bewegung die Lebensqualität enorm beeinflusst – im positiven Sinne. Viele Hersteller von Exoskeletten versuchen aber aktuell, auch in anderen Märkten aktiv zu werden.

 

Wie wollen Sie den Myosuit weiterentwickeln?

Unser Augenmerk bei der Weiterentwicklung liegt auf der Nutzbarkeit des Suits. Dabei geht es um Aspekte wie die Ästhetik, die Geräusche, eine einfache Nutzung und den Komfort. Unseren Prototyp können Sie bereits für einige Stunden bequem tragen. Das ist ausreichend für das Reha-Training, aber von der Tragbarkeit normaler Kleidung noch weit entfernt. Ein Gerät, das sich im Alltag bequem nutzen und tragen lässt, das ist unser Ziel. Ausserdem wollen wir auch die Daten aus der Anwendung nutzen, um den Myosuit noch besser auf den Einzelfall zuzuschneiden.

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