Rezepte gegen den Fachkräftemangel

Frauen in der ICT: Wo stehen wir in der Schweiz?

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von Christine D’Anna-Huber Redaktion, Asut-Bulletin

Seit ihr die Fachkräfte ausgehen, bemüht sich die ICT-Branche intensiv um weibliche Talente. Aber trotz zahlreicher Initiativen und Förderprogamme will es nicht so recht gelingen, mehr Frauen für Informatikberufe zu begeistern. Woran liegt das und was wären Erfolg versprechendere Ansätze? Asut hat sich umgehört.

Eine Prämisse im Voraus: Es gibt in der Schweiz heute Frauen in der ICT. Und viele davon behaupten sich nicht nur, sondern machen eine tolle Karriere in dieser nach wie vor stark männlich dominierten Domäne. Zu erwähnen sind hier beispielsweise Barbara Frei, promovierte Maschinen-Ingenieurin und Europa-Chefin von Schneider Electric. Sandra Hauser, die bei der Zürich Schweiz den Bereich Technology, Data and Business Transformation leitet. Oder Gabriella Keller, CEO des Zürcher Softwareentwicklers Ergon.

Trotzdem bleibt die Feststellung gültig: Im MINT-Bereich (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) gibt es noch immer relativ wenige Frauen, und zwar auf allen Ebenen. Das fängt bei den Wahlfächern in der Schule an, setzt sich bei der Wahl der Studienfächer und schliesslich bei der Berufswahl fort. Die Zahlen sprechen Klartext: Von den rund 200 000 ICT-Fachkräften, die die Schweizerische Arbeitskräfteerhebung (SAKE) im Jahr 2017 zählte, waren knapp 15 Prozent Frauen. Laut einem Bericht des Staatssekretariats für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) gingen 2017 von rund 19 500 Lehrstellen in den Technischen Berufen etwa 1000 an Mädchen. An den Hochschulen sieht es kaum besser aus: An den Universitäten stellen die Frauen rund ein Drittel der Studierenden, an den Fachhochschulen sind es 10 Prozent.

 

Das "Gender-Equality-Paradox"

Steht es Frauen frei, dann ist die Chance grösser, dass sie sich eher für etwas Nicht-Technisches oder Nicht-Naturwissenschaftliches entscheiden. Und tun sie es doch, dann brechen sie ihr Studium häufiger ab als Männer oder steigen später aus dem Beruf häufiger wieder aus. Mit Gleichstellung hat das interessanterweise wenig zu tun: Der kleinste Frauenanteil in Technik und Naturwissenschaften findet sich gerade in den "emanzipiertesten Ländern", so etwa in Skandinavien, während er in Ländern wie Saudi-Arabien, die ganz bewusst keine Gleichstellungspolitik verfolgen, am höchsten ist. Dort also, wo ein MINT-Beruf der Schlüssel zu mehr sozialem Ansehen und Unabhängigkeit ist, können sich Frauen durchaus dafür erwärmen.

Für Elsbeth Stern, Intelligenzforscherin an der ETH-Zürich, bedeutet dieses "Gender-Equality-Paradox" zuerst einmal, dass Frauen im technischen Bereich erfolgreich sein können, wenn sie wollen. Warum aber wollen sie meist nicht? Die lange und gern kolportierte Meinung, Frauen seien halt "von Natur aus" weniger technikaffin, hat die Forschung inzwischen ganz klar widerlegt: Es gibt keine kognitiven Gründe dafür, dass sich Frauen weniger oft für MINT-Fächer und -Berufe entscheiden.

 

Kulturelle Stereotypen halten sich zäh

An anderen Erklärungen hingegen mangelt es nicht. Allen voran stehen die Erziehung in Elternhaus und Schule und die Rollen, die einer jungen Frau in unserer Gesellschaft zugetraut und zugeschrieben werden. Kulturelle Stereotype halten sich zäh, und es braucht eine gewaltige Portion Selbstvertrauen, um sie zu durchbrechen. Sich nicht für ein MINT-Fach zu entscheiden, bleibt dann oft der einfachere Weg: "So wie die Schule heute organisiert ist, macht man es den Mädchen insgesamt zu leicht, sich von den Naturwissenschaften zu verabschieden. Es wird akzeptiert, dass sie in andern Fächern gut sind, Physik und Mathematik aber einfach abschreiben", bedauert Elsbeth Lang.

 

Das Image der ICT verbessern

Nationalrätin Edith Graf-Litscher, die sich im Bereich der ICT-Bildung stark engagiert, kommt zu einem ähnlichen Schluss. Auch sie wünscht sich eine Schule, die imstande ist, die Neugier der Mädchen zu wecken und ihnen schon früh aufzuzeigen, dass Technologie und "harte Wissenschaften" nicht nur dabei helfen können, die Welt besser zu verstehen, sondern sie sogar zu verbessern.

Und schliesslich, so moniert Graf-Litscher, müsse sich auch die Branche wandeln. Solange der ICT das Image einer verschrobenen Nerd-Welt anhänge, die Work-Life-Balance nicht stimme und kaum Angebote für eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie bestünden, würden junge Frauen weiterhin einen Bogen um Informatikberufe machen. Zumal heute noch aus zu vielen Stellenausschreibungen herauszuspüren sei, dass Frauen höchstens zur Imagepflege herhalten sollen.

 

Diskriminierung in Algorithmen verfestigt

Für eine so stark von digitalen Technologien durchdrungene Gesellschaft wie die unsrige, ist das eine sehr kurzsichtige Optik. Es kann nicht zukunftsweisend sein, wenn zentrale Schlüsseltechnologien fast ausschliesslich von Männerteams konzipiert werden. Der jährliche Bericht des Weltwirtschaftsforums zum weltweiten Stand der Gleichberechtigung konstatierte 2018, dass ein Mangel an weiblicher Perspektive in der Entwicklung künstlicher Intelligenz (KI) und anderer hochinnovativer Technologien dazu führen könne, Ungleichheiten und Diskriminierung in den Algorithmen zu verfestigen. Neue KI-Systeme, so sei zu befürchten, würden dann nicht den Bedürfnissen der Gesellschaft als Ganzes dienen. Diese besteht, man muss es manchmal in Erinnerung rufen, gut zur Hälfte aus Männern und Frauen.

 

Drei Wege, die uns weiterbringen

  1. Genderneutral unterrichten: Eine kürzlich von Prof. Stefan Wolter von der Uni Bern durchgeführte Studie hat aufgezeigt, dass der heutige Mathematikunterricht auf einem starken Konkurrenzdenken aufbaut, das den Knaben, da sie sich gerne mit anderen messen, viel mehr liegt. Mädchen mögen dies weniger und verlieren deswegen den Anschluss im Unterricht. Eine weitere aktuellen Studie (Michela Carlana von der Harvard Kennedy School) untersucht, wie stark Lehrerinnen und Lehrer unbewusst Mädchen mit Literatur und Buben mit Mathematik verbinden. Wird angenommen, dass Mädchen in Mathematik weniger können als Buben, sind die Mädchen am Ende der Schulzeit tatsächlich schlechter in Mathematik als die Schülerinnen, die von einer Lehrperson ohne Vorurteile unterrichtet wurden.

  2. Segregation aufweichen: Die Geschlechtersegregation im Beruf ist in der Schweiz im Vergleich zu anderen europäischen Ländern gemäss einer Studie der Uni Basel stark ausgeprägt. Das heisst, dass Frauen überwiegend in frauentypischen, Männer in männertypischen Berufen arbeiten. Das ist aus mehreren Gründen problematisch: Frauentypische Berufe – etwa Pflege oder Kindererziehung – haben einen geringen gesellschaftlichen Status, bieten kaum Aufstiegschancen und werden niedrig entlöhnt. Ferner geht der Gesellschaft und der Wirtschaft ein grosses Potenzial verloren, wenn junge Erwachsene ausschliesslich geschlechtstypische Berufe erlernen und damit ihre Fähigkeiten nicht voll entfalten. Umgekehrt würden stark vergeschlechtlichte Berufsfelder wie etwa der Informatik- oder Pflegeberuf, die unter einem Fachkräftemangel leiden, von einer Aufweichung der Segregation profitieren.

  3. Selbstbewusstsein stärken: Knaben schreiben sich in der Mathematik grössere Fähigkeiten zu als Mädchen und zwar in einem Ausmass, das die tatsächlichen Schulnoten nicht rechtfertigen, wie eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung zeigt. Frauen studieren diese Fächer offenbar auch deshalb weitaus seltener als Männer, weil sie ihre mathematischen Fähigkeiten unterschätzen und deshalb Präferenzen für andere Fächer, meist Sprachen, entwickeln. Es ist deshalb enorm wichtig, dass Lehrpersonen und Eltern Mädchen schon zu Beginn der Schulzeit von ihren mathematischen Fähigkeiten überzeugen. Umgekehrt könnten Knaben im Fach Deutsch gefördert werden.

 

Auszug aus: "Frauen in der ICT – eine gesellschaftspolitische Notwendigkeit" von Alain Gut, Director Public Affairs bei IBM Schweiz und Präsident der Kommission Bildung von ICT-Switzerland. Den vollständigen Artikel finden Sie im Asut-Bulletin 3/19: "It’s not a man’s world!"

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