Die Digitalisierung in der Verwaltung nimmt Fahrt auf
Digitalisierung ist für Schweizer Städte und Gemeinden kein theoretisches Konstrukt mehr. Die Referierenden der diesjährigen Plenartagung Städte- und Gemeindeinformatik präsentierten verschiedene praktische Beispiele, die dank Zusammenarbeit zum Erfolg wurden.
Zum 14. Mal ist am 9. November 2022 die Plenartagung Städte- und Gemeindeinformatik über die Bühne gegangen. 75 Teilnehmende kamen zur diesjährigen Ausgabe ins Berner Rathaus, schreiben die Veranstalter auf Anfrage. Durchgeführt wurde der Anlass von der Anfang Jahr gestarteten Organisation Digitale Verwaltung Schweiz (DVS), dem Schweizerischen Städteverband (SSV), dem Verein Schweizerische Städte- und Gemeinde-Informatik (SSGI), dem Verein Zürcher Gemeindeschreiber und Verwaltungsfachleute (VZGV) sowie wichtigen ICT-Partnern.
Peppino Giarritta, Beauftragter von Bund und Kantonen für die DVS, erinnerte in seinem Referat an die Coronapandemie. Diese habe gezeigt, wie wichtig der digitale Wandel sei. Gerade im Bereich der Digitalisierung sei die Wirtschaft durch den Fachkräftemangel herausgefordert. "Es ist wichtig, die komplexen Herausforderungen gemeinsam anzugehen – denn nur so gelingt es", brachte er die seiner Meinung nach wichtigste Lehre aus der Coronakrise auf den Punkt.
Peppino Giarritta, Beauftragter von Bund und Kantonen für die DVS, legt an der SGI-Tagung die Leheren aus der Pandemie dar. (Source: zVg)
Vom analogen Prozess zur digitalen Applikation
Ging es letztes Jahr um das Thema Informationssicherheit, standen diesmal Beispiele und Tools für die erfolgreiche Digitalisierung auf dem Programm. Thomas von Büren, Stellvertretender CIO der Bau- und Verkehrsdirektion (BVD) des Kantons Bern, berichtete in seinem Vortrag beispielsweise vom Entstehen der Fachapplikation INKS (Inanspruchnahme der Kantonsstrasse). Bevor es diese Applikation gab, bearbeitete der Kanton die Gesuche zur Nutzung von Kantonsstrassen jeweils manuell "sehr analog und nicht so konsolidiert", fand von Büren. Per Ausschreibung suchte seine Behörde nach einem Anbieter, der den Prozess mit Hilfe der Microsoft-Power-Plattform, einer Standardlösung, umsetzen konnte.
Bei der Umsetzung gehörte der Datenschutz zu den grössten Herausforderungen. Um diese zu bewältigen, habe man eng mit der kantonalen Datenschutzbehörde zusammengearbeitet. Hilfreich sei auch ein Merkblatt von Privatim, der Organisation der Schweizer Datenschützer, gewesen. Um den Anforderungen gerecht zu werden, kündigte die BVD alte Verträge mit dem Lieferant einer Microsoft-Lösung und stieg ins Enterprise Agreement des Kantons Bern ein. Für die Sicherheit sorgte ein Penetrationstest: "Wenn man etwas testet, findet man Löcher, die man stopfen kann", so von Büren.
Thomas von Büren, Stellvertretender CIO der Bau- und Verkehrsdirektion (BVD) des Kantons Bern, an der SGI-Tagung 2022. (Source: zVg)
Den Aufwand, diese Applikation umzusetzen, bezeichnet er als riesig. Diesen habe man sich geleistet, weil man künftig auch weitere Prozesse auf derselben Plattform einführen wolle. Und für diese Folgeprojekte sei vieles durch diese erste Applikation jetzt bereits umgesetzt.
Gemeinsam verhandeln und umsetzen
Dass sich Zusammenarbeit bei Digitalisierungsprojekten lohnt, war – einmal mehr – aus vielen Vorträgen herauszuhören. Greg Hernan, ICT-Koordinator der DVS, stellte etwa die sogenannten Konditionserklärungen vor. Dabei handelt es sich um Lieferbedingungen, die die DVS mit IT-Lieferanten schliesst. Da die Organisation einen grossen Pool von Verwaltungen vertrete, habe sie einen grösseren Verhandlungsspielraum, erklärte Hernan. Ihre Aufgabe sei es zudem, internationale Verträge zu "helvetisieren", sie also ans Schweizer Rechtssystem anzupassen. Für Lieferanten wie etwa Microsoft ist einer der Vorteile von Konditionserklärungen, dass das Unternehmen eine zentrale Ansprechstelle erhält, anstatt mit einer Vielzahl von Verwaltungen zu verhandeln.
Hernan wies aber auch auf die Grenzen von Konditionserklärungen hin. Müsse ein Projekt etwa öffentlich ausgeschrieben werden (selektives oder offenes Verfahren), könne man sie in vielen Fällen schlecht brauchen. Auch für sehr kleine Lieferungen (2 oder 3 Notebooks) sei es oft besser, sich im freien Markt umzusehen. Geeignet seien Konditionserklärungen dagegen bei freihändigen oder nach dem Einladungsverfahren organisierten Beschaffungen.
Was passiert, wenn viele Gemeinden die Digitalisierung gemeinsam anpacken, berichteten Gérald Strub und Philipp Hochuli. Beide vertreten das Programm Fit4Digital des Kantons Aargau. Das Ziel der Initiative sei es, "E-government so einfach wie eine Zalando-Bestellung" zu machen, fasste Strub zusammen. Zudem wolle man die Verwaltung von repetitiven Aufgaben entlasten. Das Programm Fit4Digital, welches 170 Gemeinden mitfinanzieren, ist für die Jahre 2020 bis 2023 angelegt. Im Rahmen des Programms entstand ein Smart Service Portal, in welchem Kanton und Gemeinden viele ihrer digitalen Angebote bündeln. Das Portal wird laufend ausgebaut und bis Ende 2023 sollen 80 Prozent aller Behördenleistungen aus Kundensicht darüber verfügbar sein, so Strub.
Einen zentralen Stellenwert bei Fit4Digital kommt den sogenannten Public Innovators zu. Es sind jene Gemeindeangestellten, die von der digitalen Veränderung betroffen seien, erklärten die Referierenden. Sie seien es, die fachliche Expertise und neue Vorschläge ins Programm einbringen und neue Prozesse evaluieren. 100 von ihnen habe man bereits an Bord. Ihnen steht wiederum eine Toolbox zur Verfügung, um innerhalb ihrer Gemeinden innovative Projekte anzugehen.
Das Haus zum Schlüssel
Auch das Thema E-ID stand auf der Agenda der SGI-Tagung. Die Vernehmlassung zu einem entsprechenden Gesetz ist vor wenigen Wochen zu Ende gegangen. Titus Fleck, Leiter der DVS-Arbeitsgruppe Identitätsmanagement und E-ID, lieferte einen Überblick darüber, was der Bund laut dem Entwurf anbieten wird: ein Basisregister zur Überprüfung der Identität sowie ein Vertrauensregister für weitere Nachweise öffentlicher oder privater Organisationen, wie etwa Fahrausweise. Nicht anbieten werde der Bund eine Login-Infrastruktur. Die DVS arbeite an Konzepten, um den Kantonen und Gemeinden dabei Hilfestellungen bieten zu können.
Doch eine E-ID alleine ist nichts wert ohne dazu passende Services. Nicolas Lemaître, Projektleiter Smart City bei der Stadt Zug, machte dies mit einem Vergleich deutlich: "Die E-ID ist der Schlüssel zum Haus. Doch wir müssen dafür zuerst ein Haus bauen." Seine Stadt baute dieses Haus mit der eZug-App, die bei den Best of Swiss Apps Awards unlängst als Masterkandidat nominiert war und mehrere Bronze- und Silber-Auszeichnungen gewann. Mit der App lassen sich viele Behördengänge rasch und digital erledigen. Die elektronische Identität – in diesem Fall "Zuglogin" genannt – ist dabei zentral. Den anwesenden Gemeindevertretern machte Lemaître Mut, sich zu fragen, wie sie der E-ID Nutzen stiften könnten. Er räumte aber auch ein, dass das Produkt kein Selbstläufer sei: "Wir müssen wahnsinnig viel investieren, es jedem zu erklären."
Im Verlauf des Nachmittags präsentierten verschiedene Gemeinden und ihre IT-Partner erfolgreich umgesetzte Lösungen. Sie reichten von einem Reservationssystem über eine digitale Dokumenten- und Sitzungsverwaltungssoftware bis zu einer App, um News zielgruppengerecht mit der Bevölkerung zu teilen. Man habe während Corona die Kraft der Digitalisierung deutlich zu spüren bekommen, fasste Anne-Sophie Morand, Rechtsanwältin bei Walder Wyss Rechtsanwälte und Moderatorin der SGI-Tagung, ihre Eindrücke zusammen. Es sei erfreulich, dass viele Städte, Gemeinden und Kantone den Ansatz erfolgreich umsetzten. Speziell hob sie die enge Zusammenarbeit zwischen ICT-Unternehmen und öffentlichen Verwaltungen hervor: "Dass alle Akteure an einen Tisch kommen und Lösungen erarbeiten."