Roman Hänggi im Interview

Was die Forschung zur Fabrik der Zukunft zutage fördert

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Die Smart Factory der Fachhochschule OST soll den Wertschöpfungsprozess einer digitalisierten Produktion abbilden. Roman Hänggi spricht über die Hintergründe und erklärt, wo die Schweiz auf dem Weg zur Industrie 4.0 steht und welche Rolle die Cloud dabei spielt.

Roman Hänggi, Professor für Produktionsmanagement, Ostschweizer Fachhochschule. (Source: zVg)
Roman Hänggi, Professor für Produktionsmanagement, Ostschweizer Fachhochschule. (Source: zVg)

Im Oktober hat die OST die neue Smart Factory in Buchs eröffnet. Was genau macht so eine Smart Factory?

Roman Hänggi: Unsere Smart Factory besteht aus drei Standorten: einem in Rapperswil, einem in St. Gallen und eben auch Buchs. Die smarte Fabrik an diesen drei Standorten ist ein Abbild der Produktion der Zukunft. Sowohl physisch als auch digital. Die Maschinen in der Fabrik produzieren physisch das sogenannte "Ost-Gadget", eine Handy-Ladegerät. Dabei sammeln wir sämtliche Daten, die während des Produktionszyklus und Qualitätsprüfung entstehen, speichern sie digital ab und verwenden sie zur weiteren Analyse. Dieser digitale Zwilling hilft uns, weitere Optimierungen zu realisieren.

Wie profitieren die Studierenden der OST von dieser Smart Factory?

Unsere Studierenden lernen alle diese Elemente so zu verbinden, dass man möglichst effizient und zukunftsgerichtet produzieren kann. Das geschieht in verschiedenen Modulen und Vorlesungen, wo die Studierenden erleben, wie die Fabrik funktioniert und wie man die Produktion der Zukunft effektiv gestalten kann. Auch wird die Smart Factory von den Studierenden, im Rahmen von Semester- oder Bachelorarbeiten stetig weiterentwickelt.

Wie unterscheiden sich die drei Standorte? Gibt es dreimal dieselbe Fabrik, oder geschieht an verschiedenen Standorten jeweils etwas anderes?

Die jeweiligen Fertigungsschritte werden an unterschiedlichen Standorten vollzogen. In Rapperswil wird das Gehäuse des Ost-Gadgets gespritzt, inklusive eineindeutiger Identifikation und Serialisierung. In Buchs verbauen wir anschliessend die Elektronik im Gehäuse und der Standort St. Gallen ist verantwortlich für den digitalen Prozess dieser Fertigung.

Wie sind diese Standorte miteinander vernetzt?

Wir nutzen hierzu ein zentrales ERP und eine zentrale Cloud, wo wir die verschiedenen Daten ablegen. Verschiedene datentechnische Anbindungen und Schnittstellen zwischen Maschine, Cloud und ERP sind im Einsatz.

Welche Rolle spielt dabei die Cloud?

Die Cloud ist ein Element, welches wir für das digitale Abbild der Produktionskette nutzen. Aber dieser digitale Zwilling besteht nicht nur aus der Cloud, dazu gehören auch viele Business-Prozesse mit umfassenden Daten rundherum.

Auf welchen Cloud-Anbieter setzen Sie?

Wir nutzen verschiedene Anbieter. Als Hochschule sind wir dafür verantwortlich, dass wir Inhalte und Prozesse vermitteln, nicht einzelne Software-Produkte. Wir bieten zu allen Prozessschritten Alternativen an, sei es das Extrahieren von Daten aus den Maschinen, das Transferieren von Daten in die Cloud oder das Bearbeiten von Daten in der Cloud. Bei allen Schritten gibt es verschiedene Anbieter und wir entwickeln dieses Modell auch stetig weiter.

Setzen sie nur auf Public-Cloud-Anbieter oder auch auf Private Cloud?

Auf beides. Denn es ist wichtig, dass wir mit all diesen Systemen und Möglichkeiten in Berührung kommen und verstehen, was zu welchem Zeitpunkt am zielführendsten eingesetzt werden kann. So können unsere Studierenden erleben, was besser und schlechter funktioniert.

Welche Rolle spielt die Cloud in der digitalen Transformation der Industrie im Allgemeinen?

Cloud spielt eine sehr zentrale Rolle. Für mich ist die Cloud ein technisches Hilfsmittel für die Kollaboration und Datenspeicherung. Mit Kollaboration meine ich hier ein Produktionsnetzwerk, wie es die Smart Factory mit den Standorten in Buchs, St. Gallen und Rapperswil abbildet. Im Vergleich zur traditionellen Produktion an einem einzelnen Standort müssen die verschiedenen Punkte eines Produktionsnetzwerks miteinander verknüpft sein und gemeinsam effizient arbeiten. Mit einer Cloud als technisches Hilfsmittel für den Austausch von Daten ist die Zusammenarbeit innerhalb des Netzwerks überhaupt realisierbar.

Wie müsste diese Zusammenarbeit aussehen, wenn es gar keine Cloud gäbe?

Es gibt natürlich auch andere Wege, um Daten auszutauschen. In gewissen Fällen würde es den Produktionsprozess komplizierter machen, wenn ständig Daten hin und her geschickt werden müssen. Ganz viele Datenströme müssten individuell aufgesetzt werden. Mit der Cloud geht das alles einfacher und es kommt zu weniger Datenredundanzen.

Im Zusammenhang mit der Cloud werden immer wieder Bedenken geäussert, wenn es um den Datenschutz geht. Gibt es solch Bedenken auch in der Fertigungsindustrie?

Das ist sicherlich auch ein Thema. Wichtig ist, dass man sich bewusst entscheidet, wo man die Cloud einsetzt und welche Daten man darin speichert. Das bedingt eine Abwägung von Risiken. Die Cloud ist sicherheitstechnisch weder gut noch schlecht – es kommt darauf an, wie man sie nutzt. Es braucht eine klare Strategie, bei der festgelegt ist, wohin man mit welchen Daten geht. Dazu gehört auch ein Sicherheitskonzept. Gewisse Daten sollte man unter Umständen aus Sicherheits- oder Vertraulichkeitsgründen besser nur lokal speichern.

Was gehört sonst noch in ein industrielles Cloud-Konzept?

Gerade in einer Fabrik entstehen immer sehr viele Daten, weil alle Maschinen ständig alle ihre Aktivitäten dokumentieren. Nicht alle diese Daten gehören in die Cloud. Ausserdem sollte man sich auch Gedanken zur Geschwindigkeit der Umsetzung und zu den Kosten seiner Strategie machen.

Gib es ein ungefähres Verhältnis, wie viel in die Cloud und wie viel On-Prem passieren sollte?

Das kann man nicht direkt sagen. Das genau Verhältnis hängt sehr stark vom jeweiligen Use Case und der Art des Produktionsnetzwerk ab.

Welche Trends beobachten Sie derzeit im Bereich der industriellen Cloud?

Ein grosser Trend ist die Vereinfachung von Integrationsprozessen. Unterschiedliche Maschinen von unterschiedlichen Herstellern produzieren Daten in vielen verschiedenen Formaten und nach verschiedenen Standards. All diese Daten kommen an einem Ort zusammen, nämlich in der Cloud. Und vielerorts wird daran gearbeitet, diese Integrationsleistung einfacher und effizienter zu gestalten. Ein zweiter grosser Trend sind sicherlich Data Analytics. Denn die Cloud an sich ist ja eigentlich nur ein Datenspeicher. Aber wenn die Daten einmal in der Cloud sind, dann muss man ja noch immer etwas damit machen. Da gibt es verschiedene Softwarelösungen, sei es Business Intelligence, seien es Machine-Learning-Ansätze, oder sei es eine direkte Anbindung an ein ERP-System – die Daten müssen zu relevanten Informationen transferiert werden.

Sehen Sie da eher die Industrie im Zugzwang oder sollten Cloudanbieter mehr Industrie-spezifische Lösungen anbieten?

Das ist eine sehr relevante Frage. Wenn ich mir die heutigen grossen Cloudanbieter anschaue, dann sehe ich eine Tendenz dazu, dass versucht wird, die Industrie aus einer IT-Sicht besser zu verstehen. Da hat sich sicherlich etwas getan in letzter Zeit. Man versucht, die industriellen Themen mehr und besser anzugehen. Gleichzeitig wächst in der Industrie selbst das Verständnis und die Bereitschaft zur Nutzung der Cloud, zumal sich Kosten sparen lassen, wenn man seine Produktionsprozesse analysiert und mithilfe der Cloud digitalisiert. Das zeigt sich auch daran, dass immer mehr über Standards diskutiert wird. Denn verbindliche, Hersteller-übergreifende Standards machen die zuvor erwähnten Integrationsprozesse deutlich einfacher.

Und diese Bewegung kommt aus der Industrie?

Ja, da gibt es verschiedene Gremien und Organisationen, die an solchen Standards arbeiten.

Hat die klassische Fabrik heute überhaupt noch eine Chance, oder braucht es zwingend eine Digitalisierung der Produktion?

Die Fabrik der Zukunft ist sicher digital, aber nicht nur digital. Das Fundament sind schlanke, verschwendungsarme Prozesse, welche "on top" noch digitalisiert werden. Lean Management gewinnt heute eine noch höhere strategische Bedeutung. Die Digitalisierung hat natürlich auch einen Einfluss darauf, wie man diese fundamentalen Prozesse gestaltet. Eine wirklich effiziente Produktion optimiert sich dauernd, und der beste Weg dazu ist, aus Daten zu lernen. Die Digitalisierung hilft dabei, viel mehr Daten zu generieren und aus diesen auch mehr Informationen zu ziehen, welche dann die Optimierung ermöglichen. Es besteht also eine Wechselwirkung zwischen den Prozessen und der Daten.

Wie stehen die Chancen der Schweiz, sich in dieser modernen Produktionswelt zu behaupten?

Es ist meine tiefe Überzeugung, dass der Produktionsstandort Schweiz in der Zukunft extreme Chancen hat.

Warum?

Wenn Sie eine Fabrik der Zukunft, also eine effiziente Fabrik bauen wollen, dann brauchen Sie stabile Prozesse und Sie müssen die Digitalisierung und digitale Tools im Griff haben. Es braucht Automation, etwa durch Robotik, und man muss die Produktionstechnologien vollständig verstehen. Man muss also Arbeitskräfte aus vielen Fachdisziplinen zusammenbringen, etwa den Maschinenbauer, Softwareentwicklerinnen, Elektroingenieure, Produktionsmitarbeiterinnen oder Betriebswirtschaftler. Alle Disziplinen müssen miteinander arbeiten, um eine solche Fabrik der Zukunft zu realisieren. Und da hat die Schweiz eine enorme Stärke, mit ihrem Ausbildungssystem und ihren teamorientierten Ansätzen. Hierarchien sind schlecht für die Fabrik der Zukunft, denn Daten und Systeme kennen keine Hierarchiegrenzen. Es braucht einen flexiblen Bottom-up-Ansatz, natürlich mit klaren Zielen und Visionen, aber danach braucht es einen Team-basierten Ansatz, welcher die unterschiedlichen Kompetenzen zusammenbringt, um die Fabrik der Zukunft zu bauen. Generell braucht es jedoch über all diese Felder hinweg gesehen noch mehr Digitalkompetenz.

Wie kann man diese Digitalkompetenz am besten stärken?

Hier im Kanton St. Gallen gibt es etwa die IT-Bildungsoffensive. Diese verfolgt eigentlich genau diesen Ansatz, dass über alle Ausbildungsniveaus hinweg mehr Digitalkompetenz geschaffen wird. Dabei werden bestehende Strukturen, beispielsweise eine Berufslehre oder ein Fachhochschul-Studiengang, um digitale Kompetenzen erweitert, anstatt einen Studiengang "Digitalisierung" zu schaffen. Ich glaube, schweizweit ist das eine einzigartige Initiative, um das Ziel der erhöhten Digitalkompetenz zu erreichen.

Wo steht die Schweiz aktuell im Bereich der digitalisierten Industrie?

Die Schweiz ist hier führend oder gehört sicher zu den führenden Playern in diesem Bereich. Dabei spielt der Industrieverband Swissmem mit der Initiative 2025 eine entschiedene Rolle. Auch haben wir sehr viele innovative Firmen hier in der Schweiz und vor allem in der Ostschweiz, gerade aus dem Mittelstand, die sehr viel Neues ausprobieren und umsetzen. Unsere Universitäten und Fachhochschulen haben den Zug auch nicht verschlafen und sind dabei, diese Zukunft der digitalen Industrie mitzugestalten und nach vorne zu bringen. Wir in der Schweiz haben sicher unseren Beitrag zur Fabrik der Zukunft geleistet. Das reicht jedoch noch lange nicht aus, wir müssen uns dauernd weiterentwickeln. Wer stehen bleibt und sich nicht permanent hinterfragt, verliert.

Mit der Industrie 4.0 und der Fabrik der Zukunft soll alles schneller, schlanker, digitaler, und effizienter werden. Gibt es dabei auch Dinge, die man kritisch betrachten sollte?

Ich glaube, es braucht einen gesunden Realismus. Wir müssen eine saubere Erwartungshaltung an den Tag legen, denn es passiert viel, aber nicht alles passiert einfach über Nacht. Man kann nicht einfach eine Software kaufen und dann wird alles besser in der Firma. Unternehmen müssen einen Weg finden, die Tools der Digitalisierung so einzusetzen, dass es auch in ihren Betrieb passt. Und am Ende bleibt der Mensch entscheidend. Technologie ist ein Mittel zum Zweck und nicht das Ziel. Digitalisierung ist so kompliziert, weil jede Firma ihren eignen Weg finden muss, um an ihr eigentliches Ziel zu kommen. Nicht alles geht so schnell, wie man es sich immer wünscht. Es ist eine Transformation, die sehr genau gemanagt werden muss. Die digitale Transformation muss integraler Teil der Geschäftsführung sein, sie muss zielorientiert und Anwendungsfall-orientiert sein.

Und ist die Schweiz hierbei auf einem guten Weg?

Auf einem sehr guten Weg, würde ich sagen. Wir müssen einfach weitermachen und den eingeschlagenen Weg weitergehen. Denn die digitale Transformation ist nie abgeschlossen. Aber wenn wir unseren bisherigen Weg weitergehen, dann sehe ich viele Chancen für die Industrie in der Schweiz.

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