Warum die KPT alles auf die Cloud setzt
Seit April 2022 betreibt die KPT ihre IT komplett in der Cloud. Roland Bosshard, seit fünf Jahren IT-Leiter der Krankenkasse, sagt im Interview, warum der Schritt nötig wurde und was die Kunden seines Unternehmens davon haben.
Noch wenige Monate und Sie können Ihr fünfjähriges Jubiläum als IT-Leiter der KPT feiern. Welches besondere Highlight kommt Ihnen in den Sinn, wenn Sie zurückdenken?
Roland Bosshard: Was mir bei meinem Stellenantritt als Erstes auffiel, war die sehr wertschätzende Firmenkultur. Was meinen Bereich, die IT, angeht, bin ich immer wieder von neuem begeistert von der Kreativität, der grossen Fachkompetenz und dem enormen Engagement der Leute in der Abteilung. Es ist eine Freude, mit ihnen zu diskutieren und Lösungen zu entwickeln. Mein grösstes Highlight bisher war jedoch ganz klar die Einführung des neuen Kernsystems Syrius im April 2022.
Wie ist die IT-Abteilung der KPT aufgestellt?
Im Rahmen unserer IT-Erneuerung haben wir vieles an Inventx ausgelagert. Heute betreiben wir keine On-Premise-IT mehr. Wir beauftragen und führen unsere Sourcing-Partner. Dementsprechend sind wir jetzt auch organisatorisch aufgestellt.
Wie würden Sie die Aufgabe Ihrer Abteilung beschreiben?
Unsere Aufgabe ist es, die IT laufend als Business-Enabler und Erfolgsfaktor der KPT auszurichten. Dabei will ich sicherstellen, dass wir trotz der starken Abhängigkeit von externen Partnern die Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit der KPT jederzeit gewährleisten können. Des Weiteren wollen wir die Chancen der Digitalisierung für unsere Versicherten konsequent nutzen. Entsprechend beobachten wir den Markt und unser Umfeld, um zu verstehen, was sich in der Branche tut. Darauf aufbauend entwickeln wir Lösungen für unser Unternehmen und unsere Versicherten.
Sie erwähnten es: Im April 2022 zügelte die KPT ihren operativen Betrieb in die private Cloud von Inventx. Was bewog Sie dazu?
Vor dem Wechsel hatten wir zwei grosse Provider: T-Systems betrieb das Kernsystem – eine alte auf Cobol basierende Branchenlösung, die leider am Schluss zur Innovationsbremse geworden war. Für das meiste andere war Swisscom zuständig. Beides sind gute Firmen mit kompetenten Leuten. Trotzdem fanden wir uns bei Problemen häufig in einer ungünstigen Schnittstelle zwischen zwei Grossunternehmen. Diese Situation bewog mich zum Entscheid, die Infrastruktur- und Plattformservices künftig von einem Partner zu beziehen. Wir entschieden uns für Inventx, ein Schweizer KMU wie die KPT. Wir wollen mit einem Schweizer Partner Wertschöpfung in der Schweiz generieren.
Wie packten Sie diese Erneuerung an?
Dass wir mit dem Ersatz des Kernsystems zuvor so lange gewartet hatten, erwies sich nun als Chance. Es ergab keinen Sinn mehr, die alten Systeme zu übernehmen. Wir konnten die neue IT mit dem neuen Partner Inventx quasi im Greenfield-Approach von Grund auf neu planen und bauen. Dabei setzten wir auf die neuesten Technologien und Architekturen. Beispielsweise konnten wir Front-End- und Back-End-Systeme, User-Interfaces, Businesslogik und Datenhaltung konsequent trennen und über einen Integrationslayer erschliessen. Eine solche Architekturbereinigung ist enorm aufwendig und als Projekt allein kaum zu rechtfertigen. Wir hatten nun die einmalige Chance, dies zu tun, weil wir ohnehin alles neu aufbauen mussten.
Wie lange dauerte die Migration in die Cloud?
Das Projekt startete Anfang 2019. Live gingen wir dann im April 2022. In dieser Zeit bauten wir buchstäblich vom Glasfaserkabel in die Ostschweiz über alle Infrastruktur- und Plattform-Layer bis hin zu den Management- und Security Systemen alles neu auf, was eine IT ausmacht. Das Programm umfasste 16 Teilprojekte, in denen jeweils etwa 150 Vollzeitstellen gleichzeitig beschäftigt waren. Insgesamt waren rund 400 interne und externe Mitarbeitende involviert. Für mich war es ein besonderes Erlebnis, zu sehen, wie diese Teams Hand in Hand miteinander arbeiteten. Das zeigte sich besonders eindrücklich beim eigentlichen Cut-Over, als wir das, was wir über drei Jahre aufgebaut hatten, in Betrieb nahmen. Rund 150 Mitarbeitende migrierten während 11 Tagen im 24-Stunden-Betrieb sämtliche Daten und aktivierten die neuen Schnittstellen. Das Drehbuch umfasste mehr als 1500 Arbeitsschritte. Die gesamte Migration erfolgte vollumfänglich aus dem Homeoffice. Der Abschluss erfolgte praktisch auf die Stunde genau nach Plan.
Wie hat sich die Coronapandemie auf das Projekt ausgewirkt?
Tatsächlich hatten wir kurz vor Corona einen grossen Projektraum für 70 bis 90 Personen eingerichtet, um den Austausch und die Zusammenarbeit zu erleichtern. Dann kam die Pandemie und alle Mitarbeitenden verschwanden quasi über Nacht in ihre Homeoffices. Dass es dann trotzdem klappte, dass wir die Meilensteine einhalten konnten und die Qualität weiterhin stimmte, finde ich grossartig. Es zeigt, dass Menschen, wenn sie gemeinsam ein Ziel erreichen wollen, dies auch schaffen – egal, wie gross die Schwierigkeiten sind.
Hat sich der Umzug gelohnt?
Ja, schon vom ersten Tag an. Die Cloud zahlt sich aus betrieblicher Sicht aus, vor allem aber auch in der Weiterentwicklung. Ich bin zudem davon überzeugt, dass wir neue Lösungen heute schneller implementieren können als unsere Mitbewerber, weil wir über eine moderne, entflochtene Architektur verfügen und über alle Systeme hinweg auf aktuelle Branchenstandards setzen. Dies wird längerfristig auch unseren Kundinnen und Kunden zugutekommen.
Wie erleben Sie die Zusammenarbeit mit Inventx?
Wie die KPT ist auch Inventx ein Schweizer KMU. Zudem teilen wir ähnliche Werte wie Kundenorientierung, Unabhängigkeit und Zuverlässigkeit. Wir tauschen uns oft vor Ort aus, diskutieren Problemlösungen, die sie dann unkompliziert und pragmatisch umsetzen. Es ist für uns eine neue Welt und ich bin glücklich mit der Partnerschaft.
Was tun Sie, um die Unabhängigkeit Ihrer Abteilung zu wahren?
Wir haben in unserer Organisation nach wie vor alle Kompetenzen, die Sie in einer vollständigen On-Prem-IT auch finden, einfach nicht in dem Umfang wie dies für einen internen Betrieb notwendig wäre. Dazu gehören Architekten, Ingenieure, Softwareentwickler, Projektleiter, Security-Spezialisten, Businessanalysten und so weiter. Dies ermöglicht uns, mit unseren Partnern auf Augenhöhe diskutieren zu können, Lösungsansätze gemeinsam zu entwickeln und die Leistung der Partner kompetent zu beurteilen.
In einer Mitteilung zu den Jahresergebnissen 2021 war die Rede vom Aufbau eines digitalen Ökosystems. Dabei denke ich spontan an die Plattformen Well oder Bluespace Ventures. Wollen Sie den beiden Konkurrenz machen?
Nein, wir als KPT brauchen sicherlich kein eigenes Ökosystem, um unsere Kundinnen und Kunden glücklich zu machen. Wenn wir intern den Begriff Ökosystem verwenden, meinen wir damit die Akteure im schweizerischen Gesundheitswesen, bestehend aus Leistungserbringern wie Ärzten, Apotheken, Spitälern, Labors, aber auch aus Versicherern. Lange Zeit standen wir hier aufgrund unserer veralteten Systeme im Abseits. Es liess sich schlicht nichts Neues mehr einbauen. Jetzt sind wir dazu wieder bereit und können an diesem Ökosystem partizipieren. Wir bauen also kein eigenes Ökosystem auf, beteiligen uns aber aktuell auch nicht an einer der von Ihnen genannten Plattformen – wobei wir dies in ein, zwei Jahren durchaus anders beurteilen könnten.
Seit der erwähnten Mitteilung vom Frühling hat die KPT «EverAsk» lanciert, einen digitalen Spickzettel für Arztbesuche. Wie steht es um das zweite angekündigte Produkt – ein Service zur Messung von Daten wie Puls oder Herzfrequenz?
Dieser Service steht aktuell kurz vor der Pilotphase. Ich gehe davon aus, dass wir ihn im ersten Halbjahr 2023 ausrollen können.
Die KPT gehört zu den Geldgebern des Medtech-Hubs beim Berner Insel-Campus. Warum?
Unsere Mission ist es, unsere Kundinnen und Kunden vor den finanziellen Folgen von Krankheit und Unfall abzusichern. Zudem wollen wir ihnen Zugang zu qualitativ hochstehender Gesundheitsversorgung gewährleisten. Um dieser Mission gerecht zu werden, beobachten wir die Entwicklungen im Gesundheitswesen laufend und halten nach Chancen Ausschau, unsere Dienstleistungen zu verbessern. Mit Sitem-insel wird ein Medizinalstandort aufgebaut, an dem Forschende, die öffentliche Hand und Privatunternehmen gemeinsam neue innovative Lösungen zum Wohl der Patienten entwickeln. Und dies passt genau zu unserer Mission. Die KPT ist genossenschaftlich, also nicht gewinnorientiert, organisiert. Darum investieren wir nicht in grossem Stil in Start-ups. Mit der Beteiligung an Sitem können wir dennoch – und ohne riskante Investitionen – zu mehr Innovation beitragen.
Welche Projekte könnten dort konkret entstehen?
Das geht von vereinfachten und verbesserten medizinischen Untersuchungen über Optimierungen bei spital-internen Prozeduren bis zu Verbesserungen für die Rehabilitation.
Vor Ihrer Zeit bei der KPT waren Sie in der öffentlichen Verwaltung tätig. Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie von der schleppenden Digitalisierung etwa beim Bundesamt für Gesundheit hören?
Spontan denke ich: zu viel Geld, zu wenig Spardruck – typisch Föderalismus. Es gibt in der Verwaltung enorm viele Akteure, die in den gleichen Themen unterwegs sind und das Recht haben, mitzureden. Dazu kommen viele Eigeninteressen und eine geringe Motivation, gemeinsam Lösungen zu finden. In diesem Umfeld zu agieren, ist unglaublich schwierig. Solange dies so bleibt, liegt es an privatwirtschaftlichen Akteuren, die Digitalisierung im Gesundheitswesen voranzutreiben.
Wie beurteilen Sie aus Sicht eines Krankenversicherers den Stand von E-Health in der Schweiz?
Im Vergleich zu nordischen Ländern sind wir in der Schweiz noch ziemlich im Mittelalter. Gleichzeitig wird unser Land immer wieder als eines der innovationsfähigsten Länder bezeichnet. Allerdings hat die Schweiz auch schon im Fintech-Umfeld relativ spät den Turbo gezündet und ist jetzt gut unterwegs. Und wenn ich all die innovativen und idealistischen Menschen sehe, die Geld investieren und wirklich grossartige Lösungen entwickeln, bin ich überzeugt, dass dies auch im Insurtech-Umfeld passieren wird. In den nächsten zwei, drei Jahren wird sich meiner Meinung nach enorm viel tun.
Eine E-Health-Dauerbaustelle der Schweiz ist das elektronische Patientendossier (EPD). Braucht es dieses aus Ihrer Sicht überhaupt?
Hier kann ich nicht für die KPT sprechen. Aber aus Sicht der IT halte ich es für eine spannende Lösung, die wir nach Möglichkeit gerne unterstützen. Dies sage ich übrigens auch als Patient. Als mein jahrelanger Arzt kürzlich in Pension ging, überreichte er mir eine Tasche voller Papierakten für den neuen Arzt. Dass dies heute noch nötig ist, verstehe ich nicht – und es stimmt mich manchmal schon etwas nachdenklich.
Welche Digitalprojekte wollen Sie im neuen Jahr anpacken?
Wir haben eine ganze Palette von Ideen. Einen Schwerpunkt legen wir dabei auf die Kundenschnittstelle, also auf das Schaffen eines unmittelbaren Mehrwerts für unsere Kundinnen und Kunden. Einen zweiten Schwerpunkt bildet das Thema Automatisierung der Geschäftsprozesse. Damit wollen wir die Qualität unserer Arbeit verbessern, schneller auf Kundenbedürfnisse reagieren und unsere Verwaltungskosten weiter senken.
Ist dabei künstliche Intelligenz ein Thema?
2023 noch nicht. Hier setzen wir aus Zeitgründen zunächst noch auf andere Mittel wie etwa Robotic Process Automation, auch wenn dies keine langfristige Lösung sein kann. Wir setzen uns aber natürlich jetzt schon mit dem Thema KI auseinander und prüfen, wie wir damit unsere Prozesse optimieren und neue Services anbieten können.