Urheberrecht und KI: Enabler oder Spielverderber?
Generative KI birgt enormes Potenzial. Juristisch sind aber viele Fragen noch ungeklärt, gerade im Urheberrecht. Wem gehören KI-generierte Inhalte? Und wie ist das Training, das regelmässig mit urheberrechtlich geschütztem Material erfolgt, zu beurteilen?
Die Beantwortung der urheberrechtlichen Fragen rund um generative KI-Modelle ist komplex. So kann bereits unklar sein, das Urheberrecht welchen Staates überhaupt anwendbar ist, denn die zu beurteilenden Vorgänge involvieren meist diverse Akteure in verschiedensten Rechtsordnungen und spielen sich vorab im Internet ab, also an einem «Ort» ohne direkten Bezug zu einer nationalen Rechtsordnung. Die einschlägigen Urheberrechtsgesetze sind sodann meist älteren Datums und enthalten daher selbstredend keine ausdrücklichen Regeln spezifisch für den KI-Kontext. Die Meinungen in juristischen Fachkreisen gehen entsprechend teilweise weit auseinander. Zwar befassen sich aktuell Behörden in vielen Staaten mit den urheberrechtlichen Fragen rund um KI, und es wurden bereits erste Antworten entwickelt; auch sind vielerorts bereits Gerichtsverfahren hängig. Eine abschliessende Klärung aller relevanten Aspekte steht allerdings noch aus. (Dieser Beitrag nimmt eine Auslegeordnung nach Schweizer Recht vor. Für eine umfassendere Darstellung vgl. I. Oehri (05.04.2023). ChatGPT & Co. – Was sagt das Urheberrecht, Management-&-Law-Blog.)
Wem gehören die mit KI-Tools generierten Inhalte?
Woran unter welchen Voraussetzungen Urheberrechte bestehen, bestimmt – abgesehen von einzelnen internationalen Verträgen – jeder Staat autonom in seinen Urheberrechtsgesetzen. In der Schweiz etwa schützt das Urheberrecht gemäss Art. 2 Abs. 1 URG (Bundesgesetz über das Urheberrecht und verwandte Schutzrecht (Urheberrechtsgesetz, URG) vom 9. Oktober 1992 (SR 231.1) sogenannte Werke, das heisst geistige Schöpfungen der Literatur und Kunst, die individuellen Charakter haben. Dies können unter anderem Texte, Bild-, Ton- oder Ton-Bild-Medien sein. Allerdings müssen diese geistigen Schöpfungen dem menschlichen Geist entsprungen sein und eine gewisse Originalität, eben individuellen Charakter, aufweisen. (Vgl. etwa BGE 74 II 112; Fotografien nehmen seit 2020 eine Sonderstellung ein: Sie können auch urheberrechtlichen Schutz erlangen, ohne dass sie individuellen Charakter haben (Art. 2 Abs. 3bis URG.)
Für KI-generierte Inhalte bedeutet dies erstens, dass ein Urheberrecht jedenfalls nur in Betracht kommt, wenn eine kreative Leistung vorliegt. Diese muss zweitens von einem Menschen erbracht worden sein, der die KI-Anwendung lediglich als Werkzeug eingesetzt hat. Ist die KI nicht nur Hilfsmittel, sondern eigentliche Schöpferin des Werks, besteht kein Urheberrechtsschutz.
Wo genau die Grenze liegt, wird die Praxis entwickeln müssen. Da das Urheberrecht gemäss Schweizer Konzeption automatisch und ohne behördliche Prüfung oder Registrierung entsteht, wird dieses Austarieren hierzulande tendenziell mehr Zeit in Anspruch nehmen als etwa in den USA, wo eine Copyright-Anmeldung möglich und für eine spätere gerichtliche Durchsetzung sogar erforderlich ist. (Vgl. US Copyright Office (16.03.2023). Copyright Registration Guidance: Works Containing Material Generated by Artificial Intelligence.)
Wie ist das KI-Training urheberrechtlich zu beurteilen?
Damit generative KI-Modelle überhaupt Inhalte produzieren können, müssen sie vorab anhand grosser Datenmengen trainiert werden. Aus urheberrechtlicher Sicht unproblematisch ist dieses Training, wenn dazu Material verwendet wird, an dem keine Urheberrechte bestehen, wenn alle Rechtsinhaber zugestimmt haben oder die Inhalte mit entsprechender Open-Source-Lizenz publiziert wurden. Andernfalls stellt das Training potenziell eine Urheberrechtsverletzung dar. Es sei denn, es liesse sich entweder argumentieren, dass dies kein urheberrechtlich relevanter Vorgang sei, oder, dass man sich dafür auf eine andere Berechtigung als die Einwilligung der Rechtsinhaber – sprich auf eine Ausnahmeregel – berufen könne.
Greift das Training in Urheberrechte ein?
Das Urheberrecht räumt seinem Inhaber weitreichende Exklusivrechte ein: Er kann unter anderem grundsätzlich allein bestimmen, ob, wann und wie sein Werk veröffentlicht, kopiert oder sonst wie verwendet wird (Art. 10 URG).
Im Kontext des KI-Trainings stellt sich primär die Frage eines Eingriffs in das Vervielfältigungsrecht, denn das Trainingsmaterial wird unter anderem in einer Datenbank gespeichert, was technisch ein Kopieren bedingt, und in der Folge entstehen im Lernprozess selbst eine Vielzahl kurzzeitiger Vervielfältigungen. (Vgl. für eine Erläuterung der Trainingsvorgänge etwa M. Pouly (07.02.2023). ChatGPT und was noch kommen könnte (Video)). Darüber, ob die Trainingsvorgänge als Urheberrechtseingriff zu qualifizieren sind oder nicht, besteht in der juristischen Praxis keine Einigkeit. Eine gerichtliche Klärung steht noch aus; erste Gerichtsverfahren, insbesondere in den USA und Grossbritannien, sind jedoch bereits hängig. (Z.B. Getty Images v. Stability AI (Januar/Feburar 2023) oder die Sammelklagen Visual Artists v. Stability AI/Midjourney/DeviantArt (Januar 2023) und Authors’ Guild/Authors v. OpenAI (September 2023)).
In Juristenkreisen gibt es Stimmen, wonach das KI-Training per se nicht urheberrechtlich relevant sei, da es letztlich nicht zu einem Werkgenuss führe. (Vgl. etwa D. Schönberger (2018). Deep Copyright: Up- and Downstream Questions Related to Artificial Intelligence (AI) and Machine Learning (ML)). Diese Auffassung dürfte allerdings einen schweren Stand haben: Zumindest unter dem geltenden Recht, das in der Schweiz wie auch in vielen ausländischen Rechtsordnungen auf einem sehr breiten Vervielfältigungsbegriff beruht, ist davon auszugehen, dass ein Gericht die Trainingsvorgänge als Urheberrechtseingriff qualifizieren würde.
Fällt das Training unter eine Ausnahmeregel?
Wer mit urheberrechtlich geschütztem Material KI-Training betreiben will, ohne die Erlaubnis aller Rechtsinhaber einzuholen, braucht somit eine Ausnahmeregel, welche die betreffenden Handlungen einwilligungslos zulässt.
In den USA berufen sich KI-Entwickler dazu vornehmlich auf die sogenannte Fair-Use-Doktrin, die gewisse, an sich verbotene Nutzungen geschützter Werke erlaubt, wenn sie als – wörtlich übersetzt – redliche Verwendungen qualifiziert werden können. (Vgl. hierzu im Einzelnen und mit weiteren Hinweisen I. Oehri (05.04.2023). ChatGPT & Co. – Was sagt das Urheberrecht.)
In der Schweiz, wie etwa auch in der EU, gibt es die flexible Rechtsfigur des Fair Use nicht. Jedoch bestehen auch hierzulande Ausnahmetatbestände, sogenannte Urheberrechtsschranken, deren Anwendbarkeit sich im Kontext des KI-Trainings diskutieren lässt. Beispielsweise dürfen geschützte Werke im privaten, schulischen und organisationsinternen Bereich frei verwendet werden (Art. 19 URG). Unter diesen sogenannten Eigengebrauch wird das professionelle Trainieren von KI-Modellen aber kaum je fallen. Auch lassen sich die betreffenden Vorgänge wohl nicht unter Art. 24a URG fassen, der das vorübergehende Kopieren geschützten Materials erlaubt, das bei digitaler Werksübertragung wie Streaming, Up- und Download rein technisch bedingt immer erfolgt. (Vgl. etwa M. Rehbinder/L. Haas/K. Uhlig (2022). Art. 24a URG, N 1 ff., Orell-Füssli-Kommentar: Urheberrechtsgesetz mit weiteren Erlassen und internationalen Abkommen (4. Aufl.). Zürich: Orell Füssli.)
Im KI-Kontext am häufigsten thematisiert wird die sogenannte Wissenschaftsschranke (Art. 24d URG). Diese erlaubt die Vervielfältigung von Werken ohne Zustimmung der Rechtsinhaber, wenn sie (a) dem Zweck der wissenschaftlichen Forschung dient, (b) durch die Anwendung eines technischen Verfahrens bedingt ist und (c) zu den betreffenden Werken ein rechtmässiger Zugang besteht. 2020 namentlich für das Text und Data Mining geschaffen, wurde Art. 24d URG, anders als etwa das Pendant im EU-Recht (Art. 3 und Art. 4 EU-RL 2019/790), absichtlich technologieneutral formuliert, sodass grundsätzlich auch KI-Trainingsprozesse darunter gefasst werden könnten. Allerdings setzen insbesondere die beiden Voraussetzungen des Forschungszwecks und des rechtmässigen Zugangs der Anwendung von Art. 24d URG auf das KI-Training Grenzen. Deren genaue Absteckung ist bislang noch unklar und wird in der juristischen Lehre und Praxis derzeit intensiv diskutiert. (Vgl. etwa P. Picht/F. Thouvenin (16.11.2022), AI & IP: Theory to Policy and Back Again: Policy and Research Recommendations at the Intersection of Artificial Intelligence and Intellectual Property.) Während die Wissenschaftsschranke in bestimmten Konstellationen mit Forschungsbezug tatsächlich eine taugliche Grundlage für das KI-Training bieten kann, dürfte sie zumindest bei den künftig zunehmend rein kommerziellen Anwendungen nicht weiterhelfen und, um hier rechtlichen Risiken vorzubeugen, sind entsprechende Berechtigungen einzuholen.
Bewusste und differenzierte Auseinandersetzung erforderlich
Wie dieser Beitrag am Beispiel des Urheberrechts zeigt, stellen die rasanten Entwicklungen rund um KI das Recht vor Herausforderungen. Bei deren komplexen Erörterung kommen bisweilen Zweifel auf, ob sie allein mit den Instrumenten des geltenden Rechts adressiert werden können und der Ruf nach neuer Regulierung wird laut. Man mag geteilter Meinung sein, ob sich die Rechtsunsicherheiten auf dem Weg der technologieneutralen Anwendung des heutigen rechtlichen Rahmens durch Behörden und Gerichte lösen lassen oder ob neue Regulierung – und, wenn ja, auf welcher staatlichen oder internationalen Ebene – nötig ist. Jedenfalls nötig ist die bewusste und differenzierte Auseinandersetzung mit der juristischen Dimension der Thematik. Im Urheberrecht etwa gilt es dabei, die berechtigten Interessen des Schutzes von Kreativität und der Förderung von Innovation zu berücksichtigen, aber gleichzeitig auch den technischen Möglichkeiten und ihrem Potenzial für Gesellschaft und Wirtschaft Rechnung zu tragen.