So rüstet sich Lenovo fürs KI-Wettrennen
Lenovo hat am Mobile World Congress in Barcelona seine KI-Strategie über das gesamte Portfolio präsentiert. Im Gespräch erklärt die Nummer 2 von Lenovo, Kirk Skaugen, was die Vision "Von der Hosentasche bis zur Cloud" bedeutet und was es damit auf sich hat, für ein Unternehmen zu arbeiten, das immer noch als "chinesisch" wahrgenommen wird.
Wir treffen uns kurz nach Ihrer Rückkehr vom MWC. Was hat Sie dort am meisten begeistert?
Kirk Skaugen: Die Konferenz selbst scheint fast wieder das Niveau vor Covid erreicht zu haben. Der MWC ist wie eine Mischung aus WEF, CES, IFA etc. mit etwa 100 000 Besuchern, von denen ein Viertel C-Level-Führungskräfte sind. Man kann von Chip-Herstellern über Systemanbieter und Telekommunikationsbetreiber bis hin zu Endbenutzern alles an einem Ort finden. Besonders beeindruckt hat mich, wie AI, 5G, Nachhaltigkeit und offene Industriestandards zusammenkommen. Der Mobile World Congress hat sich von einer reinen Telefonkonferenz zu einem Event entwickelt, an dem ein grosser Teil der Teilnehmer unterschiedlichste vertikale Märkte repräsentiert und nicht nur aus der Technologieindustrie stammt.
Was hat Sie im Rahmen von Lenovos Auftritt am meisten beeindruckt?
Besonders beeindruckt hat mich Lenovos Vision "Von der Hosentasche bis zur Cloud". Wir sind eine von wenigen Firmen, die wirklich AI für alle anbieten können. Wir präsentierten alles, von der nächsten Generation faltbarer Handys über Konzept-Smartphones, die man am Handgelenk trägt, bis hin zu transparenten Displays für KI-Notebooks.
Sie haben es angesprochen: Der MWC hat seine Wurzeln als Smartphone-Messe, deshalb interessiert mich natürlich auch, wie es der Intelligent Device Group von Lenovo mit Mobiltelefonen von Motorola geht …
Lenovo wächst schnell im Android-Segment mit Smartphones. Das hängt auch damit zusammen, dass es eine nahtlose Integration von Android-Telefonen und Windows-PCs gibt, die sich via Smart Connect koppeln lassen, um Daten einfach zu übertragen. Dies ist Teil unseres Ökosystems, das Tablets, Telefone und PCs umfasst. Wir sind jetzt die Nummer 3 auf dem US-Markt, führend oder auf Platz 2 in Lateinamerika und könnten die Nummer 3 weltweit werden, wenn wir dieses Wachstum beibehalten. In den USA beherrschen wir fast 60 Prozent des Marktes für faltbare Geräte. Dieser Formfaktor gewinnt in verschiedenen Märkten an Beliebtheit.
Sie sprachen darüber, dass Lenovo KI im gesamten Portfolio integrieren will. Wie muss man sich das konkret vorstellen?
Wir haben 2,2 Milliarden US-Dollar in AI investiert und sind von Platz 6 auf Platz 3 der Welt für AI-Infrastruktur aufgestiegen. Wir unterscheiden zwischen öffentlicher AI, Unternehmens-AI und persönlicher AI. Persönliche AI könnte etwa Empfehlungen geben, basierend auf meinem Kalender und meinen Vorlieben. Im Unternehmensbereich helfen wir IT-Abteilungen, die beste AI-Software auszusuchen, und arbeiten mit Start-ups zusammen, um Technologien zu skalieren.
KI ist heutzutage in aller Munde. Zur Diskussion steht unter anderem, wie künstliche Intelligenz Geschäftsprozesse verändern kann. Wie integrieren Sie bei Lenovo diese Technologie?
Wir sind exklusiver Lieferant für Nvidias Omniverse OVx, was bedeutet, dass wir die Hardware für digitale Zwillinge in der Azure-Cloud von Microsoft bereitstellen. Digitale Zwillinge bieten enorme Vorteile, etwa bei der Optimierung von Fertigungsabläufen oder der Planung von 5G-Netzwerken. Wir nutzen KI auch für die Analyse von Lieferketten, um Transportentscheidungen zu treffen und nachhaltigere Versandwege zu finden. Für Kundenservice, Marketing und Angebotserstellung verwenden wir KI, um unsere Prozesse zu verbessern.
Wie sieht Lenovo die Rolle von KI in Bezug auf die zukünftige Entwicklung von PCs?
KI ist entscheidend. Wir sehen eine Zukunft, in der bis 2026 50 Prozent der PCs KI-PCs sein werden. Es ist unsere Aufgabe, diese Entwicklung mit einem klaren Blick auf Nutzwert, Datenschutz und Sicherheit zu gestalten, um einen branchenweiten Impuls zu geben. Die Nachhaltigkeit unserer Produkte und der Lieferkette sowie der Umgang mit der Komplexität mit Devices am Netzwerkrand sind weitere zentrale Themen für uns. Wir haben signifikante Fortschritte im Bereich der Edge-Technologie gemacht. Die Herausforderung besteht darin, KI an den Edge zu bringen, sie also dort zu nutzen, wo die Daten entstehen. Hardware-Innovationen spielen dabei weiterhin eine entscheidende Rolle.
Wie steht es um den Nachhaltigkeitsaspekt, den Sie erwähnt haben?
Wir haben bekannt gegeben, dass eine Lenovo-Implementierung den Stromverbrauch für Cloud-Infrastruktur um 25 Prozent senken kann. Ein neues Edge-Gerät für Telekommunikationsnetze kann mit 46 Prozent weniger Energie betrieben werden. Ein wichtiger Punkt ist auch, dass wir unsere Produkte in Europa zu 97 Prozent aus Europa liefern, mit einem grossen Werk in Budapest. Unser Asset Recovery Service ermöglicht es ausserdem, alte Ausrüstung entweder weiterzuverwenden oder nachhaltig zu recyceln. Bei PCs haben wir Neuerungen eingeführt, die Reparaturen vereinfachen, wie etwa leicht austauschbare Tastaturen und Akkus. Unsere Bemühungen um die Kreislaufwirtschaft und die Zertifizierung gebrauchter PCs unterstreichen unseren Fokus auf Nachhaltigkeit.
Welche Bedeutung hat der Schweizer Markt für Lenovo?
Europa macht 25 Prozent unseres Geschäfts aus, die Schweiz ist ein wichtiger Teil davon und auch ein bedeutendes Innovationszentrum mit ihren Industrien, von Pharma über Financial Services bis hin zu Tourismus und Uhren.
Wie sind Sie mit der Entwicklung im Enterprise-Markt zufrieden?
Als ich 2016 zu Lenovo kam, waren wir im Speichermarkt noch auf Platz 11, jetzt sind wir die Nummer 3. Bei Speicherlösungen unter 25 000 Dollar sind wir sogar Marktführer. Im Servermarkt waren wir ursprünglich auf Platz 11, jetzt sind wir auf Platz 3 aufgestiegen und haben uns auch im Bereich der KI von Platz 6 auf Platz 3 verbessert. Unser Ziel ist es, die Nummer 1 zu werden, allerdings nicht um jeden Preis, sondern mit der besten Kundenzufriedenheit und Zuverlässigkeit. Im Supercomputing-Bereich betreiben ein Drittel der weltweit führenden Supercomputer Lenovo-Systeme, und 19 der Top-25-Hochschulen nutzen unsere Server wegen ihrer Nachhaltigkeit.
Wie gelingt es Ihnen, in Märkten erfolgreich zu sein, in denen die Margen normalerweise niedrig sind?
Der Schlüssel zu unserem Erfolg ist die Skalierung mit einem Volumen von 60 Milliarden Dollar. Anders als einige unserer Wettbewerber haben wir das PC-Geschäft nicht vom Servergeschäft getrennt, sodass wir beim Einkauf von CPUs und Speichern von unserer Grösse profitieren können. Wir sind jetzt im Servergeschäft die Nummer 3 und nutzen unsere Skalierungsvorteile, um auch in margenschwachen Märkten erfolgreich zu sein. Wir unterscheiden uns ausserdem von unseren Hauptkonkurrenten insofern, als dass wir alle unsere Produkte selbst entwerfen und herstellen, was uns eine grosse Agilität und verbesserte Qualität sichert. Ein weiterer Vorteil ist unser Angebot an Anreizen für Channelpartner und Kunden, die PCs, Server und weitere Produkte von uns beziehen, was wir als "One Lenovo" bezeichnen. Unser Erfolg liegt auch in den Bereichen Speicher, Software und Dienstleistungen, die höhere Margen bieten als der Servermarkt allein. Unsere Software- und Dienstleistungsgeschäfte wachsen rasant, was unsere Position im Markt stärkt. Lenovo bietet zudem Managed Services und As-a-Service-Modelle an, die zunehmend nachgefragt werden.
Wie geht Lenovo mit der Wahrnehmung als chinesisches Unternehmen um?
Es ist wichtig, zu betonen, dass Lenovo ein globales Unternehmen ist, das über seine chinesischen Wurzeln längst hinausgewachsen ist. Wir sind an der Börse in Hongkong notiert und haben mehrere globale Hauptquartiere. Unsere Führungsteams sind international aufgestellt, was unsere globale Ausrichtung widerspiegelt. Unsere Vorstandssitzungen finden weltweit statt, um die lokale Kultur und das Geschäftsumfeld kennenzulernen, zuletzt in Barcelona. Unser Vorstand besteht aus fünf Nationalitäten, was unsere globale Ausrichtung unterstreicht.
Welche Chancen und Herausforderungen sehen Sie für Lenovo in den nächsten Jahren?
Die grössten Chancen liegen in der erfolgreichen Integration von KI in unsere Produkte und der Innovation am Edge. Eine Herausforderung ist es, diesen Übergang sorgfältig zu gestalten und dabei Sicherheit und Datenschutz zu gewährleisten. Zudem müssen wir den Wandel hin zu nachhaltigeren Produkten und Prozessen meistern.
Was sind die weiteren Ziele von Lenovo?
Langfristig strebt Lenovo danach, Technologie und Innovationen voranzutreiben, die den Menschen dienen. Wir wollen führend in der Nachhaltigkeit sein, den Edge-Bereich revolutionieren und sicherstellen, dass unsere KI-Integration einen Mehrwert für die End-User bietet. Die Anpassung an die schnellen Veränderungen im IT-Sektor und das Ausbalancieren von Wachstum mit Kundenzufriedenheit und Qualität sind unsere Hauptziele.
Zur Person
Kirk Skaugen ist Executive Vice President und President der Infrastructure Solutions Group von Lenovo. Als Mitglied der Geschäftsleitung ist Skaugen für den Ausbau der globalen Präsenz von Lenovo in mehr als 180 Ländern in den Bereichen Server, Storage, Networking, Lenovos Edge-Portfolio sowie der dazugehörigen Software und Professional Services verantwortlich. Unter seiner Führung hat sich das Servergeschäft von Lenovo laut Gartner zu einem der am schnellsten wachsenden x86-Server-OEMs der Welt entwickelt. Vor Lenovo war Skaugen während 24 Jahren in verschiedenen Positionen bei der Intel Corporation tätig, zuletzt als Senior Vice President und General Manager der Client Computing Group, wo er für Chipsätze für PC-, Tablet-, Smartphone- und Phablet-Plattformen sowie für neue Ultrabook- und 2-in-1-Geräte zuständig war. Kirk Skaugen hält einen Bachelor of Science in Elektrotechnik und Computertechnik von der Purdue University.