Neven Katuric im Interview

Wie KI das E-Goverment-Angebot der Post verändert

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Seit Juni 2024 leitet Neven Katuric den Geschäftsbereich E-Government bei der Post. Im Interview spricht er über das Potenzial von künstlicher Intelligenz in E-Government-Software, die E-Voting-Pläne der Post und darüber, was die Bundes-E-ID verändern wird.

Neven Katuric, Leiter E-Government, Schweizerische Post. (Source: www.danielhager.com)
Neven Katuric, Leiter E-Government, Schweizerische Post. (Source: www.danielhager.com)

Thema Nummer eins in allen digitalen Belangen ist derzeit die künstliche Intelligenz. Wie beurteilen Sie das Potenzial von KI im ­E-Government?

Neven Katuric: Meiner Meinung nach leistet künstliche Intelligenz dort wertvolle Dienste, wo es um die Auswertung von gros­sen Datenmengen geht. Dabei ersetzt KI keine bestehenden Systeme, sondern erlaubt es, diese zu verbessern. KI hilft also insbesondere, nutzerfreundlichere digitale Services bereitzustellen. Ein Beispiel: In gewissen Ländern wird KI etwa für automatisierte Steuererklärungen genutzt. Ich bin überzeugt, dass Verwaltungen ihren Bürgerinnen und Bürgern durch KI noch gezieltere und auf ihre Bedürfnisse abgestimmte Informationen und Dienstleistungen anbieten können. So kann KI unterstützen, Verwaltungsprozesse effizienter, transparenter und bürgerfreundlicher zu gestalten.

Wie schätzen Sie das Potenzial von generativer KI, wie etwa ChatGPT, für die Zukunft von E-Government ein? Welche Chancen und Risiken sehen Sie dabei?

Das Potenzial von generativer KI im E-Government ist beträchtlich. So kann diese Technologie die Kommunikation automatisieren, wie wir es zum Beispiel von Chatbots kennen, oder Entscheidungsprozesse unterstützen. Gerade aber bei der Entscheidungsfindung sollte der Einsatz von künstlicher Intelligenz kritisch begleitet werden, um Diskriminierungen zu verhindern. Bei der Post haben wir digital-ethische Prinzipien definiert, die wir bei der Entwicklung von digitalen Services und bei der Einführung von neuen Technologien berücksichtigen.

Inwiefern setzt die Post bereits KI in ihren ­E-Government-Diensten ein?

Die Post nutzt KI in verschiedenen Bereichen bereits erfolgreich. Die ePost Service AG beispielsweise bietet Unternehmen und Behörden den vollständig digitalen Empfang und Versand von geschäftlicher Korrespondenz an. Dabei wird die physische Briefpost gescannt, intelligent klassifiziert und automatisch mit entsprechendem Zugriffsmanagement auf Postfächer verteilt oder zur Weiterverarbeitung an Drittsysteme weitergeleitet. Ein weiteres Beispiel: Unsere Cybersecurity-Gesellschaften setzen im Rahmen von Sicherheitsprüfungen unter anderem auch KI zur Erkennung von Sicherheitslücken ein.  

Das neue E-Voting-System der Post ist in Basel-Stadt, St. Gallen, Thurgau und Graubünden eingesetzt, allerdings nur für einen Teil der Stimmberechtigten. Ist eine vollständige Öffnung geplant, und falls ja, wann? 

Die rechtlichen Grundlagen erlauben den Versuchsbetrieb mit E-Voting. Die Kantone entscheiden, ob und für welches Elektorat sie E-Voting anbieten. Der Bund sieht die Begrenzung der Stimmbeteiligung via E-Voting von national höchstens 10 Prozent und kantonal höchstens 30 Prozent der Stimmberechtigten vor. Eine mögliche Änderung dieser Vorgaben liegt in der Kompetenz der Politik. Als Systemanbieterin sorgen wir für den stabilen Betrieb und eine stetige Weiterentwicklung von E-Voting. 

Auch der Kanton Luzern plant die Einführung ihres E-Voting-Systems ab 2026. Wie sieht es in anderen Kantonen aus?

Aktuell ist das System der Post in Basel-Stadt, Graubünden, St. Gallen und Thurgau im Einsatz. Die Kantone Luzern und Genf planen den Ersteinsatz von E-Voting 2026. Voraussetzung dafür ist die Grundbewilligung durch den Bundesrat. Das Kantons­parlament Neuenburg hat sich im Juni ebenfalls für den Versuchsbetrieb mit E-Voting ausgesprochen. Mit weiteren Kantonen steht die Post im Gespräch.

Wann glauben Sie, wird es in der ganzen Schweiz möglich sein, per E-Voting abzustimmen?

Was ich Ihnen sagen kann: Seit dem erfolgreichen Einsatz unseres Systems in mehreren Kantonen hat das Interesse an E-Voting seitens der Kantone spürbar zugenommen. Ob und wann diese auf E-Voting setzen wollen, sind aber politische Entscheide. Dem kann ich nicht vorgreifen.

In mehreren Kantonen wird auch das elektronische Sammeln von Unterschriften (E-Collecting) zum Thema. Welche Rolle spielt die Post dabei?

Wir haben ein System für sicheres Wählen und Abstimmen entwickelt und bieten dies in vier Kantonen an. E-Collecting gehört aktuell nicht zum Angebot der Post.

Oft heisst es, gerade jüngere Menschen seien zu wenig an politischen Prozessen interessiert und ­beteiligt. Sehen Sie in digitalen Kanälen auch einen Weg, die jüngere Generation politisch mehr zu ­aktivieren?

Frühere Untersuchungen belegen keine höhere Beteiligung der jüngeren Stimmberechtigten. Es wird sich zeigen, wie es nach einem mehrjährigen und breiteren Einsatz von E-Voting aussieht. Gut möglich, dass heutige Kinder und Jugendliche, die noch nicht im Stimmrechtsalter sind, ganz selbstverständlich den elektronischen Kanal nutzen möchten, wenn es um das Wählen und Abstimmen geht. Es geht um eine Investition in die Zukunft. Ich bin überzeugt, dass wir mit E-Voting unsere einzigartige direkte Demokratie auch in Zukunft lebendig halten. 

E-Government-Services anzubieten, ist das eine, die Nutzung dieser Services das andere. Wie will die Post sicherstellen, dass die digitalen Services auch genutzt werden?

Uns geht es darum, den sicheren Transport von Informationen bei der digitalen Kommunikation zu gewährleisten. Wir bieten relevante Dienstleistungen an, von denen ich überzeugt bin, dass sie einem Bedürfnis der Kundinnen und Kunden entsprechen. Wir fördern die Nutzung dieser Dienstleistungen unter anderem mit einer intuitiven Bedienbarkeit. Die Absender von E-Government-Services sind die öffentlichen Verwaltungen. Diese entscheiden auch, ob und wie sie eine hohe Nutzung der E-Government-Services fördern.

Welche neuen Technologien oder Konzepte sehen Sie als Treiber für eine stärkere E-Partizipation in der Zukunft?

Diese Frage würde ich andersherum stellen. In welchen Bereichen wollen wir es Menschen ermöglichen, digital mitzuwirken? Je nach Thema und Sensibilität sind es sehr unterschiedliche Technologien, die wir nutzen werden. Bei E-Voting setzen wir auf sehr komplexe kryptografische Verfahren. Diese entwickeln wir schon heute weiter, damit sie auch erhöhten Rechenleistungen standhalten, die Quantencomputern zugeschrieben werden. 

Wie können wir sicherstellen, dass auch sozial schwächere Gruppen Zugang zu den digitalen ­Partizipationsmöglichkeiten haben?

Ich bin mir bewusst, dass heute nicht alle Bevölkerungsgruppen gleich digital-affin sind. Daher bieten wir in verschiedenen Postfilialen Digitalberatungen an und schlagen so eine Brücke zwischen der digitalen und der physischen Welt. Im Kanton Jura etwa helfen Postmitarbeitende Einwohnerinnen und Einwohnern, wenn diese Fragen zum kantonalen E-Government-Portal haben. Diese Partnerschaft mit dem Kanton Jura startete 2022. Die Beratung wird bis heute rege genutzt.

Welche Rolle spielt der elektronische Identifikations­nachweis (E-ID) bei der sicheren Nutzung von ­E-Government-Diensten? 

Ich finde, dass die elektronische Identität ein Schlüsselelement für eine erfolgreiche digitale Transformation ist, denn sie ist eine Voraussetzung für sichere und vertrauenswürdige digitale Dienstleistungen. Die staatliche E-ID schafft Rechtssicherheit und Vertrauen in der virtuellen Welt. 

Welche Herausforderungen sehen Sie bei der breiten Einführung einer E-ID in der Schweiz?

Der Bund hat das E-ID-Gesetz verabschiedet. Gemäss aktueller Planung kann die neue staatliche E-ID ab 2026 zur Verfügung stehen. Wir werden sehen, wie schnell sie in der Breite angewendet wird.

Was passiert mit der SwissID der Post, wenn die E-ID kommt?

Die SwissID ist eine Identitäts- und Authentifizierungslösung, die heute viele öffentliche Verwaltungen und Unternehmen einsetzen. Beide Funktionalitäten bleiben bestehen und nutzbar, auch wenn die E-ID da ist.

Wie wollen Sie das Vertrauen der Bevölkerung in die Sicherheit von E-Government-Diensten stärken?

Vertrauen entsteht zum einen häufig automatisch, nämlich durch Routine. Wenn wir etwas täglich nutzen und es gut funktioniert, fassen wir Vertrauen. Allerdings können Berichte über zunehmende Cyberangriffe und Phishingversuche die Menschen verunsichern. Daher ist es gerade im digitalen Bereich wertvoll und wichtig, aktiv Vertrauen zu schaffen. Bei der Post setzen wir auf öffentliche Überprüfungen, bei denen Kryptografen, ethische Hacker und andere IT-Fachleute Systeme angreifen. Finden sie eine Sicherheitslücke, erhalten sie eine Belohnung. Mit diesen Überprüfungen, und bei E-Voting beispielsweise mit der Veröffentlichung des Quellcodes, lüften wir die Blackbox, die digitale Systeme für viele Menschen de facto auch heute noch sind.

Gemäss einer Studie der Stiftung "Zugang für alle" hat die "ePost"-App Mängel in puncto Accessibi­lity – dennoch behauptet die Post seit Langem, digitale Barrierefreiheit sei eine Top-Priorität. Wie passt das zusammen? 

Wir legen grossen Wert darauf, dass unsere Dienstleistungen für alle Kundinnen und Kunden zugänglich sind. Dafür setzen wir uns seit 2007 ein. Wir sind unserem Accessibility Statement verpflichtet. Zum Thema Barrierefreiheit sind wir in regelmässigem Austausch mit den Behindertenorganisationen und der Stiftung "Zugang für alle" – das war und ist auch bei der "ePost" der Fall. Wir verstehen Barrierefreiheit als kontinuierlichen Prozess ohne fixes Ende. Also als eine Daueraufgabe mit dem Anspruch an uns selbst, uns ständig zu verbessern.

Wann kann man mit der Behebung der Accessibility-Mängel bei der "ePost"-App rechnen? 

Die Digitalisierung bringt für Menschen mit Beeinträchtigung neue Möglichkeiten, sich unabhängig im Alltag zu bewegen. Wir arbeiten kontinuierlich daran, unsere Onlinedienste barrierefrei zu gestalten. Die E-Voting-Plattform entspricht der Konformitätsstufe AA gemäss den Richtlinien für barrierefreie Webinhalte (Web Content Accessibility Guidelines, WCAG). Dieses Ziel haben wir uns auch für die "ePost"-App gesetzt.

Wie viele Briefe, die nicht von der Post selbst ­stammen, erhalten Sie pro Woche in Ihrem digitalen ­E-Post-Briefkasten?

Die Frage ist, wie viele Briefe ich insgesamt pro Woche erhalte. Weil ich Rechnungen elektronisch bezahle und andere physische Benachrichtigungen deaktiviert habe, beschränkt sich diese Anzahl auf wenige Briefe pro Monat, einige davon, etwa von meiner Versicherung, gehen in der "ePost" ein. Wenn ich in Bern wohnen würde, könnte ich zusätzlich meine Steuerkorrespondenz in der "ePost" empfangen, das ist leider in meinem Kanton noch nicht möglich.


Zur Person
Neven Katuric ist seit Juni 2024 Leiter der Geschäftseinheit "eGovernment" der Schweizerischen Post, welche die E-Voting-Lösung der Post sowie die "ePost"-Kommunikationsplattform und die Behördensoftware der zugekauften Unternehmen Dialog und T2i umfasst. Als Leiter der Geschäftseinheit ist Katuric auch Mitglied der Konzernleitung des Konzernbereichs Kommunikationsdienste der Post. Davor war er Head of Ecosystem Development (E-Government) beim gelben Riesen. Vor seiner Zeit bei der Post arbeitete Katuric vier Jahre bei Adecco, zuletzt als VP Stra­tegy & Business Development. Seine Karriere begann Katuric in der Reisebranche, wo er unter anderem sieben Jahre für Kuoni arbeitete. Dort war er zuletzt Head of Commercial Management der Kuoni Global Travel Services. Katuric ist Diplom-Kaufmann mit einem Abschluss an der Fachhochschule Oldenburg/Ostfriesland/Wilhelmshaven und hält einen Master of Business Administration der University of Strathclyde in Glasgow.

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