Wie Regulatoren ICOs an die Leine nehmen wollen
Der Markt für Kryptowährungen ist 2017 regelrecht explodiert. Blockchain-Start-ups gelang es letztes Jahr, mit ICOs fünf Mal so viel Geld zu akquirieren wie mit traditionellen Finanzierungsmethoden. Wie reagieren die Regulatoren darauf? Eine Bestandsaufnahme.
Die Zahlen sind schwindelerregend: Mit Initial Coin Offerings (ICOs) sind 2017 fast 4,6 Milliarden US-Dollar eingenommen worden. Im Vorjahr waren es noch 236 Millionen Dollar. Das ist ein Wachstum von rund 1847 Prozent. Für Blockchain-Start-ups sind ICOs eine neue, innovative Art, um Geld zu akquirieren. Schaut man sich die investierten Beträge an, verblassen konventionelle Investitionen über Crowdfunding oder klassisches Risikokapital im Vergleich zu ICOs deutlich.
Da der rechtliche Rahmen der Kryptoökonomie nach wie vor unklar ist, sind Investitionen über ICOs allerdings ein Risiko für die Anleger. Einige Initianten von ICOs zögerten nicht, diese Unsicherheit durch betrügerische Operationen gnadenlos auszunutzen. Diese Missbräuche beunruhigen nicht nur die Regierungen, sondern auch die Akteure in der Kryptobranche. Sie wollen nicht, dass die Medien die Betrügereien zu stark thematisieren und die neue Art der Finanzierung damit womöglich im Keim ersticken. In der Schweiz beschloss das Staatssekretariat für internationale Finanzfragen am 18. Januar, eine Arbeitsgruppe einzusetzen, um den rechtlichen Rahmen für ICOs zu klären. Die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht Finma rief Unternehmen bereits dazu auf, bei ICOs die rechtlichen Vorgaben in der Schweiz einzuhalten. Die Finma beteiligt sich an den Überlegungen für eine stärkere Regulierung. Sie will Ende 2018 einen Bericht zum Thema veröffentlichen.
Risiken begrenzen
Ein Problem ist die Schwierigkeit, die Vertrauenswürdigkeit und Überlebenswahrscheinlichkeit von neuen Tokens zu beurteilen. Wer über einen ICO Geld akquirieren will, verkauft solche digitalen Tokens. Es gibt zwei Arten: Security Tokens und Utility Tokens. Security Tokens entsprechen realen Werten, etwa Öl, Gas oder seltene Mineralien. Utility Tokens erlauben die Nutzung von Diensten, die auf der Blockchain basieren. Das ist zum Beispiel bei den Krypto-Coins von Kodak oder Telegram der Fall. Die Merkmale dieser Token werden in einem Whitepaper definiert, das die Unternehmen im Vorfeld ihrer ICOs veröffentlichen. Sie beschreiben, wofür der Token gut sein wird, wenn das Unternehmen seinen Dienst auf den Markt bringt. Im Whitepaper sollte zudem stehen, nach welchen Prinzipien der Initiant eines ICOs die Tokens herausgibt. Diese sind in Smart Contracts geregelt. Zusätzlich muss das Unternehmen die Rechte und Befugnisse kommunizieren, die beim Thema Governance greifen. Etwa wer über Änderungen des Computercodes entscheidet, auf dem die Blockchain für einen Token beruht.
"Der typische ICO hat keine Kunden, keinen Umsatz und in den meisten Fällen kein funktionierendes Produkt. Bewertungen, die ausschliesslich auf einem Whitepaper beruhen, sind immer riskant und hochspekulativ", warnt EY in einer im Dezember veröffentlichten Studie zum Thema. Das Beratungsunternehmen spricht von einem Mode-Effekt und beobachtet den Beginn eines Rückgangs: "Die Fähigkeit, das Finanzierungsziel zu erreichen, ist seit Mitte 2017 rückläufig, von 90 Prozent im Juni auf 25 Prozent im November." Die meisten der Finanzierungen basieren auf Prototypen, deren Markteinführung frühestens ein Jahr nach dem ICO oder sogar noch später geplant ist. Gründe, um desillusioniert zu sein, gibt es viele. Einigen Unternehmen gelingt es nie, ihre Ideen umzusetzen. Andere vollenden zwar ihr Produkt, akzeptieren dann aber auch konventionelle Währungen, was den Wert der Krypto-Coins reduziert. EY erkennt auch Fälle, in denen das Whitepaper einen Teil des Smart Contracts verschleiert. Etwa Code, der es den Initianten des Projekts erlaubt, jederzeit neue Tokens auszugeben und damit ihren Wert zu verwässern. Investoren können sich dagegen allerdings schützen: Sie müssen genau darauf achten, dass erfahrene Entwicklern und Cyber-Sicherheitsexperten den Code überprüft haben, bevor sie Geld in einen ICO stecken.
Um solche Enttäuschungen zu vermeiden, sollten sich Investoren "besser informieren, statt zurückziehen", sagt Nicolas Sierro, der von der EPFL inkubierte Start-ups zum Thema ICOs berät. Laut ihm ist es wichtig, zu kommunizieren, dass ICOs riskant sind. Investoren sollten nur in ICOs investieren, wenn sie bereit sind, ihr Geld zu verlieren. Sie sollten ausserdem Informationen von sachkundigen Personen, Foren oder Rating-Sites einholen, bevor sie Geld investieren. Das sei konstruktiver, als alle ICOs aus Prinzip zu blockieren. Nach dem völlig verrückten Jahr 2017 glaubt Strategy& von PwC, dass sich das ICO-Phänomen abschwächen werde und Rationalisierungsinvestitionen interessanter würden. Das hiesse, dass neue hybride Modelle für die Finanzierung entstünden. Sie sollen sich zwischen dem traditionellen Vorgehen (seed, Serie A, Serie B, Serie C, IPO) und den riskanten ICOs bewegen. Laut Daniel Diemers, Fintech-Experte des Beratungsunternehmens, sollte es Roundtables mit dem Team, einen Businessplan und einen Prototyp geben, bevor ein Unternehmen einen geplanten ICO der Öffentlichkeit kommuniziere. Erst dann sollten Unternehmen über die Ziele und das Potenzial ihres Projekts informieren. Diese Anforderungen mögen auf den ersten Blick wie eine Innovationsbremse aussehen. Die Validierung von ICOs durch professionelle Investoren helfe aber, schlechte Projekte schon im Vorfeld auszusortieren.
EY und PwC sind sich einig: Die Zukunft von ICOs wird durch Transparenz in der Nutzung der Blockchain bestimmt. Und durch die Fähigkeit, neue Spielregeln und Standards zu erschaffen, die alle Beteiligten akzeptieren. Das wäre auch im Sinne der Crypto Valley Association, die ihre Mitglieder am 12. Januar dazu einlud, einen Verhaltenskodex zu unterzeichnen. Dem Zuger Unternehmen sind mehr als 550 Unternehmen und Einzelpersonen angeschlossen. Um einen ICO zu lancieren, sollten Unternehmen die Identität der Investoren überprüfen, Software zur Bekämpfung von Geldwäscherei einsetzen und auf juristische Personen mit klarer Governance setzen. Die akquirierten Beträge sollten durch den tatsächlichen Bedarf der finanzierten Projekte gerechtfertigt sein. Weitere Garantien sind die schrittweise Freigabe der Mittel und intelligente Verträge, in denen das Austauschvolumen festgelegt wird.
Regionale Unterschiede
Nun stellt sich die Frage, welche dieser Massnahmen die Schweiz gesetzlich regeln soll und welche über eine Selbstregulierung durch die Akteure in der Branche geschehen sollen. Diese Frage ist schwierig zu beantworten. Regierungen auf der ganzen Welt beschäftigen sich aktuell mit der Problematik. Einige befürworten ein völliges Verbot von Kryptowährungen und ICOs, andere versuchen, bestehende Gesetze der neuen Realität anzupassen. Und dann gibt es auch Regierungen, die bei der Regulierung der Branche komplett neue Wege einschlagen wollen. China, Südkorea und Vietnam etwa haben die Finanzierung von Projekten mit Kryptowährungen bereits verboten. Anders vorgegangen sind Hongkong und Singapur. Sie schufen ein rechtliches Umfeld, das eher kulant mit Tokens und Kryptowährungen umgeht. In den USA gab es einige Vorkommnisse, die Unternehmen dazu veranlassten, einladendere Länder für die Durchführung von ICOs zu suchen. Am 29. November 2017 gewann die für Steuererhebungen zuständige Regierungsbehörde Internal Revenue Service ein Verfahren gegen Coinbase. Die Kryptobörse weigerte sich, der Behörde mitzuteilen, wie hoch die Gewinne der Coinbase-Nutzer ausfielen. Letzten Dezember intervenierte die US-Börsenaufsicht zweimal gegen ICOs, nachdem ihr Präsident die Anleger gewarnt hatte, dass Kryptotransaktionen gegen Bundesgesetze verstiessen.
Die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde ESMA ging anders vor. Sie startete am 26. Oktober eine öffentliche Konsultation zur Kryptobranche und legte einige Optionen für die Regulierung auf den Tisch. Eine davon ist es, bereits bewährte Verfahren stärker zu verbreiten. Eine andere ist es, ICOs vor ihrem Start selbst zu validieren. Die Schweiz sei gut aufgestellt, sagen die Autoren der PwC-Studie. Viele grosse Unternehmen und Blockchain-Start-ups seien schon jetzt in der Schweiz ansässig, das Bildungswesen sei stark und die Regierung offen für eine sanfte Regulierung. Auch die vorteilhafte Besteuerung von Unternehmen in der Schweiz und ihre Innovationskultur hob der Regulator hervor. Das Crypto Valley hat also gute Chancen, zur weltweiten Hauptstadt für die Finanzierung von Firmen über Kryptowährungen zu werden. Auch der Bundesrat hat verstanden, dass es nicht wünschenswert ist, der Attraktivität des Landes zu schaden, indem er zu stark in diesen neuen, noch jungen Markt eingreift. "Es ist eine gute Sache, dass sich die Schweiz ein Jahr lang Zeit gibt, um mit den Akteuren der Branche zu reden, bevor sie definitive Entscheidungen fällt", sagt Nicolas Sierro. Das Thema ist komplex. "Die Herausforderung besteht darin, ICOs so zu filtern, dass Qualität über Quantität siegen wird."