Interview mit Patrick Stoll und ­Patman von Station

Wie die Netz-KI im Redaktionsalltag der Netzmedien Einzug hält

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Die Netzmedien haben zusammen mit der Zürcher Digitalagentur Station die Netz-KI entwickelt, ein Set von KI-Tools, die seit Juni das Tagesgeschäft in den Netzmedien-Redaktionen unterstützt. Netz-KI umfasst einen News Screener, einen ­Content Creator und einen Proof Reader. Im Interview geben Patman und Patrick Stoll von Station Auskunft.

Patrick Stoll (l.), CEO, und Patman, Chief Artificial Intelligence & Creative Officer, Station. (Source: zVg)
Patrick Stoll (l.), CEO, und Patman, Chief Artificial Intelligence & Creative Officer, Station. (Source: zVg)

Welche konkreten Anforderungen und Herausforderungen gab es bei der Entwicklung der Netz-KI für die Netzmedien, und wie hat Station diese gemeistert?

Patrick Stoll: Bei der Entwicklung standen wir vor der Herausforderung, eine Lösung zu finden, die sowohl flexibel als auch auf die spezifischen Bedürfnisse der Netzmedien abgestimmt ist. Unsere ersten Schritte beinhalteten die Analyse der gut dokumentieren Workflows, die wir in Einzelschritte aufteilten. Für die relevantesten davon wurden KI-Tools mit der höchsten Wertschöpfung und das dafür nötige Framework umgesetzt. Unser Ziel war es, eine skalierbare Lösung zu schaffen, die nicht ausschliesslich von OpenAI abhängig ist und sich schnell an neue Entwicklungen im KI-Bereich anpassen kann.

Patman: Herausragendes Herzstück ist der «Content Creator». Das Tool erstellt aus Medienmitteilungen, Recherchen oder Notizen massgeschneiderte Inhalte in den gewünschten publizistischen Darstellungsformen für die diversen Netzmedien-Verlagstitel und Leserpersonas. Zudem werden die definierten journalistischen Qualitätsstandards und Schreibkonventionen der Netzmedien berücksichtigt. Eine weitere Funktion der Netz-KI ist der «News Screener», der täglich über 1000 Artikel aus über 50 Quellen nach potenziellen Nachrichten durchsucht. Die KI analysiert, verarbeitet, filtert und legt die Inhalte im Tool ab. Dadurch wird ein zuvor mühseliger manueller Prozess nahezu komplett automatisiert und spart der Redaktion viel Zeit. Das Tool wird durch Nutzung und Feedback trainiert, was die Vorfilterung der Ergebnisse kontinuierlich verbessert. Wie bei anderen Projekten setzten wir in der Zusammenarbeit mit den Netzmedien auf einen MVP-Ansatz (Minimum Viable Product), was uns ermöglichte, schnell ein funktionierendes Produkt zu entwickeln, um früh wertvolle Erfahrungen zu sammeln. Dabei spielten die kritischen Feedbacks des Redaktions-Teams eine wichtige Rolle.

Welche Herausforderungen traten während des Projekts auf und wie wurden diese überwunden?

Patman: Das Entfernen des deutschen Eszett (ß) stellte sich als Knacknuss heraus (lacht). Nein im Ernst, zu Beginn des Projekts war das eingeschränkte Kontextfenster von GPT-4 mit «nur» 8192 Tokens eine Herausforderung in der Verarbeitung langer Inhalte. Durch den Einsatz von Prompt-Chains konnte das gelöst werden. Die erste Ver­sion des «Content Creators» bestand aus einer Kette von zahlreichen Schritten, die sequenziell  ausgeführt wurden und etwa 3 Minuten zur Erstellung eines Artikels benötigten. Diese Wartezeiten erschwerten den Optimierungsprozess und das Identifizieren von Fehlerquellen. Eine weitere Herausforderung lag darin, durchgehend hohe journalistische Qualitätsstandards zu erreichen, etwa das Bewahren von journalistischer Objektivität, das Vermeiden von werblicher Sprache oder das richtige Zitieren von Quellen innerhalb der Artikel.

Welche technologischen Innovationen und einzigartigen Features bringt die von Station entwickelte Netz-KI mit sich, die sie von anderen Lösungen abhebt?

Stoll: Es ist essenziell, die Entwicklungen im KI-Markt zu verstehen, damit man nicht von den grossen Anbietern überholt oder überrollt wird. Unsere Lösungen zeichnen sich durch ihre Anpassung an die Kundenbedürfnisse und durch ihre Erweiterbarkeit aus, die speziell auf die Netzmedien-Publikationen zugeschnitten sind. Die Kombination aus technologischer Flexibilität und operativer Effi­zienz hebt unsere Lösung von anderen ab und bietet den Netzmedien einen entscheidenden Vorteil.

Welche zukünftigen Weiterentwicklungen sind seitens Station für die Netz-KI denkbar, um sie noch besser an die Bedürfnisse der Redaktion anzupassen und die Redaktionsarbeit weiter zu optimieren?

Patman: Wir priorisieren grundsätzlich Tools, die mit kleinen Investitionen einen hohen ROI bieten. Ein zusätzliches Tool in unserer Pipeline ist etwa ein Research-Tool, das noch umfassender Webrecherchen durchführt – eine Art Perplexity.ai auf Steroiden. Ebenso planen wir die erweiterte Einbindung bestehender Artikel der Netzmedien, um diese kontextuell in Beiträge einzubeziehen. Eine stärkere Verknüpfung der einzelnen Arbeitsschritte, von der Recherche bis zur Publikation im CMS, wird die Effizienz nochmals erhöhen. All diese Funktionen zielen darauf ab, die Qualität und Produktivität zu steigern, um die Redaktion zu unterstützen und ihr zu ermöglichen, sich auf ihre Hauptkompetenzen zu konzentrieren.

Wie einfach wäre es, eine neue Version von ChatGPT in die Netz-KI zu integrieren?

Patman: Die Integration einer neuen Version von ChatGPT oder anderen Anbietern ist einfach, muss aber gründlich getestet werden, weil sich eine neue Version auf die Qualität der generierten Inhalte auswirkt. Bereits der Entwicklungssprung von GPT-4 zu GPT-4-Turbo ermöglichte uns dank grösserer Kontextfenster einen komplett neuen Ansatz und verkürzte die Ausgabezeit erheblich. Auch beim Wechsel von GPT-4-Turbo zu GPT-4o gab es zahlreiche Faktoren zu berücksichtigen, wobei die Stärken des neuen Modells besonders im besseren Befolgen von Instruktionen lag. Der Wechsel des LLMs bietet uns die Flexibilität, stets die leistungsfähigsten Modelle oder Anbieter nutzen zu können. Dadurch profitiert die Redaktion nicht nur von der bestmöglichen Qualität, sondern auch von schnelleren und günstigeren Ausgaben. Heute dauert die Generierung eines Beitrags weniger als 25 Sekunden und kostet nur wenige Rappen, ein Bruchteil der vorangegangenen Zeit und Generierungskosten.

Und wie schwierig wäre es, ein anderes LLM wie Claude von Anthropic oder Google Gemini statt ChatGPT als Basis zu nehmen, falls dieses eine bessere Performance oder ein kompetitiveres Pricing böte?

Stoll: Wir hatten bereits vor dem offiziellen Europa-Release Zugang zu Claude 3 Opus von Anthropic. Unsere Tests zeigten, dass die Ergebnisse im Vergleich zu GPT-4-­Turbo deutlich besser waren. Wir wussten aber, dass Open­AI mit einem verbesserten Modell nachziehen würde. Der Wechsel zu GPT-4o löste einige der verbliebenen Probleme und steigerte die Qualität signifikant.

Wie sehen Sie das Spannungsfeld rund um moralisch-ethische Fragestellungen, die sich aus der Nutzung von KI-Tools ergeben?

Patman: Die ethische Verantwortung im Umgang mit KI ist ein Thema, das uns am Herzen liegt. Als Entwickler und Anbieter von KI-Lösungen und meiner Rolle im Vorstand von KImpact (dem grössten KI-Verband der Schweiz) fühlen wir uns verpflichtet, nicht nur technologische Innovationen voranzutreiben, sondern auch sicherzustellen, dass die Technologien ethisch, verantwortungsvoll und zum Wohle der Gesellschaft genutzt werden. Damit wird künstliche Intelligenz zu einer positiven Kraft in der Welt. Wir engagieren uns in Projekten in den Bereichen Bildung, Gesundheit und Nachhaltigkeit, bei denen KI einen echten Unterschied macht.


Über die Netz-KI
Die Netzmedien AG, das grösste ICT-Fachmedienunternehmen der Schweiz und Herausgeberin der Netzwoche, hat im Juni die «Netz-KI» als neues Arbeitstool für die Redaktion lanciert. In Zusammenarbeit mit der renommierten Digital­agentur Station in Zürich entwickelte das Medienhaus ein ChatGPT-gestütztes Werkzeug, das die Arbeitsweise der Redaktion unterstützt und im Tagesgeschäft entlastet. Das innovative Tool zielt darauf ab, die Effizienz zu steigern und gleichzeitig eine weiterhin hohe Qualität der redaktionellen Inhalte sicherzustellen. Die Netz-KI umfasst einen News Screener, einen Content Creator und einen Proof Reader.
Für die Qualität, Richtigkeit und endgültige Freigabe der Texte, egal ob sie mit oder ohne Netz-KI auf den Netz­medien-Plattformen erscheinen, steht weiterhin immer ein Mitglied der Redaktion in der Verantwortung. Ausserdem deklariert die Redaktion Inhalte, die mit Unterstützung der Netz-KI-Assistenten entstanden sind, indem sie diesen als Co-Autor nennt und so die Transparenz gegenüber der Leserschaft gewährleistet.

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