Marcel Keller im Interview

Wo Adecco das Potenzial von KI auf dem Arbeitsmarkt sieht

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Künstliche Intelligenz pflügt den Schweizer Arbeitsmarkt um. Und die Balance zwischen Angebot und Nachfrage gerät ins Wanken, wie Marcel Keller, Schweiz-Chef von Adecco, sagt. Er spricht darüber, ob KI tatsächlich Arbeitsplätze ­vernichtet und wie sich der Fachkräftemangel in der Schweizer IT-Branche entwickelt.

Marcel Keller, Country President, Adecco Group Switzerland. (Source: zVg)
Marcel Keller, Country President, Adecco Group Switzerland. (Source: zVg)

Die Fortschritte auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz (KI) ­verändern die Arbeitswelt – auf welche Weise, ist ­jedoch noch unklar. Was erwarten Sie von dieser Entwicklung?

Marcel Keller: Fortschritte in der KI haben das Potenzial, die Arbeitswelt nachhaltig zu verändern. Künstliche Intelligenz treibt die Automatisierung voran und kann, richtig eingesetzt, die Effizienz steigern. Allerdings bleibt der Mensch im Zusammenspiel zwischen Technologie und Arbeit nach wie vor extrem wichtig. Denn nur richtig eingesetzt, das heisst mit fachlicher und emotionaler Intelligenz, werden auch Effizienzen geschaffen.

Im August 2023 kam eine Studie der Internationalen Arbeitsorganisation zum Schluss, dass KI voraussichtlich mehr Arbeitsplätze schaffen als vernichten werde. Anderen Studien zufolge könnte KI zum Jobkiller werden – und wiederum andere rechnen mit einem Nullsummenspiel, also damit, dass Arbeitsplätze verloren gehen und gleichzeitig neue entstehen. Wie sehen Sie das?

Klar ist, dass sowohl durch die Digitalisierung als auch durch die KI neue Jobs entstehen und gleichzeitig andere verschwinden werden. Richtig umgesetzt könnte dies zu einem Nullsummenspiel werden. In der Realität sieht es aber dann so aus, dass die Menschen, die ihre Arbeit verlieren, nicht (unmittelbar) über die Kompetenzen verfügen, die für die neu geschaffenen Arbeitsplätze erforderlich sind. Wir haben es mit einem immer grösser werdenden Ungleichgewicht zu tun, bei dem die Kompetenzen der vorhandenen Arbeitskräfte nicht mit den benötigten Kompetenzen übereinstimmen. In diesem Zusammenhang ist es sehr wichtig, dass wir auf Umschulung und Weiterbildung setzen und versuchen, das eigene Personal zu halten und so weiterzubilden, dass es für die neuen Aufgaben gerüstet ist. Hierzu braucht es einen sogenannten "Social Contract" also einen Sozialvertrag, wo sich Arbeitnehmende, Arbeitgebende sowie der Staat intensiv dafür einsetzen, dass Mitarbeitende mit redundant werdenden Kompetenzen und Jobs frühzeitig umgeschult werden, idealerweise gleich im selben Unternehmen

Im Gegensatz zu früheren Umbrüchen, etwa im Zuge der industriellen Revolution, löst der KI-Boom nun Jobängste in Positionen aus, die bislang kaum von Automatisierungsprozessen betroffen waren. Inwiefern sind sogenannte "White-Collar"-Jobs respektive die klassischen Bürojobs tatsächlich durch KI bedroht?

Sogenannte "White-Collar"-Jobs, also klassische Bürojobs, beinhalten zum Teil repetitive Tätigkeiten, die durch KI optimiert werden können. Diese Tätigkeiten werden nicht vollständig ersetzt werden können, da jemand die KI-Maschine bedienen und steuern muss. Das sogenannte "prompten", also der Maschine sagen, was sie tun soll. Kurz gesagt: Die Konzeption, Kreativität und Problem­lösungskompetenzen liegen nach wie vor beim Menschen, der die Maschine bedient. Das Potenzial steigt jedoch, sodass in der gleichen Zeit mehr Arbeit erledigt werden kann. Das muss nicht bedeuten, dass der Mensch überflüssig wird, sondern kann auch bedeuten, dass das Unternehmen in der gleichen Zeit mehr Umsatz generiert. Wichtig ist, dass wir KI als Chance für die Unternehmen sehen und bei der Transformation die Menschen mitnehmen und ihnen eine Perspektive geben.

Man könnte meinen, die Verbreitung von KI führe dazu, dass Schulbildung keinen Schutz vor Jobverlust mehr bietet. Was sagen Sie dazu?

Nahezu jeder Beruf hat heute eine technische, analytische und digitale Komponente. Fachliche und soziale Kompetenzen sind jedoch nach wie vor Voraussetzung. Mit anderen Worten: Die Grundausbildung bleibt enorm wichtig, muss aber mit technischen, digitalen und analytischen Kompetenzen angereichert werden. Entscheidend ist: Eine kontinuierliche, auf die wirtschaftlichen und unternehmerischen Bedürfnisse abgestimmte Aus- und Weiterbildung wird für den Erfolg eines Unternehmens, für das Wirtschaftswachstum eines Landes und für die eigene Karriere entscheidend sein. Es liegt im Interesse aller Beteiligten, dafür zu sorgen, dass der sich derzeit abzeichnende Mismatch durch gezielte Massnahmen der Personalentwicklung verringert werden kann. Das gilt für die Unternehmen, den Staat und die Arbeitnehmenden selbst.

Welche Berufe sind Ihrer Ansicht nach besonders anfällig für ­KI-Umwälzungen?

Dies hängt stark von der weiteren Entwicklung der KI-Technologien ab. Heute sind vor allem Berufe betroffen, in denen bestimmte repetitive und vorhersehbare Aufgaben von KI übernommen werden können. KI wird uns helfen, die Effizienz in der Datenverarbeitung zu steigern, aber auch im Kundenservice, in der Buchhaltung und in anderen Bereichen. Richtig eingesetzt, erweitert KI die Möglichkeiten und den Horizont jedes Berufs. Die menschliche Interaktion und Kontrolle werden dabei jedoch an Bedeutung gewinnen.

Viele grosse IT-Unternehmen haben in den vergangenen Monaten und Jahren Stellen abgebaut. Gleichzeitig herrscht in der IT-Branche ein erheblicher Fachkräftemangel. Wie passt das z­usammen?

Der Mismatch ist tendenziell höher in Berufsgruppen, die einem starken Wandel unterworfen sind. Dies ist in der Informatik der Fall. Der Kostendruck und die negative konjunkturelle Entwicklung belasten die Unternehmen sehr, sodass sie in bestimmten Phasen sehr schnell Kosten senken müssen. Die redundant gewordenen Fachkräfte in IT-Unternehmen haben zum Teil sehr spezifische Kompetenzen, die nicht immer gleich häufig nachgefragt werden. Einen hundertprozentigen Match im IT-Bereich zu finden, ist eine Herausforderung.

Der Kampf um Fachkräfte mit Digitalkompetenzen wird sich wohl verschärfen. Und die Unternehmen tragen eine gewisse Mitschuld daran: Die meisten Firmen investieren nur wenig in die Weiterbildung ihrer Mitarbeitenden und setzen stattdessen auf Neueinstellungen, wie eine kürzlich publizierte Umfrage von Adecco zeigt. Was sind die Gründe dafür? Und was sind die Konsequenzen?

Die Studie zeigt vor allem, dass Unternehmen bei einer Neuausrichtung dazu neigen, klassisch umzustrukturieren. Das bedeutet, dass bestimmte Fachkräfte entlassen und neue eingestellt werden. Hier muss ein Umdenken stattfinden: Vorausschauend analysieren, wann welche Ressourcen benötigt werden, und frühzeitig interne Mitarbeitende umschulen oder weiterbilden, damit sie die notwendigen Kompetenzen erwerben. Neben kurzfristigen Massnahmen ist es wichtig, immer auch langfristig zu denken und dafür zu sorgen, dass man die richtigen Fachkräfte hat und weiterbildet, um wieder voll durchstarten zu können, wenn die Wirtschaft wieder anzieht.

In der Schweiz hat sich der Fachkräftemangel in der IT-Branche zuletzt entspannt, wie aus dem Swiss Skills Shortage Index 2023 von Adecco hervorgeht. Das heisst allerdings, dass die Zahl der arbeitslosen Informatikerinnen und Informatiker hierzulande zugenommen hat – per September 2023 betrug der Anstieg gegenüber dem Vorjahresmonat knapp 45 Prozent. Woran liegt das?

Dieser im positiven Sinne sinkende Fachkräftemangel beziehungsweise im negativen Sinne steigende Anteil an arbeitslosen IT-Fachkräften ist vor allem auf die negative konjunkturelle Entwicklung zurückzuführen. Die Unternehmen stehen international unter hohem Kosten- und Effizienzdruck, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Sie müssen in kürzester Zeit neue Projekte lancieren und am nächsten Tag andere stoppen. Laut Gartner sollen die globalen IT-Ausgaben im Jahr 2024 aber um 8 Prozent steigen, was darauf hindeuten könnte, dass die Nachfrage nach IT-Fachkräften wieder anziehen wird.

Womit rechnen Sie für die kommenden Jahre? Wird sich der IT-Fachkräftemangel tendenziell verschärfen oder sollten sich die hiesigen IT-Fachkräfte vielmehr um ihre Jobsicherheit sorgen?

Es ist davon auszugehen, dass der Mangel an IT-Fachkräften in den kommenden Jahren weiterhin gross sein wird, da die Nachfrage nach digitalen Kompetenzen hoch bleibt. Ebenfalls wird der europaweite demografische Wandel dazu führen, dass das Angebot an IT-Fachkräften in den kommenden Jahren eher abnehmen als zunehmen wird. Dies verschärft den Fachkräftemangel in diesem Bereich weiter. Wahrscheinlich wird insbesondere die Nachfrage nach Cybersecurity-Experten steigen. Eine Studie von Sharp deutet darauf hin, dass IT-Sicherheit eine der grössten Herausforderungen für Schweizer KMUs darstellt. Insgesamt sind IT-Fachkräfte stark vom technologischen Wandel betroffen und müssen sich ständig weiterbilden und umorientieren, um den sich wandelnden Anforderungen des Arbeitsmarktes gerecht werden zu können.

Was raten Sie Schweizer Unternehmen, die schon heute Mühe ­bekunden, genügend IT-Spezialisten und -Spezialistinnen zu ­rekrutieren?

Schweizer Unternehmen sollten in die Aus- und Weiterbildung ihres bestehenden Personals investieren, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Darüber hinaus können Unternehmen durch die gezielte Rekrutierung und Aus- und Weiterbildung von Quereinsteigern, durch Partnerschaften mit Bildungseinrichtungen und durch flexible Arbeitsbedingungen Fachkräfte gewinnen und halten. Ein sehr grosses Potenzial liegt auch im Teilzeitbereich vor allem bei Frauen oder auch Wiedereinsteigerinnen.

Wie sieht es aus Sicht der Arbeitnehmenden aus? Welche Upskilling-Massnahmen oder Weiterbildungen sind aktuell besonders vielversprechend, um sich beispielsweise gegen die Gefahr eines Jobverlusts durch KI zu wappnen?

Derzeit gibt es einen starken Trend zu Weiterbildungsmassnahmen in Bereichen wie Datenanalyse, Programmierung, künstliche Intelligenz und digitale Transformation, um die Beschäftigungsfähigkeit in einer sich wandelnden Arbeitswelt zu verbessern.

Wie beurteilen Sie die Chancen und Risiken des Einsatzes von KI im HR respektive in der Rekrutierung von Mitarbeitenden?

Der Einsatz von KI in HR und Recruiting kann Chancen und Risiken mit sich bringen. Im HR-Bereich gibt es viele positive Anwendungsmöglichkeiten, wie etwa die intelligente Nutzung interner Daten zur Besetzung interner Stellen oder die Unterstützung durch KI bei der Optimierung von Stellenanzeigen. In der Rekrutierung können KI-gestützte Tools die Effizienz von Rekrutierungsprozessen verbessern, wobei ethische Bedenken, insbesondere in Bezug auf Datenschutz und Fairness, berücksichtigt werden müssen. Bei der Adecco-Gruppe haben Assessments und persönliche Interviews im Selektionsprozess einen hohen Stellenwert. Wir sind überzeugt, dass der Kandidat weiterhin im Mittelpunkt stehen soll.

In welcher Art und Weise setzt Adecco heute schon KI ein? Und was schwebt Ihnen diesbezüglich vor?

Die Adecco Gruppe setzt bereits verschiedene KI-gestützte Lösungen ein, um die Rekrutierung, Karriereberatung und Mitarbeiterentwicklung zu unterstützen. Zukünftig streben wir eine noch tiefgreifendere Integration von KI in unsere Dienstleistungen an, um unseren Kunden und Kandidaten einen Mehrwert zu bieten. Beispiele sind die Unterstützung unserer Personalberater bei der Erstellung von Stellenbeschreibungen auf Basis unserer internen Bewerberdatenbank; die Rekrutierung geeigneter Kandidaten auf der Grundlage unserer Datenbank und der Kriterien des Kunden, inklusive der Erstellung einer Shortlist; die Erstellung von Inhalten für Vorstellungsgespräche, indem wir den Beratern Fragen vorschlagen, die sie auf der Grundlage des Kandidaten und der Stellenbeschreibung stellen können. Durch diese Effizienzsteigerung haben unsere Berater mehr Zeit für das, was sie am besten können: Zeit für Interviews und die Auswahl von Kandidaten. Im Rahmen einer strategischen Partnerschaft mit Microsoft sind wir zudem daran, ein Co-Pilot-Tool zu lancieren, das Bewerbende im Bewerbungsprozess unterstützt.

Zum Schluss noch eine persönliche Frage: Angenommen, Sie stünden heute vor der Berufswahl und wollten eine zukunftsträchtige Richtung einschlagen – wohin würde es Sie ziehen?

Gute Frage, und ich bin mir sicher, es würde mich wieder in eine Führungsposition ziehen, da ich sehr gerne mit Menschen zusammenarbeite. Zudem würde ich wieder ein Unternehmen führen wollen. Beides, also Menschen sowie ein Unternehmen führen, kann nicht durch KI übernommen werden. Auch das Bilden einer Unternehmenskultur wird nie durch KI ersetzt werden. Emotionale Intelligenz sowie menschliche Interaktionen werden aus meiner Sicht immer dem Menschen vorbehalten sein. Und das ist auch gut und richtig so.


Zur Person

Marcel Keller, geboren 1964, absolvierte nach einer Kochlehre die Hotelfachschule und bildete sich am Management Zentrum St. Gallen weiter. Am IMD in Lausanne absolvierte er das Adecco Leadership Program und bildete sich am ­INSEAD weiter. Im Juli 2003 übernahm er die kommerzielle Leitung von Adecco Deutschschweiz und wurde 2007 zum Operational Director Deutschschweiz ernannt. Im Jahr 2009 wurde er zum Chief Operating Officer für die gesamte Schweiz befördert. 2014 übernahm Marcel Keller die Posi­tion des Country General ­Manager & Group Leader bei Kelly und leitete die Geschäfte in der Schweiz, Italien und Ungarn. 2021 kehrte Keller zur Adecco Gruppe zurück und übernahm die Position des Country President der Adecco Gruppe Schweiz. Marcel Keller ist verheiratet und Vater einer Tochter.

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