Accessibility: Fahrstuhl-Roulette, leere Menüs und viel Kreativität
Als ich die Büros der Netzmedien zum ersten Mal besucht habe, betrat ich den Aufzug und fuhr damit beinahe alle sieben Stockwerke des Hauses ab. Die Redaktionsräume sind im dritten Stock – es war weder nötig noch von mir beabsichtigt, eine Tour durch den ganzen Block zu unternehmen. Aber ich hatte es nicht geschafft, dem Lift den korrekten Befehl zu geben. Und dies liegt nicht daran, dass ich zu blöd bin, Fahrstühle zu bedienen, sondern an der mangelnden Accessibility des Aufzugs.
Mein Name ist René Jaun, und ich arbeite seit August in der Redaktion der Netzwoche. Ich wurde stark sehbehindert geboren, und mit 16 Jahren erblindete ich vollständig. Ob ein Gerät, eine App oder Website barrierefrei umgesetzt ist, entscheidet oft darüber, ob ich sie uneingeschränkt nutzen kann oder nicht. Und dass es in der Schweiz mit der Barrierefreiheit nicht weit her ist, erfahre ich ganz praktisch jeden Tag aufs Neue.
Der Aufzug in unseren Büroräumlichkeiten ist ein Beispiel für Nicht-Accessibility. Tatsächlich verfügt der Lift nämlich über Beschriftungen in Brailleschrift. Für den Betrachter scheint das Steuerungspanel komplett barrierefrei. Das Problem: Statt normaler Knöpfe besitzt der Fahrstuhl eine berührungsempfindliche Steuerung. Während ich nun mit meinen Fingern nach Beschriftungen taste, ist es beinahe unvermeidlich, dass ich versehentlich ein paar der Touch-Knöpfe aktiviere. Und da der Aufzug die Stockwerke nicht akustisch ansagt, kann ich nie sicher sein, wo ich letztlich lande.
Mangelnde Barrierefreiheit ist auch im Berufsalltag ein Thema. Gleich zu Beginn meines Praktikums merkten wir, dass unser Redaktionssystem nicht mit der Sprachausgabe zusammenspielt, die meinen Windows-Bildschirm vorliest. Mir werden lediglich einige unbeschriftete Buttons und leer scheinende Menüs angesagt – zu wenig, um damit sinnvoll zu arbeiten.
Steht dadurch mein Job bei den Netzmedien auf dem Spiel? Natürlich nicht! Viele andere Tools, die wir einsetzen, funktionieren auch mit meinem Hilfsmittel. Ich erstelle Newsletter und bearbeite den Newsdesk wie meine Kollegen, und bei aller Bescheidenheit vermute ich, dass ich beim Durchlesen langer Pressemitteilungen dank der Highspeed-Sprachausgabe meines PCs sogar etwas schneller bin als die Sehenden im Büro. Aber mein Job funktioniert vor allem dank der Zusammenarbeit mit meinen Teamkollegen: Sie und ich sind immer wieder bereit, Probleme kreativ und gemeinsam zu lösen. Das ist herausfordernd und braucht Kraft. Aber es ist auch aufregend und spannend.
Dennoch plädiere ich für mehr Accessibility. Es ist heute möglich, Geräte, Apps und Websites so umzusetzen, dass sie von den meisten Menschen genutzt werden können.
In der Zwischenzeit schicke ich meine Texte per E-Mail an meine Kollegen, die sie dann ins Redaktionssystem einfügen. Und statt mir jeden Tag das Fahrstuhl-Roulette zu gönnen, verzichte ich vorerst auf den Aufzug und erreiche unser Büro über die Treppe – ist ja auch gesünder.