Nörgler, Besserwisser und Querulanten
Kunden haben immer Recht. Diesen Satz soll der Schweizer Hotelier César Ritz, Gründer der "Ritz Carlton"-Hotels, zu Beginn der 1890er-Jahre seinen Angestellten eingetrichtert haben. Genau genommen formulierte er es als doppelte Verneinung: Le client n’a jamais tort; auf Deutsch: Der Kunde hat niemals Unrecht. Das ist natürlich Quatsch. Es gibt immer wieder Kunden, die sich geradezu bösartig unverschämt aufführen. Solch schwieriger Kundschaft sollte man jedoch ganz besonders gut zuhören und ihr stets das Gefühl geben, im Recht zu sein.
Kunden sind schwierig. Das sagt einem zwar niemand, aber alle wissen es. Denn Kundinnen und Kunden sind als solche nur schwer berechenbar. Wer beispielsweise shoppen geht, entscheidet vor allem aus dem Bauch heraus, handelt also im Affekt. Da ist alles möglich, vom impulsiven Zugreifen bei der Quengelware bis hin zum komplett irrationalen Kauf von Pommes-Chips mit Cervelat-Geschmack. Hinzu kommt: Manche Kundinnen erwarten eine ehrliche, aber dennoch freundliche persönliche Beratung. Aber Vorsicht: Verkäufer sollten diese Dienstleistung nur mit höchster Zurückhaltung anbieten. Denn wer zu forsch danach fragt, ob man behilflich sein könne, kassiert schnell die Standardfloskel: "Nume am luege!" Damit signalisiert die Kundin, dass sie in Ruhe gelassen werden will.
Der Kunde ist König. So lautet der Leitsatz, den der US-amerikanische Unternehmer Harry Gordon Selfridge für sein 1909 eröffnetes Londoner Kaufhaus Selfridge & Co. prägte. Die Idee dahinter: Die Kundin soll glauben, sie sei wichtig und ihr würden deswegen alle möglichen Wünsche erfüllt.
Kunden sind Helden. So könnte man das moderne Marketing-Mantra der Customer Journey umschreiben. Denn diese sagenumwobene Kundenreise erinnert auffällig an das Erzählmuster, das der US-amerikanische Mythenforscher Joseph Campbell aus unzähligen Sagen, Märchen und Mythen als Prinzip der Heldenreise herausdestillierte. Statt einzelner Stationen der Heldenreise gibt es einfach "Touchpoints" – also Berührungspunkte zwischen dem potenziellen Käufer und einem bestimmten Produkt oder einer Marke. Ziel ist es, diese Kontaktpunkte zu optimieren, um beispielsweise Streuverluste von Werbung zu verringern und die Konversionsrate zu steigern.
Kunden sind Nörgler, Besserwisser und Querulanten – und das ist gut so! Denn sie leisten etwas Wertvolles, was sich innerhalb von Organisationen nur schwer finden lässt: schonungslos ehrliche Kritik. Die Kundin von morgen ist keine Heldin, sondern eine moderne Antiheldin. Sie ist vielschichtig, zeigt ihre Schwächen, macht sich auch mal unbeliebt – und ist gerade deswegen sympathisch. Natürlich lohnt es sich, Kunden genau zuzuhören – sonst würde man beispielsweise nie erfahren, dass es eine miserable Idee ist, Kartoffelchips mit Cervelat-Geschmack zu vermarkten. Man kann das zwar ökonomisch rechtfertigen, aber es ist und bleibt ein kulinarisches Verbrechen. Und die Kundinnen werden sich womöglich dafür rächen. Das kommt davon, wenn man Konsumierende über 100 Jahre lang hofiert, sie zu Königen sowie Heldinnen erklärt – und mittels Marketingmodellen versucht, sie auf subtile Weise zu manipulieren, ohne das Wörtchen Werbung zu deklarieren. Statt also den archetypischen Kunden auf seiner vermeintlichen Reise zu begleiten und jede seiner Stationen so komfortabel wie möglich zu gestalten, wäre es sinnvoller, die Kundinnen und Kunden einfach so zu nehmen, wie sie sind: als Menschen, die dazu bereit sind, ein Geschäft abzuschliessen – und im Gegenzug nichts weiter erwarten als Transparenz.