Editorial

Trust Issues

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Joël Orizet, stellvertretender Chefredaktor. (Source: Netzmedien)
Joël Orizet, stellvertretender Chefredaktor. (Source: Netzmedien)

Genau genommen gehört "digitales Vertrauen" auf den Müllhaufen der misslungenen Begriffsschöpfungen. Denn im wörtlichen Sinne würde der Begriff bedeuten, dass es eine neue, besondere Art von Vertrauen gäbe, die in Glasfaserleitungen, zwischen Mobilfunkmasten oder Satellitensystemen herumschwirrt und in elementarer Form aus Nullen und Einsen besteht, was natürlich kompletter Unfug ist. Wer von digitalem Vertrauen spricht, meint tatsächlich etwas anderes, nämlich Vertrauen in digitale Technologien – genauer gesagt: Vertrauen in die Anbieter angeblich sicherer digitaler Technologien. Doch dazu später.

Das Problem an diesem Begriff ist die Adjektivkonstruktion. Adjektive benennen Eigenschaften, bezüglich Vertrauen zum Beispiel: spezifisches, etwa auf bestimmte Personen bezogenes Vertrauen vs. generalisiertes Vertrauen, in politische Institutionen oder in die ­Menschen im Allgemeinen. Bei "digitalem Vertrauen" geht es jedoch, wie schon erwähnt, nicht um die Zuschreibung von Eigenschaften, sondern nur um eine Spezifizierung dessen, worauf sich dieses Vertrauen bezieht, also auf digitale Technologien. Und wer diesen Sachverhalt begrifflich verdichten will, kann ihn einfach substantivieren. So wird aus dem Vertrauen in digitale Technologien ganz einfach ­"Digitalvertrauen". Das wirkt vielleicht komisch, wäre aber als ­Begriffskonstruktion nur konsequent – analog zu Systemvertrauen, Regelvertrauen oder für jene mit einem Hang zum Ausserweltlichen auch Gottvertrauen.

Natürlich kann man einwenden, dass das alles Wortklauberei ist. "Digitales Vertrauen" klingt vielleicht besser und ist als Marketing­begriff anschlussfähiger, weil aus dem Englischen übersetzt. Mag sein, doch das ist noch lange kein Grund, Unsinn zu verbreiten. Und die Rede von digitalem Vertrauen ist nun mal genau das: unsinnig.

Aber Schwamm drüber. Das Spannende an der Diskussion über Vertrauen im digitalen Raum sind ohnehin nicht sprachliche Konven­tionen, sondern wirtschaftliche Interessen. Denn es ist durchaus gewollt und strategisch geplant, dass Digital Trust als Buzzword immer weitere Kreise zieht. Inzwischen fungiert es als Namensgeber für Geschäftsbereiche, Stiftungen, Kompetenzzentren an Fachhochschulen und Whitepapers von Verbänden. Und die Absicht dahinter scheint klar: Man will Vertrauen in die Technologiebranche vermitteln, denn Vertrauen ist gut fürs Geschäft.

Das stimmt übrigens auch auf volkswirtschaftlicher Ebene: Generalisiertes Vertrauen fördert das Wirtschaftswachstum, was mehrere Studien auch im internationalen Vergleich empirisch untermauern. Doch wenn dieses Vertrauen verloren geht – was immer wieder mal passiert, wenn Erwartungen in Enttäuschungen umschwenken –, dann bremst das die Investitionstätigkeit und führt schlimmstenfalls zu Orientierungs- und Wirtschaftskrisen, wie der Schweizer Wirtschaftshistoriker Hansjörg Siegenthaler aufgezeigt hat.

Das Problem mit den auf Vertrauen bezogenen Kommunikationsbemühungen ist allerdings, dass sie ins Leere laufen und womöglich sogar kontraproduktiv sind. Denn wer offensichtlich um Vertrauen wirbt, weckt Misstrauen oder macht sich zumindest suspekt. Das liegt daran, dass man Vertrauen, das heisst die Überzeugung oder das Gefühl, dass man sich auf jemanden oder etwas verlassen kann, nicht herstellen, reproduzieren oder zertifizieren kann. Vertrauen lässt sich nur verdienen, und zwar durch vertrauenswürdiges Verhalten. Oder anders gesagt: Vertrauen ist keine Bring-, sondern eine Holschuld, die sich nur auf eine Weise wahrnehmen lässt: indem man anderen genügend Grund zur Erwartung in die eigene Verlässlichkeit bietet. Und das gelingt eben nur durch Taten und nicht durch Worte – erst recht nicht durch die Worte, die der Fernsehpolizist Sledge Hammer in der gleichnamigen TV-Serie aus den 1980er-Jahren immer sagte, bevor er eine Dummheit beging: "Vertrauen Sie mir – ich weiss, was ich tue!"

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