"Man muss die richtigen Schlüsse aus den Signalen ziehen"
Oliver Christ forscht an der ZHAW School of Management and Law über IT-Trends und Geschäftsszenarien. Er erläutert, weshalb Informationen nicht denselben Stellenwert haben wie andere geschäftskritische Unternehmensressourcen und skizziert einen möglichen Ausweg.
Herr Christ, was genau verstehen Sie unter Informationsmanagement?
Informationsmanagement ist die gezielte Planung, Steuerung und Verteilung der Ressource Information entlang der Wertschöpfungsketten der Unternehmen. Sie ist genauso eine Ressource wie Finanzen und Produktionsfaktoren. Diese beiden wurden im Unterschied zur Information immer sehr sorgsam gemanagt. Es gibt Regeln und einheitliche Verfahren. Man geht sehr ökonomisch damit um.
Weshalb macht man dasselbe nicht auch mit den Informationen?
Information ist eine nahezu unbegrenzte Ressource. Informationen strömen freiwillig und unfreiwillig in die Organisation, beispielsweise durch E-Mail oder Social Media. Modernes Informationsmanagement bedeutet folglich, sehr sorgsam mit dieser Ressource umzugehen. Sie sollte bedarfs- und zielgerichtet gesteuert und zudem an die Geschäftsprozesse gebunden werden. Es ist in erster Linie ein Prozess der Bewusstwerdung.
Geschieht denn das nicht zum Beispiel mit ERP- und Business-Intelligence-Systemen heute schon?
Ja, Geschäftsprozesse sind schon heute mit Transaktionsdaten hinterlegt. Nun kommen aber die unbegrenzten Informationsströme aus der Big-Data-Welt dazu. Die Verwendung und Veredelung dieser Daten geschieht heute noch zu wenig zielgerichtet und nicht am Geschäfts- beziehungsweise Einsatzzweck ausgerichtet.
Woran liegt das?
An der Aufweichung der Grenzen zwischen internen und externen und zwischen strukturierten und unstrukturierten Daten. Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass es in den 1970er-Jahren vorwiegend isolierte Anwendungen, etwa für Finanzen, Personal und Produktion gab. Die verschiedenen Systeme waren kaum integriert. Danach wurden Supply-Chains zusammengelegt – jedoch nach wie vor sehr strukturiert und transaktionsorientiert. Daraus entstanden die viel zitierten digitalen Wertschöpfungsketten. Nun ist die Informationswelt viel komplexer geworden. Jeder Mensch und jede Maschine wird theoretisch zum Informationslieferanten. Es geht nun für die Unternehmen darum, Rezepte zu finden, um diese unstrukturierten Informationen zielgerichtet in ihre Prozesse einzubinden und zur richtigen Zeit an die richtige Stelle in der richtigen Form und Aggregation zu liefern.
Wie stellt man das am besten an?
Diese unstrukturierten Informationen können beispielsweise dazu dienen, Prognosen zu liefern. Sie können jedoch nicht gleich gehandhabt werden wie etwa eine Stückliste. Das zeigt folgendes Szenario: Es kann sein, dass es anhand solcher Daten ein Signal für einen Trend gibt, was beispielsweise für ein Unternehmen der Modebranche sehr relevant sein kann. Dieses sollte jedoch vorsichtig sein mit der Interpretation der Signale. Vielleicht liegt es ja daran, dass sich gerade einige Menschen über den Trend ironisch äussern. Dann wäre eine Investition kontraproduktiv. Neben der Einbindung der Information in den Prozess ist also auch die Semantik und Interpretation wichtig und wird zum Differenzierungskriterium. Man muss die richtigen Schlüsse aus den Signalen ziehen.
Nun gibt es viele Anbieter von Lösungen zur Auswertung von Big Data. Die Situation ist recht unübersichtlich. Was sollten die Anwenderunternehmen denn Ihrer Meinung nach tun, um das Richtige zu finden?
Wichtig ist, nicht bei der Software zu beginnen. Es geht darum, zuerst eine sorgfältige Analyse der Organisation, der Ziele, der Prozesslandkarte und der Geschäftsprozesse vorzunehmen. Dann muss die Ressource Information – genauso wie es für die strukturierten Daten passiert – bezüglich der Behandlung der unstrukturierten Daten bedarfs- und zielgerecht geplant werden. Geht es zum Beispiel darum, ein Tool für die Analyse von Social-Media-Daten einzubauen, dann muss man wissen, wie diese Informationen verwendet werden und was man genau damit erreichen will.
Um noch einmal auf die Gründe zurückzukommen, weshalb mit der Ressource Information vergleichsweise wenig zielgerichtet umgegangen wird: Wird nicht ganz einfach der Stellenwert von Informationen unterschätzt?
Geschäftskritisch ist Information ja schon. Es gibt sehr wissensintensive Prozesse, bei dem es beispielsweise um Time-to-Market geht. Eine enge Verzahnung von Dokumenten- und Workflow-Management sowie der Auswertung von internen und externen Daten kann diesen Prozess enorm beschleunigen. Der Grund liegt wohl eher in der Komplexität, Denkweisen aus zwei Welten zusammenzuführen. Wer in der Prozess-, ERP- und Transaktionswelt zuhause ist, ist es nicht gewohnt, in den Dimensionen von unstrukturierten Informationen und Big Data zu denken. Dasselbe geschieht umgekehrt. Letztlich ist klar, dass CIOs Fachleute von beiden Seiten in ihren Reihen haben sollten. Nur so können sie ein zukunftsfähiges Informationsmanagement betreiben.