Der virtuelle Körper als 3-D-Simulationsmodell
Patientenspezifische 3-D-Simulationen ermöglichen präzise, wirtschaftliche und effiziente Eingriffe in der Medizin. Während heute vornehmlich Visualisierungen des menschlichen Körpers möglich sind, fehlt die Einbindung der funktionellen-mechanischen Eigenschaften der biologischen Materialien.
An der ZHAW School of Engineering entwickelt ein interdisziplinäres Forschungsteam basierend auf den bisherigen Möglichkeiten eine Erweiterung der Operationsplanung mittels der Finite-Elemente-Methode (FEM) zur strukturmechanischen Analyse.
Bildgebende Verfahren wie Computertomographie (CT) und Magnetresonanztomographie (MRI) sind im klinischen Alltag routinemässig im Einsatz, um Bilder des Körperinneren zu erzeugen. Radiologen nutzen diese Schichtbilder durch den menschlichen Körper, um medizinische Befunde zur Diagnose und zur Überwachung des Genesungsverlaufs herzuleiten. Weiter lassen sich die Schichtbilder durch Computerprogramme segmentieren, um daraus die geometrische Form der Körperteile wie Knochen, Muskeln oder Gewebe zu berechnen. Damit sind die Körperteile als 3-D-Objekte darstellbar und können für Untersuchungen räumlich vermessen werden. Die laufende Entwicklung in der Medizininformatik dreht sich um die Herausforderung, den virtuellen Körper möglichst realistisch in seinem Verhalten simulieren zu können. Dabei gilt es, die funktionalen Eigenschaften der dreidimensionalen Körperteile wie Festigkeit, Elastizität und Beweglichkeit in Computermodellen physikalisch nachzubilden sowie interaktiv in 3-D darzustellen.
Operationstraining im 3-D-Simulator
Den Nutzen solcher Simulationsmodelle zeigen beispielhaft die Anwendungen der Firma Virtamed, die als Spin-off aus Forschungsprojekten der ETHZ und ZHAW entstanden ist. Mit ihren Virtual-Reality-Simulatoren können angehende Ärzte ausserhalb des Operationssaals und ohne Gefährdung von Patienten chirurgische Eingriffe trainieren. Mit Operationsinstrumenten aus dem medizinischen Alltag üben die Ärzte unter anderem Knie- und Schulterarthroskopien, ähnlich wie Piloten für ihr Training virtuelle Cockpits in Flugsimulatoren nutzen.
Bei der minimalinvasiven Methode der Arthroskopie führt der Chirurg durch einen kleinen Kanal das Operationsinstrument und eine miniaturisierte Kamera in den Körper ein. Der Virtual-Reality-Simulator erzeugt anhand der errechneten Nachbildung des menschlichen Körpers die Ansicht dieser Kamera. Dabei verhält sich das virtuelle Gewebe realistisch, etwa durch Zittern bei Berührung, oder die Entstehung von Komplikationen wie etwa Blutungen, die auch bei der realen Operation die Sicht des Arztes beeinträchtigen. Der Operationssimulator bietet didaktisch strukturierte Trainingsprogramme und unterstützt damit eine effiziente und sichere Ärzteausbildung.
Personalisierte Simulation für die Operationsplanung
Aufgrund der modernen Bildgebung ist es wie oben beschrieben heutzutage problemlos möglich, dreidimensionale, geometrische Darstellungen von biologischen Strukturen am Computer zu berechnen. Deren funktionelle Eigenschaften, wie etwa Elastizität, Nicht-Linearität oder Festigkeit, hingegen sind weitaus schwieriger numerisch abzubilden. Damit ist eine virtuelle Operationsplanung mit Einbezug der mechanisch-funktionellen Randbedingungen bis jetzt nur sehr eingeschränkt möglich.
Ein neuartiger Prozess, der die genannten Eigenschaften miteinbezieht, wurde nun an der ZHAW entwickelt. Die Umsetzung wurde exemplarisch für das Kniegelenk gewählt, kann jedoch auf weitere anatomische Strukturen übertragen werden. Ein bestehendes Grundmodell wird anhand von patienten-spezifischen Magnetresonanztomographie-Daten (MRT) und durch numerische Bildverarbeitungsalgorithmen angepasst. Somit kann innerhalb kürzester Zeit ein patientenspezifisches Simulationsmodell, inklusive mechanisch-funktionellen Randbedingungen, automatisiert erstellt werden. Die patientenspezifischen MRT-Daten werden semi-automatisch rekonstruiert. Dabei müssen Knochen, Bänder und Knorpel erkannt werden. Das entsprechende 3-D-Modell wird dann in die Finite-Element(FE)Software Ansys importiert. Hier werden den anatomischen Strukturen entsprechende Kennwerte (im wesentlichen Elastizitätsmoduli und Querkontraktionszahlen) zugewiesen. Im FE-Programm werden die physikalischen Geometrien durch ein Netz (Mesh) ersetzt, welches aus Knotenpunkten und Elementen besteht. Jeder Knotenpunkt steht über strukturmechanische Bedingungen mit den Nachbarknoten in Verbindung. Dem FE-Modell werden Verschiebungen (Translationen und Rotationen) oder Belastungen (Kräfte und Momente) in allen drei Raumrichtungen über die Knochen eingeleitet. Als Ergebnisse werden jeweils die anderen Parameter ausgegeben.
Auf dem Weg zur Praxistauglichkeit
Am Kniemodell werden funktionelle Untersuchungsmethoden wie der Schubladentest durchgeführt. Dabei wird der Unterschenkel bei fixiertem Oberschenkel mit einer definierten Kraft nach vorne gezogen. Die dabei auftretende Auslenkung in Millimeter ist dabei ein Mass für die Instabilität nach einem Kreuzbandriss.
Um die angestrebte Operationsplanung praxistauglich zu machen, musste die Berechnung der FE-Simulation beschleunigt werden, da diese für einen vollen Berechnungsdurchlauf mehrere Stunden benötigt. Um den Aufwand zu reduzieren, werden im an der ZHAW entwickelten Workflow die patientenspezifischen Modelle mittels geometrischer Deformation (Morphing basierend auf ITK) auf vollständig durchgerechnete Referenzsimulationen angeglichen. Die Resultate des Referenzmodells werden dann über eine Rücktransformation auf das Patientenmodell zurückgerechnet (Programmierung in C#). Die geometrische Anpassung wird aus den Schichtbildern mittels Bildregistrierung errechnet. Dies kann zur Zeit nicht vollautomatisch erfolgen, so dass medizinisches Fachpersonal über die grafische Oberfläche der Software den Vorgang der Patientenanatomie-Registrierung manuell steuern muss. Nach erfolgter Registrierung können dann interaktiv physiologische Bewegungen am Patientenmodell simuliert werden, um bestmögliche Positionen und Ausrichtungen der Implantate und Instrumente zu ermitteln.
Von der virtuellen zurück in die reale Welt
Sind virtuelle Körpermodelle eines Patienten vorhanden, können diese für die computergesteuerte Herstellung realer Artefakte genutzt werden. So lassen sich aus den 3-D-Modellen personenspezifische Geometrieformen ableiten, die für die Erzeugung individuell dimensionierter Implantate genutzt werden. 3-D-Drucker werden eingesetzt, um massgeschneiderte Prothesen individuell auf die Patientenbedürfnisse anzufertigen. 3-D Printing wird auch bei schwierigen Eingriffen zur OP-Vorbereitung verwendet. Die Kunststoffmodelle aus dem 3-D-Drucker lassen sich vor der Operation in die Hand nehmen und Operationsschritte wie sägen, fräsen oder schrauben daran vorab durchführen. Dies spart Zeit bei der eigentlichen Operation und führt zu besseren Behandlungsergebnissen.
Der Einsatz neuartiger Verfahren und Techniken ermöglicht vielfältige Verbesserungen im Gesundheitswesen. Die Kompetenzen der ZHAW School of Engineering in den Bereichen Informatik, Biomechanik, Medizintechnik, Sensorik, modellgestützte Datenanalyse, Computersimulation und medizinische Bildgebung werden genutzt, um innovative Lösungen praxisnah zu entwickeln. Dabei strebt die ZHAW School of Engineering die Zusammenarbeit mit Industriepartnern an, damit die Potenziale von eHealth und medizinischen Systemen zeitnah in Wirtschaft und Gesellschaft umgesetzt und genutzt werden.