Der steinige Weg zu 5G
Der Mobile World Congress 2017 drehte sich vor allem um ein Thema: 5G. Dahinter steckt eine Technologie, zu der noch viele Fragen im Raum stehen. In der Schweiz gibt es immerhin ein Projekt, das nach Antworten sucht.
Am diesjährigen Mobile World Congress war 5G das ganz grosse Thema. An allen Ecken und Enden gab es Stände und Schilder, welche die neue Technologie bewarben.
Der einfachsten Definition nach steht 5G für die fünfte Generation mobiler Netzwerke. Es ist die Technologie, die Mobiltelefone und Tablets der Zukunft nutzen werden, um Daten zu übermitteln.
5G wird unsere LTE- oder 4G-Netze so langsam und irrelevant erscheinen lassen, wie wir heute 3G wahrnehmen. Bis es so weit ist, gibt es aber noch viel zu tun, wie Andrus Ansip am Mobile World Congress in Barcelona sagte.
Ansip ist Mitglied der Europäischen Kommission. Vizepräsident Digital Markets lautet sein Titel. "5G ist die natürliche Evolution von 4G", sagte er in seiner Keynote. "5G ist aber auch eine Revolution."
Andrus Ansip, Vizepräsident Digital Markets, Europäische Kommission (Quelle: Netzmedien).
5G werde die Art und Weise wie Menschen und Unternehmen arbeiten und funktionieren revolutionieren. Insbesondere das Transportwesen und die Automobilbranche würden davon profitieren. Sie würden 5G brauchen, um vernetzte und autonome Fahrzeuge auf die Strassen zu bringen.
Sämtliche Industrien müssen jetzt an einem Strang ziehen
Am Ende werde aber jeder industrieller und öffentlicher Sektor profitieren und sich verändern. Deshalb müsse sich möglichst schnell eine europäische Initiative formieren. "Sämtliche Industrien in Europa müssen jetzt an einem Strang ziehen", sagte Ansip.
Die EU entwickelte deshalb einen "5G Action Plan", wie Ansip sagte. Der Plan ist seit September 2016 in Kraft und sieht einen klaren Zeitrahmen vor.
Die ersten Installationen in Europa sollen demnach 2018 beginnen, der kommerzielle Start 2020 folgen. Im Jahr 2025 würden die Telekommunikationsanbieter dann weltweit jährlich 225 Milliarden Euro mit ihren 5G-Netzen generieren, rechnete Ansip vor.
Globale Koordination ist extrem wichtig
Allerdings gibt es ein grosses Hindernis. "Wir haben noch keinen internationalen Standard für 5G", sagte Ansip.
Ohne Standard würden fragmentierte Märkte und Probleme bei der Interoperabilität entstehen. Menschen würden Gefahr laufen, ihre Verbindung zu verlieren, sobald sie ihren Heimatmarkt verliessen. "Die globale Koordination ist extrem wichtig beim jetzigen Stand der Entwicklung."
Es fehlt ein Konsens über die technischen Spezifikationen von 5G
Ansip liegt damit vollkommen richtig. Ungeachtet der zahlreichen Live-Demonstrationen und Stresstests am Mobile World Congress gibt es noch kein offizielles 5G. Es fehlt ein Konsens darüber, welche technischen Spezifikationen 5G-Netze dereinst haben werden.
Firmen wie Verizon, AT&T, Intel, Qualcomm, Nokia oder Ericsson führen allerdings schon Tests durch. Nokia kündigte am MWC sogar kommerzielle Hardware an, die Telkos beim Aufbau von 5G-Netzen helfen soll.
Je höher die Frequenz, desto mehr Daten transportiert sie
Experimente und Produkte wie diese, werden voraussichtlich einen Einfluss darauf haben, wie der offizielle Standard aussehen wird. Denn die Tests haben alle eines gemein: Die Firmen übertragen Daten mit sehr hohen Frequenzen. Mit Millimeterwellen. Doch warum Millimeterwelle?
Mobile Kommunikation basiert auf Radiowellen. Je höher die Frequenz, desto kleiner die Wellenlänge und desto grösser die Datenmenge, welche die Welle transportieren kann. Dieser Trend setzt sich fort bis ins Frequenzspektrum sichtbaren Lichts. Das schwingt zwischen 430 bis 770 Terahertz. Deshalb ist die Glasfasertechnologie so schnell.
Millimeterwellen bewegen sich zwischen 30 und 300 Gigahertz. Heutiges LTE nutzt den Frequenzbereich von 800 Megahertz bis 2,1 Gigahertz.
Wenn man nur schon eine Strasse mit den hohen Frequenzen abdecken will, muss man alle 150 Meter eine Basisstation aufstellen
Die sehr hohen Frequenzen, die nun einige Akteure in der Branche nutzen wollen, waren bislang Richtfunk vorbehalten. Dabei kommen Richtantennen zum Einsatz, mit Sichtkontakt. Diese Frequenzen ohne Richtantennen und Sichtkontakt zu nutzen, ist laut Philippe Horisberger eine grosse technische Herausforderung.
Horisberger ist stellvertretender Generaldirektor des Bakom. "Wenn man nur schon eine Strasse mit den hohen Frequenzen abdecken will, muss man alle 150 Meter eine Basisstation aufstellen", sagte Horisberger im Gespräch am Mobile World Congress in Barcelona.
Philippe Horisberger, stellvertretender Generaldirektor des Bakom (Quelle: Netzmedien).
Gemäss Horisberger setzt sich das Bakom dafür ein, dass weltweit möglichst viele Bänder harmonisiert werden. Einen konkreten 5G-Plan hat das Bakom aber nicht. Breitbandkommunikation sei Teil der digitalen Strategie, die der Bundesrat im April 2016 verabschiedet habe, sagte Horisberger. "Wir sind aber sehr eng in Kontakt mit den Netzbetreibern. Wenn ein Betreiber Versuche starten will, werden wir alles tun, um ihm, wann immer möglich, die entsprechenden Frequenzen zur Verfügung zu stellen."
Bakom vergibt Frequenzen techologieneutral
Horisberger weiss von nur einem Schweizer Betreiber, der 5G-Technologien testet: Swisscom. "Das ist ein Pilotversuch in der Laborphase", sagt Horisberger. Das Bakom tausche sich regelmässig mit Swisscom über den Stand der Versuche aus.
Grundsätzlich überlässt es das Bakom den Schweizer Betreibern selbst, welche Frequenz sie für welche Technologie verwenden. "Wir vergeben die Frequenz technologieneutral."
Laut Horisberger wird die Comcom erste Frequenzen im 700-Megahertz- und 3,4-Gigahertz-Band 2018 oder 2019 vergeben. Bei den hohen Frequenzen habe das Bakom sich noch nicht entschieden, sagte Horisberger.
Zum Pilotversuch, den Horisberger erwähnt, will Swisscom noch keine Auskunft geben. Es sei noch zu früh, wie Ruben Merz sagt. Er ist der technische Leiter des Programms "5G for Switzerland". Ericsson und die École Polytechnique Fédérale de Lausanne sind an dem Programm beteiligt
5G ist nicht nur eine Radiogeschichte
Im Rahmen des Programms versucht Swisscom, 5G aus verschiedenen Kundensichten zu betrachten, wie Merz sagt. Aus der Privatkundensicht und aus derjenigen der Geschäftskunden.
Mit 5G würden sich neue Geschäftsfelder für den Mobilfunk auftun. Allen voran das Internet der Dinge und die Digitalisierung der Schweiz. "5G ist nicht nur eine Radiogeschichte. Zu 5G gehört auch die Cloud Transformation dazu, Edge Computing und Slicing", sagt Merz. "Damit können wir in der Zukunft Services für Privatkunden und Industriekunden voneinander trennen."
Burgdorfer Industriefirma arbeitet mit Swisscom zusammen
Swisscom suche deshalb aktiv nach Partnern, um die Möglichkeiten von 5G im Industriefeld zu demonstrieren. "Wir befinden uns mit einer ganzen Anzahl von Partnern im Gespräch", sagt Ruben Merz.
Eines dieser Gespräche fruchtete bereits: Die auf Injektions- und Infusionssysteme spezialisierte Firma Ypsomed aus Burgdorf ist Swisscoms erster Industriepartner für 5G. Die Resultate der Zusammenarbeit zwischen Ypsomed, Swisscom, Ericsson und der École Polytechnique Fédérale de Lausanne sollen in die Standardisierung von 5G einfliessen.
3GPP arbeitet den 5G-Standard aus
Grundsätzlich arbeitet Swisscom aber nicht aktiv am 5G-Standard mit. Das 3rd Generation Partnership Project, kurz 3GPP, ist massgeblich für den Standard verantwortlich. Dem Projekt sind die sieben Organisationen ARIB, ATIS, CCSA, ETSI, TSDSI, TTA und TTC angeschlossen. Sie entscheiden, wie der 5G-Standard aussehen wird.
Swisscom hält sich laut Merz eher im Hintergrund und wird nur aktiv, wenn es wirklich nötig ist. "Wir verfolgen die Standardisierung mit hohem Interesse und sind dem sehr positiv gegenüber eingestellt."
Den Zeitplan der EU halten Ruben Merz und sein Kollege Rico Schwendener für sehr ambitioniert. Schwendener leitet den Bereich Netzinnovation bei Swisscom. Solange es kein definiertes Spektrum für 5G gebe, könne man draussen noch keine Feldtests durchführen, sagen die beiden.
Selbst Fenster können zum Hindernis werden
Die sehr hohen Frequenzen der Millimeterwelle seien ausserdem eine Herausforderung, sagt Schwendener. "Durch die sehr kurze Wellenlänge verhalten sie sich fast wie Licht. Selbst ein Fenster kann zum schwer zu durchdringenden Hindernis werden, da es wie ein Spiegel wirkt und die Funkwelle einfach reflektiert."
Die Probleme könne man zum Teil mit Antennenarrays umgehen. Es gebe aber noch viele offene Fragen und Entwicklungsarbeit. Swisscom strebt ungeachtet dessen genau wie die EU 2020 als Ziel für den kommerziellen Start der 5G-Technologie vor.
Sunrise wartet, bis die Standards gesetzt sind
Die anderen grossen Mobilfunkanbieter wie Sunrise und Salt sind noch nicht so weit wie Swisscom. Sunrise-CEO Olaf Swantee sieht zwar Potenzial für die Maschinen-Kommunikation. "5G spielt aber für den einzelnen Kunden, der mobil im Web surft und Videodienste nutzt, kaum eine Rolle", sagt er im Interview. Für Sunrise werde 5G in zwei oder drei Jahren ein Thema, wenn die Standards dafür gesetzt seien.
Olaf Swantee, CEO von Sunrise (Quelle: Netzmedien).
Salt befindet sich nach eigenen Angaben in der Explorationsphase. "Sobald bezüglich des 5G-Ökosystems eine gewisse Marktreife vorhanden ist, wird Salt über einen möglichen Fahrplan zur Markteinführung der 5G-Technologie entscheiden", schreibt der Telko auf Anfrage. "Wir erwarten die Markteinführung der 5G-Technologie im Jahr 2020."
Die nächste World Radiocommunication Conference der Internationalen Fernmeldeunion ITU wird vermutlich Klarheit schaffen. Sie findet 2019 statt. Vorher wird es voraussichtlich keinen Standard für 5G geben. Gleiches gilt für kommerzielle Anwendungen.