Open Source

Das neue Microsoft – und wie die Schweizer Open-Source-Community davon profitiert

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Seit Satya Nadella bei Microsoft das Steuer übernommen hat, öffnet der Konzern eine Technologie nach der anderen. Das freut die Schweizer Open-Source-Community. Sogar Unternehmen, die den Konzern früher bekämpften, sind nun ­Microsoft-Partner. Wie kam es dazu? Die Redaktion hat bei Schweizer Open-Source-Dienstleistern nachgefragt.

(Quelle: iStock)
(Quelle: iStock)

Bern, Eidgenössisches Finanzdepartement, 23. Februar 2009. Das Bundesamt für Bauten und Logistik erneuert einen Vertrag mit Microsoft. Im Auftrag von Bundesrat Hans-Rudolf Merz. Der Konzern soll Arbeitsplätze in der Bundesverwaltung drei weitere Jahre betreuen. Lizenzen, Support, Wartung – das kostet 42 Millionen Franken.

Das Bundesamt machte keine öffentliche Ausschreibung. Das verletze WTO-Regeln, sagte Red Hat. Der Linux-Anbieter scharte 17 Open-Source-Firmen um sich – und klagte. Bis vor das Bundesgericht. Doch dieses blockte ab. Die Kläger hätten angeblich keine gleichwertigen Ersatzprodukte liefern können. Ein Entscheid für Microsoft – und gegen Schweizer KMUs.

"Wir hassten Microsoft", sagt Sandro Köchli, Mitgründer und Verwaltungsrat des Open-Source-Dienstleisters Adfinis Sygroup, sechs Jahre nach dem Urteil. Red Hat habe der Klage damals ein Gesicht gegeben, federführend im Hintergrund sei jedoch Adfinis gewesen. Der IT-Dienstleister habe damals einen signifikanten Beitrag investiert. Wie viel? "Verdammt viel für ein Schweizer KMU", sagt Köchli. Damals habe es zwei Welten gegeben: Die geschlossene von Microsoft und die offene der Open-Source-Community. Es herrschte Krieg. Microsoft wütete gegen offene Standards und verbreitete FUD (Fear, Uncertainty and Doubt) gegen Linux. Ex-CEO Steve Ballmer bezeichnete das Betriebssystem im Juni 2001 gar als Krebsgeschwür.

2006 schloss Microsoft einen Deal mit Novell, der die Open-Source-Welt in Schockstarre versetzte. Die beiden Unternehmen beschlossen, ihre Patente nicht gegeneinander zu verwenden. Für die Open-Source-Szene war das ein Schuldeingeständnis: Linux verletzt Patente von Microsoft. Ballmer drohte: "Alle Linux-Nutzer schulden uns Geld!" Entwickler reagierten mit Spott, das Klima war vergiftet. Zusammenarbeiten? Undenkbar.

Vom Feind zum Freund

"Jetzt sind wir und Microsoft beste Partner", sagt Köchli heute. Was geschah? Unglaubliches: Microsoft öffnete sich. Am Anfang zaghaft, dann laut und energisch. 2009 wollte Microsoft Hyper-V auf Linux bringen. Die Kernel-Entwickler lehnten den Code unter der Apache-Lizenz aber ab. Microsoft kapitulierte und schwenkte auf die General Public License um. 2011 kamen die meisten Änderungen im Linux-Kernel 3.0 von einem Microsoft-Mitarbeiter. 2012 öffnete Microsoft Teile seines Web-Stacks. Der Konzern akzeptierte nun auch Code aus der Community. Das hatte es in Redmond noch nie gegeben.

Microsoft umarmt Linux

2014 besuchte der neue CEO Satya Nadella Zürich. Während er im Kino Corso über Cortana und Skype sprach, kam die nächste Ankündigung: Microsoft stellte Teile des .Net-Frameworks unter die MIT-Lizenz. Einen Monat später sagt Nadella in San Francisco: "Microsoft liebt Linux!" "Microsoft verlor den Draht zu den Entwicklern und musste sich darum öffnen", kommentiert Köchli. Auch die Shareholder hätten wohl Druck gemacht. "Darum sind Ballmer und Gates heute nicht mehr da."

Im März 2016 gibt Microsoft eine Kooperation mit Ubuntu bekannt: Die Bash (Bourne-again shell) und diverse Kommandozeilenprogramme von GNU/Linux laufen nun auf Windows. Microsoft kündigt zudem an, SQL Server auf Linux verfügbar zu machen. Im Juni lief über ein Drittel der virtuellen Maschinen in Microsofts Azure-Cloud auf Linux.

Dann öffnete Microsoft "Project Malmo". Entwickler können damit künstliche Intelligenzen in Minecraft austesten. Im August stellte Microsoft die Powershell unter die MIT-Lizenz und brachte sie auf Linux und Mac OS X.

Im September 2016 liess kein Unternehmen mehr Angestellte an Open-Source-Projekten auf Github mitarbeiten als Microsoft. Und im November geschah Unfassbares: Microsoft schloss sich der Linux Foundation an.

Das Geschäft mit Azure boomt

"Nadella hat es geschafft, einen riesigen Tanker um 180 Grad zu drehen", sagt Köchli. Das habe ihn überrascht. Heute sei Microsoft im Schweizer Open-Source-Markt ernorm präsent. Viel stärker als Amazon und Google. Auch bei Adfinis Sy­group, das eng mit Microsoft zusammenarbeitet.

Laut Köchli wollen viele Schweizer KMUs ihre Linux-Workloads in die Cloud verlagern. Kunden von Adfinis Sygroup seien meist auch Kunden von Microsoft. Darum falle die Wahl oft auf Azure. Die Cloud sei technisch mit der von Amazon und Google vergleichbar. Die Zusammenarbeit mit Microsoft gestalte sich aber einfacher. Und Microsoft kenne den Schweizer Channel bestens, sagt Köchli. Das Cloud-Geschäft wächst rasant. Im dritten Quartal 2017 steigerte Microsoft seinen Umsatz mit Azure um 93 Prozent. Auch Adfinis Sygroup bietet Dienstleistungen für Azure an. "Bis Mitte des Jahres wird wohl rund die Hälfte meiner Arbeitszeit mit Microsoft zu tun haben", sagt Köchli.

In der Schweizer Niederlassung des Konzerns wehe ein frischer Wind. Es gebe viele neue Gesichter und der Umgang sei direkt und unkompliziert. "Vor zehn Jahren war es für uns unvorstellbar, mit Microsoft zusammenzuarbeiten. Jetzt profitieren beide Unternehmen davon – ohne ihre Prinzipien aufzugeben."

Auch Red Hat profitiert

Auch die Schweizer Niederlassung von Red Hat profitiert von Microsofts neuem Kurs. Red Hat ist der weltweit grösste Open-Source-Anbieter für Enterprise-Kunden und fährt ein dediziertes Cloud- und Service-Provider-Programm. Seit November 2015 nimmt Microsoft daran teil. Richard Zobrist, bei Red Hat zuständig für Partnerschaften und Allianzen im Midmarket-Segment, sagt: "Wir gewinnen dank der Nähe zu Microsoft neue Kunden." Red Hat bietet auf Azure gleich mehrere Lösungen an. Unter anderem sein Enterprise-Linux, das Middleware-Framework Jboss, eine Openstack-Variante, die Container-Technologie Openshift und die Cloud-Management-Plattform Cloudforms.

Microsoft sei im Schweizer Markt präsent und sein Sales-Team stark spürbar, sagt Zobrist. Für einen Account-Manager sei es einfach, bei Microsoft an die richtigen Leute zu gelangen. Das komme auch Red Hat zugute. Das Geschäft mit Azure habe stark angezogen, sagt Zobrist, ohne Zahlen zu verraten.

Wann öffnet Microsoft Windows?

Kürzlich machte Microsoft die nächste Ankündigung: Nach Ubuntu sollen auch die Linux-Distributionen Suse und Fedora bald im Windows-Store verfügbar sein. Sie nutzen das neue Windows-Subsystem für Linux. Die Zielgruppe sind Entwickler, die mit Windows und Linux hantieren – etwa im Serverbereich.

Bei dem Tempo, das Microsoft an den Tag legt, stellt sich die Frage, wann Windows Open Source wird. "Ich denke nicht, dass ein Open-Source-Windows sehr attraktiv ist", sagt Matthias Stürmer, Vorstandsmitglied des Vereins CH Open (Interview Seite 16). "Das Know-how über die Software steckt fast ausschliesslich in den Köpfen von Microsoft-Mitarbeitern." Selbst wenn die Millionen Zeilen Windows-Code unter einer Open-Source-Lizenz veröffentlicht würden, bräuchte es viele Jahre, rund um das Betriebssystem eine Community aufzubauen, sagt Stürmer. "Darum glaube ich eher, dass der Linux-Desktop stetig weiterentwickelt wird – bis Windows auch auf dem Desktop verschwindet."

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