Transform 2024

Das leistet Open Source für den digitalen Service public

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von René Jaun und jor

Das neue E-Gov-Gesetz verpflichtet Behörden dazu, viele IT-Lösungen quelloffen zu entwickeln. Auch Open Data hält Einzug bei den Verwaltungen. Die Referierenden an der Transform 2024 erklärten, was schon geht, was kommt und was noch fehlt.

Daniel Markwalder, Delegierter des Bundesrates für digitale Transformation und IKT-Lenkung, hat über die Freigabe von Open Source beim Bund gesprochen. (Source: Michael Eggen Photography)
Daniel Markwalder, Delegierter des Bundesrates für digitale Transformation und IKT-Lenkung, hat über die Freigabe von Open Source beim Bund gesprochen. (Source: Michael Eggen Photography)

Im Berner Rathaus hat am 8. Mai 2024 die Fachtagung Transform 2024 stattgefunden. Matthias Stürmer, Leiter des Instituts Public Sector Transformation der Berner Fachhochschule (BFH), konnte an die 170 Teilnehmende an der diesjährigen Ausgabe der Konferenz zum digitalen Wandel des öffentlichen Sektors willkommen heissen. Inhaltlich drehte sich alles um den digitalen Service public – oder um Fragen wie: "Was macht der Staat? Was macht die Privatwirtschaft? Was sind die Erwartungen? Und wo sollte sich der Staat heraushalten?", wie Stürmer einleitend aufzählte.

Ein Foto von Gastgeber Matthias Stürmer von der Berner Fachhochschule.

Matthias Stürmer, Leiter des Instituts Public Sector Transformation an der Berner Fachhochschule. (Source: Michael Eggen Photography)

Mit offenen Quellen

In einem der programmlichen Schwerpunkte befassten sich die Referierenden mit Open Source, einem persönlichen Lieblingsthema von Stürmer, wie dieser einräumte. Quelloffene Software legte in den letzten Jahren einen veritablen Senkrechtstart hin, wie Keynote-Referentin Amanda Brock in ihrem Vortrag aufzeigte. "Vor 16 Jahren wollte noch kaum jemand Open Source nutzen", sagte die Anwältin und CEO der Organisation Open UK. Doch heute enthalte eine deutliche Mehrheit aller Software quelloffene Komponenten; und wer moderne Technologien wie maschinelles Lernen, Blockchain oder die Cloud nutzen wolle, komme um Open Source schlicht nicht herum.

Ein Foto von Amanda Brock, CEO von Open UK.

Amanda Brock, CEO von Open UK. (Source: Michael Eggen Photography)

Brock nannte mehrere Gründe für diesen Sinneswandel, von der wachsenden Zahl verfügbarer Open-Source-Lizenzen über die stets grösser werdende Gemeinschaft an Programmierern bis hin zum Tech-Konzern Microsoft, der quelloffene Software einst als "Krebsgeschwür" verunglimpfte, inzwischen aber mit "Github" die wohl grösste Open-Source-Coding-Plattform überhaupt betreibt.

Auch die Schweizer Politik legte im Bezug auf Open Source eine 180-Grad-Wende hin, konkret bezüglich der Frage, ob hiesige Behörden ihre Software quelloffen veröffentlichen sollten. Noch im Jahr 2011 befand der Bundesrat als Antwort auf eine entsprechende Motion, er sehe hier keinen Handlungsbedarf, wie Daniel Markwalder, Delegierter des Bundesrates für digitale Transformation und IKT-Lenkung (DTI), in seinem Vortrag schilderte. 2017 befürwortete der Bund in einem Postulatsbericht die Veröffentlichung von Programmcode. Und schliesslich trat 2024 das "Bundesgesetz über den Einsatz elektronischer Mittel zur Erfüllung von Behördenaufgaben" (Embag) in Kraft. Und dieses verpflichtet nun alle unter das Gesetz fallenden Behörden dazu, den Quellcode von Software offenzulegen, "die sie zur Erfüllung ihrer Aufgaben entwickeln oder entwickeln lassen" – mit ein paar Ausnahmen natürlich. Zudem müssen sie jeder Person ohne Lizenzgebühren erlauben, "die Software zu nutzen, weiterzuentwickeln und weiterzugeben".

Ein Foto von Daniel Markwalder, dem "Mister Digitalisierung" des Bundes.

Daniel Markwalder, Delegierter des Bundesrates für digitale Transformation und IKT-Lenkung (DTI). (Source: Michael Eggen Photography)

Ursprünglich, merkte Markwalder an, war der Open-Source-Artikel als Darf-Bestimmung in Gesetz vorgesehen. Doch in der politischen Debatte habe das Parlament diese in eine Muss-Bestimmung verschärft. "Es gibt zwar einen Spielraum, wie man es macht, aber nicht, ob man es macht."

Zu den offengelassenen Punkten gehören etwa Fragen zur Code-Aufbereitung, den zu nutzenden Plattformen oder allfälliger Community-Arbeit. Zudem stellte Markwalder klar, dass Verwaltungen weiterhin auch nicht-quelloffene Software beziehen können. "Geregelt wird nur das In-Out-Prinzip, nicht Out-In."

Fehlschüsse und Musterbeispiele

Weltweit greifen öffentliche Verwaltungen zunehmend auf Open Source zurück, wie Amanda Brock ausführte. Dass sie dies oft primär tun, um Geld zu sparen, bedaure sie. Denn die Stärke von quelloffener Software sei, dass sie in einem kollaborativen Umfeld entwickelt und gewartet werde – jedoch nur dann, wenn man ein solches Umfeld fördere.

"Wenn Open-Source-Projekte scheitern, liegt dies nicht an Open-Source-Software, sondern daran, dass wir nicht verstanden haben, wie wir sie beschaffen und pflegen müssen", stellte die Referentin klar. Oft mangle es auch den Gesetzgebern an Hintergrundwissen zu freier Software.

Im späteren Verlauf des Vormittags bestätigte dies auch Claudine Esseiva, frühere Stadträtin von Bern, die aktuell für die FDP im Kantonsparlament sitzt. Sie erinnerte an "Base4kids2", eine Arbeits- und Verwaltungslösung für Stadtberner Schulen, die auf quelloffene Software zurückgreifen sollte. Das Projekt sorgte für viel Frust, verschlang Geld, schlug fehl und wurde schliesslich durch ein Microsoft-Produkt ersetzt. "Eigentlich lag der Fehler nicht in der Technologie", stellte die Politikerin klar. "Wir hatten eine Regierung, die nicht wusste, wie das Projekt gemanagt werden sollte." Doch auch in der Verwaltung habe es an Ressourcen und Kompetenzen gefehlt. Rückblickend auf die Vorträge zum Thema Open Source der Tagung kommentierte Esseiva, sie habe viel gelernt. "Wenn wir das alles früher gewusst hätten, hätten wir vieles mit "Base4kids2" anders gemacht."

Ein Foto von Claudine Esseiva, die für die FDP im Grossrat des Kantons Bern sitzt.

Claudine Esseiva, FDP-Grossrätin im Kanton Bern. (Source: Michael Eggen Photography)

Gute Erfahrungen mit quelloffener Software machen die Schweizerischen Bundesbahnen (SBB). Der Konzern führte 2016 nicht nur eine "Cloud First"-, sondern auch eine "Open Source First"-Strategie ein, wie Jochen Decker, seit Sommer 2020 CIO der SBB, berichtete. Finanziell zahle sich dies aus: "Bis 2015 kostete die IT-Infrastruktur inklusive Lizenzen 25 Prozent des gesamten IT-Budgets. Heute sind es weniger als 10 Prozent." Die Arbeit mit quelloffener Software habe sein Unternehmen aber auch auf dem Arbeitsmarkt attraktiver gemacht: "Von den jungen Kolleginnen will keiner mehr auf Oracle und IBM lernen", sagte Decker.

Heute seien die SBB ein Open-Source-Konzern, machte der IT-Chef der Bundesbahnen deutlich. Wenn etwa jemand ein Ticket buche, laufe dies über einen Open-Source-Stack in der Amazon-Cloud. "Auch eine kritische Infrastruktur - und Zugfahren ist kritische Infrastruktur - funktioniert auf Open Source".

Teile ihres Codes veröffentlichen die SBB auf der Coding-Plattform "Github". Decker stellte aber auch die Open Rail Association vor, ein Konsortium verschiedener Bahnunternehmen mit dem Ziel, gemeinsam neue Softwarekomponenten zu entwickeln. Hier sei etwa, dank einer Zusammenarbeit von SBB und den französischen Staatsbahnen (SNCF), ein neues Tool zur Entwicklung von Fahrplänen entstanden. Die Zusammenarbeit funktioniere, weil die beteiligten Unternehmen sich nicht konkurrenzieren, jedoch mit den gleichen Herausforderungen kämpften.

Ein Foto von SBB-CIO Jochen Decker.

Jochen Decker, Mitglied der Konzernleitung und CIO der SBB. (Source: Michael Eggen Photography)

"Gehen Sie den Weg", ermutigte Decker das Publikum. "Es hat handfeste Benefits." Er zeigte aber auch Grenzen auf: "Im Office-Bereich - ob man will oder nicht - hat leider Gottes Microsoft das Monopol", erklärte er und fügte SAP oder Dynamics als weitere Beispiele hinzu. Bei diesen "natürlichen Monopolen" sei Open source wenig sinnvoll.

Teilen und testen

Nicht nur Open source war Thema an der Transform 2024, sondern auch Open Data. Die SBB verfolgen auch hier einen offenen Ansatz: "Alles, was man nicht kommerzialisieren kann oder was schützenswert ist, ist standardmässig open", erklärte Decker. Mit diesen Daten können Communities dann auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene Anwendungen entwickeln.

An einer Lösung, um das Teilen und Verknüpfen von Mobilitätsdaten zu fördern und zu erleichtern, arbeitet das Bundesamt für Verkehr. Dessen stellvertretender Direktor Gery Balmer präsentierte den aktuellen Stand der Mobilitätsdateninfrastruktur ("Modi"). Balmer verglich das Projekt mit "einer Art Steckerleiste" oder "einem Marktplatz" für Datenanbieter. "Modi" vereint demnach APIs, Datenstandards und -Services, um "die technischen Schwellen für den Datenaustausch zu senken". Über die Plattform könne man erfahren, wer welche Daten in welcher Qualität anbiete. Die Daten selber sollten nicht auf der Plattform, sondern beim Anbieter abrufbar sein, fügte Balmer hinzu.

"Wir machen keine Staats-App", stellte der Referent klar. "Wir wollen eine stabile Grundlage für den Datenaustausch schaffen, auf der Wirtschaft und Forschung Anwendungen entwickeln können." Anbieter können dabei mitbestimmen, welche Schnittstellen sie benötigen.

Ein Foto von Gery Balmer vom Bundesamt für Verkehr.

Gery Balmer, stellvertretender Direktor Bundesamt für Verkehr. (Source: Michael Eggen Photography)

Noch ist "Modi" nicht Realität – dazu braucht es noch gesetzliche Änderungen, wie Balmer anmerkte. Gefordert seien auch Datenanbieter und Behörden: "Es braucht ein anderes Mindset, etwas zu teilen, auszuprobieren, zu nutzen und auch wieder zu verwerfen. Und vor allem Verwerfen und Ausprobieren werden nicht unbedingt mit einer Verwaltung in Verbindung gebracht."

Ein wenig "Modi" kann man aber schon schnuppern, nämlich beim Bundesamt für Landestopografie (Swisstopo). Dieses habe nämlich unlängst ein gesamtschweizerisches Basisnetz aller Strassen, Wanderwege und Schienen veröffentlicht. Alle Akteure, die dies wollen, können dieses Netz nun als Referenz für ihre Daten nutzen und somit miteinander verknüpfbar machen. Jetzt schon integriert seien etwa ÖV-Haltestellen oder öffentliche Ladestationen. Mehr zur interaktiveren und informativeren Swisstopo-App lesen Sie hier.

Balmer schloss sein Referat mit einem Mitmach-Appell an öffentliche Verwaltungen: "Sie haben viele Daten und Infos, von denen es für Sie interessant ist, wenn die Akteure Bescheid wissen", erklärte er. So könnten Gemeinden etwa an einem zentralen Ort Daten zu Strassenumleitungen für Navigationssysteme eingeben. "Sie können das hier eingeben, damit die Anbieter nicht zu jeder einzelnen Gemeinde gehen müssen, denn das tun Sie nicht."

 

Übrigens will der Bund auch im Gesundheitswesen für besseren Datenaustausch sorgen. Geschehen soll dies im Rahmen von Digisanté, einem umfangreichen Förderprogramm. Mehr dazu lesen Sie hier.

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