Migros-CIO im Interview

Martin Haas über Cumulus, Twint und die Migros-IT

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Die IT-Abteilung des Migros-Genossenschafts-Bundes ist mit rund 630 Mitarbeitenden eine der grössten der Schweiz. Leiter von Migros IT-Services ist CIO Martin Haas. Im Interview äussert er sich zur Migros-App, Mobile Payment und der Auswertung von Cumulus-Daten. Er erklärt ausserdem, warum Migros keinen Chief Digital Officer einsetzt.

Martin Haas, CIO, Migros IT-Services
Martin Haas, CIO, Migros IT-Services

Sie sind seit Oktober 2009 CIO der Migros. Wie gefällt es Ihnen?

Martin Haas: Super! Der CIO-Job beim Migros-Genossenschafts-Bund ist für einen CIO einer der spannendsten und vielfältigsten der Schweiz. Ich beschäftige mich nicht nur mit dem klassischen Migros-Geschäft, sondern auch mit der IT in Industrie- und Handelsunternehmen. Und ich darf das in einem Unternehmen tun, das zu den innovativsten der Schweiz gehört.

Nicht jeder CIO hat das gleiche Job-Profil und die gleichen ­Aufgaben. Was ist Ihre persönliche Rolle bei der Migros?

Meine Hauptaufgabe ist es, MITS mit ihren 630 Mitarbeitenden zu führen. Gleichzeitig bin ich von der Strategie über die Erstellung von nationalen IT-Business-Lösungen bis zum Betrieb derselben verantwortlich dafür, dass IT-Lösungen den Einkauf für unsere Kunden so einfach und angenehm wie möglich machen. Schliesslich sehe ich meine Aufgabe auch darin, eine aktive Rolle in der Gestaltung der Digitalisierung des Unternehmens wahrzunehmen.

Wofür sind Sie nicht zuständig?

Fast alle Firmen in der Migros-Gruppe haben eine eigene, lokale IT in den Unternehmen. So stellen wir für Digitec Galaxus die Netzwerkinfrastruktur zur Verfügung, mehr aber nicht. Auch zur Migros-Bank gibt es kaum Berührungspunkte. Wir handeln aber Verträge mit Unternehmen wie Microsoft, Oracle und SAP aus und können so Basisdienste anbieten, von denen dann wieder alle Unternehmen der Migros-Gruppe profitieren können.

Was macht Ihnen am meisten Spass im Job?

Mich faszinieren Innovation und die Digitalisierung als Frage, wie sich Technologie so einsetzen lässt, dass sie den Menschen wirklich von Nutzen ist. Dann gefällt mir auch die Vielfalt in der Migros. Wir suchen Lösungen immer zusammen mit dem Business, den Mitarbeitenden der MITS und unseren Partnern.

Nehmen Sie auch an Geschäftsleitungssitzungen teil?

Ja, alle sechs bis acht Wochen im Rahmen des IT-Ausschusses des Migros-Genossenschafts-Bundes. Ich rapportiere an Andreas Münch, Leiter des Departements Logistik und Informatik. Meine Anliegen landen also direkt in der Generaldirektion.

Welche Stellung hat der CIO bei Migros?

Der CIO hat innerhalb der Migros-Gruppe eine zentrale Rolle. Schliesslich hat fast alles, was die Migros macht und in Zukunft machen wird, in irgendeiner Form mit Informatik zu tun. Das beginnt bei der Warenbestellung in der Filiale und geht bis zum Bezahlprozess am Checkout. Entsprechend hat sich auch meine Rolle in den letzten Jahren verändert.

Wie genau?

Ich arbeite heute viel enger mit dem Business zusammen als früher. Wir entwickeln in enger Kooperation Lösungen, die unseren Kunden und Partner einen Nutzen bringen. Die Zeit, in der die Migros-IT bloss ein ICT-Provider war, ist vorbei.

Können Sie ein Beispiel für eine solche Zusammenarbeit nennen?

Nehmen wir die Migros-App. Sie entsprang nicht einfach den Köpfen einiger Programmierer, sondern ist das Resultat einer Kooperation von Business, Informatikern, UX-Designern und Usability-Spezialisten. An der Entwicklung beteiligt waren dabei interne Spezialisten und externe Partner.

Hat die Migros auch einen CDO?

Nein. Es gibt keine dedizierte Funktion eines CDO. Die Rolle finden wir in jedem Geschäftsbereich und sie ist auf mehrere Schultern verteilt. Ein CDO auf Gruppenebene wäre kaum sinnvoll, da die Fragestellungen in den einzelnen Geschäftsbereichen sehr unterschiedlich sind. Entsprechend muss jedes Unternehmen innerhalb der Mi­gros-Gruppe selbst entscheiden, welche Technologie es wie einsetzen will.

Gibt es denn keine gruppenweiten Innovationsthemen?

Doch natürlich, zum Beispiel "PickMup". Damit bieten wir ergänzend zum Heimlieferservice der Onlineshops einen Abholservice an den verschiedenen Standorten der Mi­gros-Gruppe an. So bestellt sich der Kunde etwa bei Digi­tec einen Kopfhörer und holt sich diesen auf dem Nachhauseweg in einer Migros-Filiale ab. Eine solche clevere, IT-unterstützte Verknüpfung der Kanäle ist für einen Detailhändler heute Pflicht.

Wie ist die IT bei der Migros organisiert?

Zwei Bereiche sind für die Betreuung unserer Kunden zuständig: M-Retail und IT-Konzern & Industrie. Die dritte tragende Säule der MITS ist die M-Infrastruktur. Sie betreibt die Rechenzentren und die zentralen Systeme und Netzwerke. Die Administrativen Dienste schliesslich sind verantwortlich für die korrekte Budgetierung und das Controlling bis zur Verrechnung an sämtliche internen Kunden der MITS.

Die Migros-IT muss mit all den Firmen und Tochtergesellschaften sehr komplex sein. Wie kontrollieren Sie diese Komplexität?

Komplexität lässt sich nicht kontrollieren. Man kann sie aber mit Erfahrung, gut ausgebildeten Mitarbeitern und dem richtigen Sourcing-Mix steuern und managen. Aufgrund der Digitalisierung liegt der Fokus heute sehr stark auf den Businessanforderungen. Komplexität begegnet uns aber auch auf der Ebene der Systeme. Die Einfachheit, die von den Kunden in der Anwendung unserer Lösungen gefordert wird, zieht ja oft eine Steigerung der Komplexität in den Backend-Systemen nach sich. Damit etwa die Regale in einer Filiale immer schon gefüllt sind, müssen diverse leistungsfähige Systeme zusammenarbeiten. Unser Ziel ist es, für unsere Kunden und unsere Benutzer in den Migros-Unternehmen die Lösungen einfach zu gestalten und die Komplexität der Prozesse im Backend zu lösen.

Gibt es weitere Besonderheiten in der Migros ICT-Landschaft?

Eine Besonderheit ist sicher, dass wir dezentral und genossenschaftlich organisiert sind. Die Zuständigkeit für die zentralen Retail-Systeme liegt bei der MITS, die Betreuung der dezentral genutzten Lösungen hingegen bei den Genossenschaften. Entsprechend gibt es bei uns keine Top-Down-, sondern eine Konsenskultur.

Wie hat sich die Migros-IT seit Ihrem Antritt verändert?

Die Digitalisierung hat vieles auf den Kopf gestellt. Die IT-Welt dreht sich immer schneller, wir befinden uns in einem konstanten Change-Prozess. Auch das Cloud-Modell bringt grosse Veränderungen mit sich. Die MITS bietet heute für die Migros-Gruppe selbst Cloud-Dienste aus eigenen Rechenzentren an. Damit tragen wir eine riesige Verantwortung – Ausfälle können wir uns nicht leisten.

Die MITS als Cloud-Service-Broker?

Ja, genau. Wir haben neu auch die Rolle, als Cloud-Service-Broker für das Business die passenden Cloud-Services zu liefern. Damit verhindern wir ein wildes Wachstum von Cloud-Services, was erfahrungsgemäss zur Folge hat, dass die entsprechenden Services nicht integriert sowie Compliance und Security nicht gewährleistet sind oder ähnliche Services von unterschiedlichen Providern bezogen werden. Dabei müssen wir natürlich immer die Betriebssicherheit garantieren.

Migros nutzt SAP. In der Cloud?

Nein, das ist aber eine Option. Wir müssen evaluieren, was wir aus der Cloud beziehen können und was nicht. Die Cloud ist nur ein Aspekt der übergeordneten Sourcing-Strategie. Man muss sie immer in einem grösseren Kontext betrachten.

Welche wichtigen IT-Projekte laufen bei der Migros?

Der Fokus lag zuletzt auf der Infrastruktur. Vor ein paar Wochen schlossen wir erfolgreich das Projekt Konsolidierung M-Datacenter ab. Im Rahmen dieses Projekts zügelten wir hunderte Systeme in zwei neue Rechenzentren der Migros mit Colocation bei Swisscom. Gleichzeitig arbeiten wir am M-Workplace, unserer neuen Arbeitsplatzlösung auf Citrix-Basis, und an unseren mobilen Plattformen. Insgesamt laufen aktuell zwölf strategische Business-IT-Projekte auf nationaler Ebene.

Woran arbeitet die Migros noch?

Wir sind dabei, unser Point-of-Purchase-System zu erneuern. Dabei geht es nicht mehr nur um das klassische Kassensystem in den Filialen, sondern auch um die Verbindung zu allen anderen Verkaufskanälen wie Mobile und Online. Vor rund einem Monat gingen wir mit der ersten Testfiliale produktiv. Unsere neue Check-out-Lösung basiert dabei auf einem Standardprodukt. In enger Zusammenarbeit zwischen GK Software, SAP und der Migros wurde eine innovative und absolut zukunftsorientierte Lösung entwickelt.

Wie profitieren die Filialen und Kunden von den neuen Projekten?

Die Migros will ihren Kunden ein nahtloses Einkaufserlebnis bieten. Genauso wichtig ist aber die Unterstützung der Prozesse in den Filialen. Das Projekt Forecast & Replenishment etwa sorgt dafür, dass stets die richtige Menge an Waren zur richtigen Zeit in der richtigen Filiale für unsere Kunden zur Verfügung steht. So kann der Warenverderb minimiert und die Warenverfügbarkeit erhöht werden.

Welche Rolle spielen Big Data und Analytics bei der Migros?

Big Data und Analytics sind für uns Schlüsseltechnolo­gien, um Mehrwerte für unsere Kunden zu schaffen. Sie dienen etwa als Werkzeug, damit wir auf Basis der Cumulus-Daten unseren Kunden passende Angebote machen können. Diese Analysefähigkeiten werden sich weiterentwickeln und in Zukunft mit Sicherheit durch Konzepte wie Machine Learning oder Artificial Intelligence ergänzt werden.

Spürt Migros den Fachkräftemangel?

Wir haben konstant 10 bis 15 Prozent an Vakanzen. Nicht weil es bei uns eine hohe Fluktuation gäbe, sondern weil es nicht einfach ist, die richtigen Leute mit den richtigen Fähigkeiten zu finden. Zum Glück ist die Migros aber ein sehr attraktiver Arbeitgeber, der auch viel Wert auf Aus- und Weiterbildungen legt. Darum ist das Problem bei uns möglicherweise nicht so ausgeprägt wie bei anderen Unternehmen. Wir bieten unterschiedlichste attraktive Einstiegsmöglichkeiten in die MITS an, wie zum Beispiel Schnuppertage, IT-Lehrstellen, Praktikumsplätze, Trainee-Angebote und spannende Aufgaben für Werkstudenten.

Ein grosses Thema im Schweizer Markt ist Mobile Payment. Was ist hier der Ansatz der Migros?

Auch beim Mobile Payment geht es darum, dem Kunden den Einkauf so einfach wie möglich zu machen. Im Zentrum steht hier unsere Migros-App, die immer mehr zum perfekten Einkaufsbegleiter wird. In ihr kann ich heute schon meine Einkaufsliste erstellen, mich über laufende Aktionen informieren, bereits getätigte Einkäufe abrufen und seit einiger Zeit eben auch bezahlen.

Wann kommt Twint bei der Migros?

Der konkrete Einführungszeitpunkt ist in Planung. Unser Ziel ist nach wie vor, Twint in unsere Migros-App als weiteres Zahlungsmittel aufzunehmen und unseren Kunden anzubieten.

Was ist mit Apple Pay und Samsung Pay?

Grundsätzlich gilt: Mit jedem Zahlungssystem, das sich am Zahlterminal wie eine NFC-Karte verhält, kann an der Migros-Kasse bezahlt werden. Der Kunde hat also die Wahl, und das ist gut so.

Bezahlen Sie selbst auch mit dem Smartphone?

Selbstverständlich! Ich war sogar einer der ersten Kunden, der in der Migros mit der Migros-App bezahlt hat.

Wie sieht die Migros IT in fünf Jahren aus?

Der Blick in die Kristallkugel ist noch etwas verschwommen. In fünf Jahren wird sich bei der heutigen Veränderungsgeschwindigkeit einiges getan haben. Neue Technologien werden uns inhaltlich fordern. Was bleiben wird, ist unser Ziel, unser Business mit Business-IT-Lösungen zu beliefern, die für unsere Kunden einen Mehrwert bieten.

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