Reisst die Mauern nieder!
Es gibt mehr konkrete E-Government-Erfolge als es den Anschein hat. Wir übersehen das oft, weil im E-Government gerne alles zum Erfolg erklärt wird. Dabei könnten uns echte Erfolge mehr Mut geben.
Ein typischer kleiner Erfolg im Schweizer E-Government liest sich so: «Der Bundesrat hat an seiner Sitzung vom 9. Juni 2017 die Gesamtrevision der Verordnung über das eidgenössische Gebäude- und Wohnungsregister (VGWR) gutgeheissen. Mit der Revision werden … der Aufbau und die Nutzung des Registers verbessert. … Damit wird Swisstopo ab 2020 zwei neue amtliche Register schaffen: das Strassen- und das Gebäudeadressenverzeichnis.»
Integration und Öffnung
Ohne langwierig Details zu erklären: zum Erfolg gehört:
ein bisher unvollständiges Register wird mit einem anderen abgeglichen;
neu werden eine Million Gebäude mehr erfasst werden;
es gibt zahlreiche Anwendungen, etwa in der Energieplanung;
der Bund darf Daten nutzen, die vorher nur Gemeinden und Kantonen zugänglich waren;
ein Teil der Daten ist neu auch offen zugänglich.
Das alles dauerte rund fünf Jahre. Wobei hier Puristen vermutlich einwenden: «Aber das stimmt ja so nicht, weil in Wirklichkeit … im Vorfeld … und sowieso …». Doch mir scheint es wichtig, das Big Picture zu sehen.
Das Beispiel enthält verschiedene charakteristische Elemente kleiner Erfolge: Der Nutzen wird durch die Zusammenführung von Daten und die Erweiterung der Zugriffsrechte darauf geschaffen und die wesentlichen Eigenschaften sind «komplexer und langwieriger, als man meinen würde» und «die Verordnung steht im Zentrum». Im Wesentlichen geht es um das Beseitigen der Mauern zwischen den Datenspeichern selbst und denjenigen, die sie nutzen wollen.
Kleine Schritte und ein bisschen Motivation
Dieses Niederreissen der Mauern stellt einen kleinen, aber wichtigen Schritt nach vorne dar – einen von jenen Schritten, von denen wir viel zu wenige tun. Heute sprechen wir gerne von Agilität. Agilität im E-Government heisst, kleine Schritte tatsächlich zu machen.
Ein Motivator für das Niederreissen der Mauern rund um die Datensammlungen ist international die Orientierung am «Once-Only»-Prinzip. «Once-Only» bedeutet, dass Daten – einmal einer Verwaltungseinheit geliefert – kein zweites Mal an dieselbe oder eine andere Verwaltungseinheit geliefert werden müssen. Damit soll der Aufwand bei Unternehmen und Einwohnern reduziert werden. Die EU pilotiert die Umsetzung dieses Prinzips für Unternehmen derzeit im Large-Scale-Pilot «TOOP». Und sie fördert den Wissensaufbau für die Umsetzung des Prinzips für Einwohner durch Wissen-sammeln-Projekte wie SCOOP4C. Diskutiert wird, ob das Prinzip per Regulierung für die EU-Mitgliedstaaten verbindlich festzuschreiben sei.
Die Vision und die leeren Kassen
Die grosse Vision zum kleinen Erfolg lautet: Schaffung von drei Kernregistern in der Schweiz: für natürliche Personen, für juristische Personen und für Objekte. Der Grossteil aller Daten, die in der Verwaltung verarbeitet werden, soll in Zukunft aus diesen Registern bezogen und wieder dort gespeichert werden. Das Programm zur Umsetzung besteht aus drei Schritten: erstens Harmonisierung aller Register (was in vielen Bereichen schon erreicht wurde), zweitens Integration aller Register (wozu wir oben einen Teilschritt gesehen haben) und drittens Integration mit hoheitlich gesicherten, grenzüberschreitend nutzbaren Vertrauensdiensten für die digitale Wirtschaft und Gesellschaft.
Ein Beispiel für einen Teilschritt des dritten Schritts ist die Vorlage des EJPD für ein E-ID-Gesetz, wobei schon jetzt die Frage diskutiert wird, wer den Betrieb des dafür notwendigen neuen Registers finanzieren soll (das Daten aus anderen Registern zusammenführt, bevor sie von den IDPs – oder direkt den Relying Parties? – abgeholt werden): Sollen dies die E-ID-Anbieter über Gebühren tun oder die Steuerzahler über einen entsprechenden Budgetposten? Solche Diskussionen sind eine häufig zu beobachtende Ursache für Projekt-Blockaden im E-Government. Vieles bleibt ungetan, weil die Schweiz kein Geld dafür hat.
Umsetzungsprognosen
Die Vision der drei Kernregister haben natürlich viele Staaten. Österreich will sie bis 2020 erreichen und wird dies weitgehend, aber keineswegs umfassend, schaffen. Das Schweizer Bundesamt für Justiz will 2030 so weit sein. Realistisch ist, dass die Schweiz bis 2025 Ordnung in ihre Datenhaltung bringt, ohne einer umfassenden Umsetzung nahezukommen. Auch das bedeutet schon, dass ein signifikanter Teil des Nutzens der Vision realisiert wird: Einsparung der Redundanzen in der Datenbeschaffung, weitgehende Eliminierung der Fehler und Widersprüchlichkeiten in den Verwaltungsdaten, wesentlich geringerer Aufwand beim Datenzugriff, bessere Zusammenarbeit in der Verwaltung, zusätzliche Valorisierung der Daten durch Sekundärnutzung und Schaffung einer Infrastruktur für die digitale Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft. Ob letztlich die Vision ganz umgesetzt wird, realistisch bis etwa 2035, oder ob Technologieinnovationen dies überflüssig machen werden, wird die Zukunft zeigen.
Wie schwierig es ist, von Quick Wins zu Full Wins zu gelangen, hat die Kommunikationsplattform Sedex gezeigt, die seit Anfang 2008 in Betrieb ist. Sedex steht für Secure Data Exchange und ist eine Dienstleistung des Bundesamts für Statistik BFS. Die Plattform ist für den sicheren asynchronen Datenaustausch zwischen Organisationseinheiten konzipiert. Die Plattform wurde im Rahmen der Modernisierung der Volkszählung ab 2010 aufgebaut, um die Statistiklieferungen der kommunalen Einwohnerdienste und der Personenregister des Bundes an das BFS sicherzustellen (Quelle: bfs.admin.ch). Sie erfreut sich wesentlich intensiverer Nutzung als ursprünglich geplant und ist definitiv ein grosser Erfolg. Die einst mitgedachte Idee eines E-Government-Bus, über den Nachrichten auch ohne Adressatenliste ihr Ziel finden, wurde hingegen nie realisiert. Ein Haupthindernis war die schwere Verständlichkeit des Konzepts «Publish/Subscribe-Kommunikation». So blieb von der Idee nur eine längst vergessene Spezifikation des Informatiksteuerorgans des Bundes ISB.
Mittelgrosse Erfolge und Nachhaltigkeit
Die Fortschritte einiger Kantone beim Aufbau einer E-Government-Plattform würde ich als mittelgrosse Erfolge bezeichnen, etwa im Kanton Aargau. Ein von Architekturprinzipien geleiteter Plattformaufbau konterkariert die beiden oben genannten häufigen Gründe für Blockaden im E-Government: Kantone tätigen Vorabinvestitionen, um später billiger und schneller E-Government-Dienste bauen zu können. Und es fliessen IT-Konzepte ein in die Strukturgestaltung. Das ist nachhaltig und sieht etwa im Fall Aargau nach Lehrbuch aus. Und das ist gut, denn in (guten) Lehrbüchern steht, was sich in der Praxis bewährt hat.
Späte Erfolge und das grosse Ganze
Ein Beispiel für einen späten Erfolg, der vom Plattformaufbau profitierte, ist die Beteiligung des Kantons Aargau am ursprünglich von Stadt und Kanton Zürich geprägten Projekt E-Umzug, einem digitalen Dienst für den Behördenverkehr beim Wohnortwechsel. E-Umzug ist deshalb ein später Erfolg, weil das erste Forschungsprojekt dazu in der Schweiz noch im letzten Jahrtausend konzipiert wurde und weil auch das erste Umsetzungsprojekt schon mehr als ein Jahrzehnt zurückliegt. Bis Ende 2017 wird nun in allen Aargauer Gemeinden der E-Umzug-Dienst zur Verfügung stehen. Das wird durch die E-Government-Architektur des Kantons massgeblich unterstützt, wobei das Eidgenössische Gebäude- und Wohnungsregister GWR ebenso Teil der Lösung ist wie die Sedex-Plattform. Das grosse Ganze ist das Zusammenspiel der einzelnen Teile.
Schlussfolgerung
E-Government lebt davon, dass es schrittweise aufgebaut wird und dass Projekte auf den Schultern von Vorgängern stehen können. Aufbau heisst dabei, Disziplin in der Datenerfassung erhöhen, Mauern einreissen, Ressourcen zusammenzuführen, einen möglichst breiten Zugriff ermöglichen, sich bei der Architektur an die erprobte Praxis halten – und: zuerst investieren, dann sparen!