Digitale Schweiz: Hoffnung kommt aus der Vergangenheit, nicht aus der Zukunft
Asut hat die ICT-Branche zum Swiss Telecommunication Summit nach Bern geladen. Am Event ging es heiss her: Digitale Technologie stösst nicht nur auf Zustimmung, sondern auch auf Widerstand. Wie sollen die Branche, die Politik und die Schweiz damit umgehen? Die Meinungen gingen auseinander.
Draussen steigt das Thermometer, drinnen auch. Die Stimmung ist geladen am Swiss Telecommunication Summit 2019. Aber mit den hochsommerlichen Temperaturen hat das nichts zu tun. Im Kursaal Bern, in dem der Telko-Verband Asut am 25. Juni den Event veranstaltete, konnte man es aushalten. Es waren vielmehr explodierte Mobilfunkantennen, regulatorische Stolpersteine und kantonale Widerstände, die Publikum und Redner auf Trab hielten.
"Mut zur Technologie" - unter diesem Motto begrüsste Asut-Präsident Peter Grütter das Publikum zum 45. Seminar des Verbands. Aktuell dominierten aber eher Ängste die öffentliche Diskussion über Telekommunkation, sagte er. Besonders unter Beschuss: die neue Mobilfunk-Generation 5G. Der Unmut darüber habe die Telkos überrascht. Viele Menschen seien vom Tempo überfordert, mit dem sich Technologie entwickle. Das sei aber bereits bei der Einführung von 3G so gewesen - und erst recht beim Aufkommen von Eisenbahn, Elektrizität und Automobil. Es brauche deshalb Menschen, die mit einem Gestaltungswillen in die Zukunft schauen.
Braucht die Schweiz 5G? Lesen Sie dazu einen Fachbeitrag von Journalist Rüdiger Sellin.
Peter Grütter begrüsste die Teilnehmer des Swiss Telecommunication Summit 2019 (Source: Netzmedien)
Eine Oase in der Digitalisierung
Mit dem ersten Referenten des Tages ging es fürs Erste wieder in die Gegenwart. Bundesrat und Aussenminister Ignazio Cassis tat seine persönlichen Erfahrungen mit der Digitalisierung des Alltags kund. Er kam nicht umhin, seinem Unmut darüber Ausdruck zu verleihen, dass wir heute dauernd am Smartphone hängen. "Meine Diagnose: eine Sucht!", sagte der Arzt Cassis dazu. Das Bundesrats-Zimmer, aus dem jegliche Verbindungen in die Aussenwelt untersagt seien, wirke da wie eine Oase der Ruhe.
"Technologie ist als solche weder gut noch schlecht", so der Vorsteher des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten. "Es kommt darauf an, wie wir sie gebrauchen." Der Bundesrat wolle, dass Innovation dem Land und den Menschen nützen. Der Staat solle aber keine Industriepolitik betreiben, sondern für gute Rahmenbedingungen sorgen. Etwa mit Bildung, Infrastruktur, einem offenen Markt und einem sicheren Cyberraum. Hierbei leiste auch das Aussendepartement seinen Beitrag.
Macht sich Sorgen um den Regulierungs-Overkill: Peter Grünenfelder. (Source: Netzmedien)
Dass sich der Mensch gegen Transformation zuerst einmal sträube, liege in seiner Natur, sagte Cassis. Wir würden gerne am Bestehenden festhalten - und seien doch im ständigen Wandel. Daraus entstünden Konflikte: "Wir wollen das modernste Handy und die schnellsten Verbindungen, aber keine 5G-Antennen. Wir wollen zurück zur Natur, aber bitte nicht zu Fuss." Aufgabe der Politik sei es, diese Konflikte zu moderieren und eine konstruktive Debatte zu fördern.
Laut Ignazio Cassis steht die Schweiz bei der digitalen Innovationsfähigkeit gut da. Allerdings gebe es Trends, die dem Bundesrat Sorgen bereiteten. So herrsche bei manchen die Mentalität, mit Regulierung alle Probleme lösen zu wollen. Und wenn man die Vorschriften einmal abbauen möchte, wehrten sich viele dagegen.
Tobias Straumann: "Nicht die Nerven verlieren, es kommt schon gut." (Source: Netzmedien)
Blick nach vorn, Blick zurück
Ähnliche Kritik äusserte nach Cassis auch der Direktor des liberalen Think-Tanks Avenir Suisse, Peter Grünenfelder. Er konstatierte zudem eine Mentalität, die sich Innovation und digitaler Transformation entgegen stelle. Während in der Schweiz über 5G, den Verlust von Jobs durch die Automatisierung und E-Voting debattiert werde, hole die Konkurrenz auf.
Um digital mithalten zu können, brauche es eine Reform von Governance, Arbeitsrecht, Sozialversicherungen und Bildungswesen. Und es müsse endlich Bewegung in Politik und Behörden kommen. Der digitale Wandel dürfe nicht durch einen Reformstau in der öffentlichen Verwaltung verhindert werden. "Wir haben einen Verfassungsartikel für Wanderwege aber keinen für die digitale Strategie", bemängelte Grünenfelder.
Für Chris Johnson, Senior Vice President von Nokia Enterprise, ermöglicht 5G viele digitale Zukunftstechnologien erst. (Source: Netzmedien)
Während sich Avenir Suisse den Kopf über die Zukunft zerbrach, schaute Tobias Straumann in die Vergangenheit - und fand dort Erfreuliches. Der nach eigener Aussage "beste und einzige Wirtschaftshistoriker der Schweiz" verbreitete Optimismus. Der Blick in die Geschichte zeige, dass die Schweiz in den letzten 1000 Jahren wirtschaftlich alles richtig gemacht und von ihrer günstigen Lage mitten in Europa profitiert habe.
Politisch verfüge die Schweiz nach wie vor über eines der besten Systeme der Welt, war Straumann überzeugt. Schwacher Zentralstaat, starke Städte, Stabilität, Offenheit und Souveränität; all das sei auch in Zukunft von Vorteil. Wer jetzt der Meinung sei, es müsse sich alles ändern, gerate eigentlich in Erklärungsnot. Denn die Geschichte zeige: "Nicht die Nerven verlieren, es kommt schon gut." Und: "Die Schweiz hatte nie einen Plan für die Zukunft".
Der heutige Eindruck, dass sich die Welt in nie dagewesenem Tempo verändere, sei zudem trügerisch, sagte Straumann. Das 19. Jahrhundert mit seinem Strukturwandel von der Bauern- zur Industriegesellschaft war mindestens so umwälzend und rasant, wie die Digitalisierung. Und dieser Wandel zeige auch, dass Arbeitsformen nicht einfach über Nacht verschwänden. So habe das Aufkommen der Eisenbahn zunächst zu einer Zunahme der Pferdekutschen geführt, da die transportierten Waren auch verteilt werden mussten. Berufe könnten sich also als hartnäckiger erweisen, als gedacht.
Marc Chardonnens, Christian Keller, Reto Brennwald, Urs Schaeppi, Simon Michel und Olaf Swantee stritten über 5G (von links). (Source: Netzmedien)
Telkos vs. Bafu
Zurück in die Gegenwart ging es mit einem Podium. In ihm kreuzten die CEOs von Swisscom und Sunrise, Urs Schaeppi und Olaf Swantee, mit dem Direktor des Bundesamts für Umwelt (Bafu), Marc Chardonnens, die Klingen. Ebenfalls mit von der Partie waren Simon Michel, CEO von Ypsomed, und Christian Keller, Vorsitzender der Geschäftsleitung von IBM Schweiz.
Technologie im Spannungsfeld war das Motto des Podiums, am Ende ging es aber vor allen Dingen um den Streitpunkt Nummer 1: 5G. Schaeppi und Swantee forderten, die öffentliche Diskussion müsse endlich auf der Basis von Fakten geführt werden. Es seien Fake News, Angstmacherei und Minderheiten, welche die Debatte antreiben.
Dem widersprach Chardonnens. Die Menschen seien verunsichert und machten sich Sorgen um ihre Gesundheit. Dies müsse der Bund ernst nehmen, Lücken im Wissensstand schliessen und Vertrauen schaffen. Im Übrigen seien es keine Minderheiten, sondern demokratische Entscheide, die den 5G-Aufbau regulierten. "Wir fahren mit dem Grenzwert gut, auch wenn er streng ist", sagte der Bafu-Direktor.
Jamil El-Imad, Chief Scientist von Neuropro.ch, stellte sein Projekt einer globalen Datenbank für Gehirndaten vor. (Source: Netzmedien)
Die wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Wirkung von Mobilfunkstrahlung seien längst da, entgegnete Urs Schaeppi. Statt dass der Staat Farbe bekenne und diese Erkenntnisse zur Aufklärung der Bevölkerung nutze, sei der Bau von Mobilfunkantennen momentan praktisch blockiert. "Wenn wir jetzt erst alles abklären wollen, dann starten wir nie", sagte der Swisscom-CEO.
Aufgabe der Telkos sei es, den Mehrwert von 5G für Bevölkerung und Umwelt deutlich zu machen, so Olaf Swantee. Die Politik könne mithelfen, indem sie die neue Mobilfunktechnologie als Lösung für die Probleme der Gegenwart auf die Agenda nehme - auch wenn im Herbst Wahlen anstünden.
Tamara Funiciello, Sarah Bünter, Andri Silberschmidt und Benjamin Fischer (von links) unterschieden sich in der Debatte wenig von den Vertretern ihrer Mutterparteien, sagte Brennwald, der bis 2010 die Politsendung "Arena" moderierte. (Source: Netzmedien)
Wie digital sind die Digital Natives?
Die Aufrufe an die Politiker vonseiten der Telkos waren auch an die Präsidentinnen und Präsidenten der Jungparteien gerichtet, die im Nachmittags-Podium des Swiss Telecommunication Summit auftraten. Sarah Bünter (Junge CVP), Benjamin Fischer (Junge SVP), Tamara Funiciello (Juso) und Andri Silberschmidt (Jungfreisinnige) wurden von Moderator Reto Brennwald auf ihre digitale Fitness abgeklopft.
Das Alter und das Aufwachsen im Smartphone-Zeitalter spielten schon eine Rolle, waren sich die Jungpolitiker einig. Sie fänden bei digitalen Themen oftmals gemeinsame Positionen, obwohl sich ihre Grundsätze ebenso stark unterschieden, wie jene der Mutterparteien, sagte Funiciello. Es gebe aber auch Streitpunkte, etwa 5G oder E-Voting. Es gehe aber mehr um die Einstellung als um das Alter, sagte Silberschmidt.
Claudia Pletscher, Innovationschefin der Schweizerischen Post, sprach über Drohnen-Notlandungen, begleitete Lieferroboter und Alternate Reality in der Poststelle. (Source: Netzmedien)
Beim Schlagwort Digitalisierung gingen die Meinungen am stärksten auseinander. Die bürgerlichen Jungparteien sehen darin eine Chance mit grossem Einfluss - und sie wollen die Schweiz beim Rennen um die Technologie von morgen an der Spitze sehen. "Wenn wir die Technologie nicht mitgestalten, macht es jemand anderes und wir haben nichts davon", so der Präsident der Jungen FDP.
Die Juso-Präsidentin Funiciello sagte dagegen, dass die meisten Menschen von der Digitalisierung nichts hätten. Sie fühlten sich vielmehr von der technologischen Entwicklung abgehängt und wählten Protestparteien. Ausserdem schaffe Technik mit Ausbeutung und Verschwendung mehr Umweltprobleme, als sie lösen könne. Dem hielt Benjamin Fischer entgegen, dass es der Menschheit dank Fortschritt insgesamt so gut wie nie zuvor gehe.
Der öffentlichen Verwaltung stellten die Jungpolitiker ein schlechtes Zeugnis aus. "Die Verwaltung ist noch in der Steinzeit und wir sprechen über E-Voting, das ist absurd", sagte Fischer. Sarah Bünter kritisierte, dass digitale Transformation in der Verwaltung oftmals nur heisse, bestehende Prozesse digital zu machen. Dieses "Verdigitalisieren" bringe nichts, denn es seien die Prozesse selbst, die neu gedacht werden müssten.