Warum sich die Kunstwelt wegen generativer KI Sorgen macht
Die Hersteller von Text-to-Image-Modellen nutzen Unmengen an Trainingsdaten aus dem Web, ohne Einwilligung der Urheber. Kunstschaffende protestieren weltweit und klagen gegen KI-Unternehmen. Zwei Expertinnen und ein Experte erklären, wie die Rechtslage in der Schweiz aussieht – und wie sich die Kunstwelt durch KI verändert.

Generative künstliche Intelligenz hat die Welt im Sturm erobert. Mit einer einfachen textlichen Beschreibung (Prompt) lösen sich scheinbar viele alltägliche Aufgaben im Handumdrehen, wie zum Beispiel E-Mails verfassen, einen Kurztrip planen oder Informationen beschaffen. Es gibt unzählige KI-Modelle wie Text-to-Text, unter die auch das bekannte ChatGPT fällt, oder Text-to-Image-Modelle wie Dall-E oder Midjourney. Text-to-Image-Modelle generieren Bilder anhand eines Prompts. Generative KI öffnet Türen zu grenzenloser Kreativität, mit der jeder etwas anfangen kann.
Urheberrecht ist relevanter denn je
Doch der Hype hat auch seine Schattenseiten. Um ein KI-Modell zu kreieren, das auch qualitativ hochwertigen Output liefert, braucht es eine riesige Menge an Trainingsdaten. Zu diesem Zweck würden geschützte Werke gesammelt, verarbeitet und gespeichert, was als Vervielfältigung gelte, schreiben Tim Dornis und Sebastian Stober in ihrer Arbeit zum Thema Urheberrecht und Training generativer KI-Modelle. Auch während des Trainings "memorisieren" die Modelle die Daten, indem sie diese vervielfältigen. Für Kunstschaffende, die ihre Werke online einem globalen Publikum präsentieren wollen, sind das keine erfreulichen Nachrichten. Das KI-Training wirft denn auch viele rechtliche Fragen auf, besonders in Bezug auf Urheberrecht und geistiges Eigentum.
"Das Urheberrecht ist im Zeitalter von KI relevanter denn je", sagt Isabelle Oehri, Professorin für Wirtschaftsrecht an der Hochschule Luzern. "Wie wahrscheinlich nie zuvor müssen wir uns heute im KI-Kontext urheberrechtliche Fragen stellen." Eine der vielen Herausforderungen in der aktuellen Diskussion um Regulierung ist die Frage, welches Recht von welchem Staat auf das Vorgehen von KI-Training überhaupt anwendbar ist, denn das Internet gehört keinem Staat. Grosse Klagen sind derzeit noch anhängig, wie etwa jene von Getty Images gegen Stability AI, dem Unternehmen hinter der Bildgenerierungsplattform Stable Diffusion.
Isabelle Oehri, Professorin für Wirtschaftsrecht an der Hochschule Luzern.
(Source: zVg)
In der Schweiz gab es bisher keine Gerichtsentscheide, aber Juristen diskutieren die Thematik intensiv und es existieren unterschiedliche Meinungen. Einige argumentieren, dass das KI-Training das Urheberrecht nicht tangiere, weil es letztlich nicht zu einem "Werkgenuss" führe. Doch laut Oehri dürfte diese Argumentation in der Schweiz unter geltendem Recht einen schweren Stand haben, denn das Urheberrecht räume dem Rechteinhaber weitreichende Exklusivrechte ein. Urheber und Urheberinnen bestimmen prinzipiell, "ob, wann und wie ihr Werk veröffentlicht, kopiert oder sonst wie verwendet wird".
Bei den Trainingsdaten auf urheberrechtlich geschütztes Material komplett zu verzichten, ist aber auch keine Lösung. "Der Urheberrechtsschutz endet 70 Jahre nach dem Tod von Urheber oder Urheberin", erklärt Emanuel Meyer, Leiter des Rechtsdiensts Urheberrecht am Eidgenössischen Institut für Geistiges Eigentum. "Wenn man ausschliesslich Daten nimmt, die nicht mehr urheberrechtlich geschützt sind, dann sind die letzten 70 Jahre nicht in den Trainingsdaten abgebildet. Wir hätten dann keine Mondlandung, keinen Mauerfall und keine Beatles."
Wie viel Regulierung ist nötig?
Emanuel Meyer, Leiter vom Rechtsdienst Urheberrecht am Eidgenössischen Institut für Geistiges Eigentum. (Source: zVg)
Dennoch könne man nicht einfach diese geschützten Werke ohne Einwilligung für das Trainieren von KI-Modellen verwenden, denn es entstünden bei diesem Prozess unzählige Kopien. "Die wohl vorherrschende Lehre qualifiziert diese Kopien als einen Eingriff in das Vervielfältigungsrecht, das dem Urheber exklusiv zusteht", erklärt Isabelle Oehri. Aus diesem Grund werde die Einwilligung von allen Betroffenen, eine Lizenz oder eine Urheberrechtsschranke benötigt. "In der EU wird diskutiert, ob es unter der Text- und Data-Mining-Schranke erfasst ist", sagt Emanuel Meyer. "In der Schweiz ist diese Schranke ein wenig anders formuliert, aber wenn die EU einen klaren Entscheid fällt, müssten wir die Schranke in der Schweiz allenfalls auch anpassen, um Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden."
Im Schweizer Recht werden mit Blick auf das KI-Training verschiedene Urheberrechtsschranken diskutiert, wie etwa die Eigengebrauchsschranke oder die Wissenschaftsschranke. Während Erstere beim KI-Training laut Oehri nur selten anwendbar ist, werde die Wissenschaftsschranke in diesem Kontext häufig diskutiert. Die Schranke erlaubt die Vervielfältigung urheberrechtlich geschützter Werke ohne Zustimmung, wenn dies dem Zweck der wissenschaftlichen Forschung dient. Unter welchen Voraussetzungen KI-Training mit geschütztem Material in der Schweiz ohne Zustimmung erlaubt ist, bleibt noch offen und hängt stark vom Einzelfall ab. "Solange es keinen klaren Entscheid vom zuständigen Gericht gibt, ist es unklar, was das Urheberrechtsgesetz in diesem Fall genau vorgibt", sagt Emanuel Meyer.
Oehrli fragt sich auch, ob es überhaupt Regulierung in der Schweiz braucht: "Falls bestehende Gesetze mit technologieneutralen Anwendungen passende Antworten liefern, dann braucht es meiner Meinung nach keine neue Regulierung."
Was hinter dem Algorithmus passiert und welche Daten genau für das Training verwendet wurden, ist meist eine Blackbox. Es wäre schwierig für Betroffene, überhaupt herauszufinden, ob ihre Werke in den Trainingsdatensatz eingeflossen sind. Der AI Act der EU könnte hier Verbesserungen bringen, denn er verlangt eine hinreichend ausführliche Zusammenfassung der urheberrechtlich geschützten Trainingsdaten. Im Fall einer Urheberrechtsverletzung können die Betroffenen zivilrechtlich gegen den Anbieter vorgehen und verlangen, dass die Verletzung eingestellt wird oder künftig nicht mehr stattfindet und dass das Werk aus den Trainingsdaten entfernt wird, wie Isabelle Oehri ausführt.
Was heisst das für Kunstschaffende?
Generative KI bietet Kreativen ein innovatives Werkzeug, um neue Bildwelten zu erschaffen, die mit herkömmlichen Methoden möglicherweise nicht realisierbar wären. Doch viele Kreative sind mit den aktuellen Methoden des KI-Trainings nicht einverstanden. Denn innerhalb von Sekunden können einzigartige Kunststile kopiert und verbreitet werden. Die Grafikdesignerin Gabriela Unseld (hier lesen Sie das Interview) geht deshalb äusserst vorsichtig mit ihren Daten im Internet um. Sie stellt sich allgemein Fragen zur Fairness in dieser Situation: "Ist es fair, dass die gesamte Kunstwelt eigentlich ungefragt ihrer Arbeiten entledigt wurde, die jetzt Grundlage für ein absolut geniales Tool sind? Müssen wir nicht darüber nachdenken, wie das fair für alle wird? Nicht nur für die KI-Unternehmen und User, sondern auch für diejenigen, die Teil der Datengrundlage sind, nämlich die Kunstschaffenden?"
Kunstschaffende könnten sich immerhin vor Webcrawlern schützen mit Tools, die dafür entwickelt wurden. Eine Software namens Nightshade kann hochgeladene Werke so rendern und dabei den Code so verändern, dass die KI mit dem Bild nichts anfangen kann, wie Unseld erklärt. Somit könnten Kunstschaffende ihren künstlerischen Stil bewahren.
Welche rechtlichen Risiken entstehen für die User?
Um die rechtlichen Risiken bei der Nutzung von KI-Tools zu minimieren, ist es laut Oehri unter anderem wichtig, dass man die Nutzungsbedingungen genau durchliest. Wenn der generierte Output einem bestehenden Werk zu nahe komme, liege die Verantwortung dann bei den Usern der Plattform. In einem solchen Fall könne der Urheber die Entfernung des Werks, Auskunft über dessen Entstehung und bei kommerzieller Nutzung eine Lizenzgebühr fordern (Lizenzanalogie). Bei bewusster Anlehnung oder Nutzung trotz Abmahnung sei auch Schadenersatz möglich, sagt Oehri.
Aus ethischer Sicht sollten User KI-generierte Bilder kennzeichnen, damit man die reale Welt und Fiktion unterscheiden könne, ergänzt Gabriela Unseld. Eine Möglichkeit für die Zukunft, um Fairness zu gewährleisten, sieht die Grafikdesignerin darin, die Bildgeneratoren in Zusammenarbeit mit den Kunstschaffenden zu entwickeln. "So kann man ein neues Modell entwickeln, an dem Kunstschaffende auch teilnehmen können." Gabriela Unseld kann sich gut vorstellen, dass viele Kreative bereit wären, ihre Werke für das Training von KI herzugeben, solange sie dafür honoriert werden. Generative KI entwickelt sich rasant weiter und lässt viele Fragen offen. "In der Schweiz hat der Bundesrat das Bundesamt für Kommunikation beim UVEK und die Abteilung Europa beim EDA beauftragt, eine Auslegeordnung zu einer allfälligen Regulierung von KI zu erarbeiten", sagt Oehri. Wie diese Entscheide ausfallen, bleibt abzuwarten. Die Auslegeordnung will der Bund voraussichtlich im Frühjahr 2025 vorlegen.

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