Das Internet der Dinge verwandelt die Lieferkette in ein Versorgungsnetz
Lieferketten werden in Zukunft komplett anders funktionieren: Traditionelle lineare Supply Chains verwandeln sich in digitale Versorgungsnetze, die Erkenntnisse aus dem weiteren Ökosystem verarbeiten und Zusatznutzen generieren können.
Das World Wide Web wird in diesem Jahr 30 Jahre alt und das Internet der Dinge (IoT) ist nicht viel jünger – obwohl es erst vor wenigen Jahren zum Schlagwort wurde. Der Begriff IoT bezeichnet im engeren Sinne Dinge, die mit einem Netzwerk verbunden sind. Dies kann das Internet, ein Firmen-Intranet oder ein anderes Netzwerk sein. Zudem müssen diese Dinge Daten sammeln können.
Heutzutage sind viele Produkte vernetzt, Smartphones oder eine Windturbine, Kühlschränke oder Autos. Die Daten daraus werden gesammelt und verarbeitet, um Geschäftsprozesse zu automatisieren, neue Dienstleistungen zu ermöglichen oder einfach nur um diese an Dritte zu verkaufen. Computer und Produktionsanlagen kommunizieren und sammeln schon lange Daten – länger als es das Internet gibt. Nachdem nun immer mehr Konsumgüter IoT-fähig werden, gelangt IoT immer mehr ins Blickfeld einer breiteren Öffentlichkeit.
Erhöhte Verarbeitungsmöglichkeiten
Der heutige massive Durchbruch des IoT hängt aber nicht mit der Erhebung dieser Daten zusammen, sondern mit den neuen Möglichkeiten zu deren Verarbeitung und Nutzung. Die Reduktion der Hardwarekosten und des Batterieverbrauchs, die Erhöhung der Bandbreite sowie leistungsfähigere IoT-Plattformen zur Dateninterpretation haben den Weg dafür geebnet, dass IoT zu einem der aktuell heissesten Tech-Themen geworden ist.
Die vier Elemente Dinge, Prozesse, Menschen und Analytik (Grafik 1) stehen nicht nur für das IoT, sondern können auch das Grundprinzip einer Lieferkette beschreiben: Physische Produkte werden vom Menschen mithilfe von Industrieanlagen nach einem bestimmten Prozess und einer eigenen Methode hergestellt. Wenn wir dabei an Lieferketten denken, stellen wir sie uns traditionell linear vor mit einem spezifischen sequenziellen Verlauf: entwerfen> planen > beschaffen > herstellen > liefern. Das IoT transformiert nun viele Lieferketten hin zu einem dynamischen, vernetzten System, in dem verschiedene Elemente der "Kette" – wie die Fertigungseinrichtungen, die Produkte selbst, die Abläufe oder die Distribution – Informationen aus verschiedenen Quellen integrieren und voneinander abhängig agieren.
Grafik 1: Das Internet der Dinge besteht aus vier Elementen. (Source: Deloitte)
Digitale Lieferkette
Wir nennen dieses vernetzte System ein digitales Liefernetz (DSN, Digital Supply Networks, Grafik 2). Das IoT ist die Grundlage für die Entwicklung von traditionellen hin zu digitalen Liefernetzen und ermöglicht eine integrierte Sicht auf ein gesamtes Netzwerk. Dank immer besserer und günstigerer Sensoren können im IoT Daten umfangreicher und exakter erfasst werden. Dieser technologische Sprung hilft den Unternehmen, individuell zu reagieren und ihre Supply Chain an die sich ständig ändernden Situationen im gesamten Produktions- und Vertriebsprozess anzupassen.
In diesem Sinne verlagern viele Unternehmen ihren Fokus weg vom Management und der Optimierung spezifischer Silo-Funktionen der Lieferkette wie Beschaffung und Fertigung. Stattdessen konzentrieren sie sich mehr darauf, wie das Versorgungsnetz ganzheitlich zur Erreichung der Geschäftsziele beitragen kann. Digitale Liefernetze werden zunehmend zu einem integralen Bestandteil der strategischen Planung und Entscheidungsfindung. Sie werden zunehmend als ein offenes Ökosystem von Partnern betrachtet.
Ursprungszeugnis
Wenn sich globale Lieferketten in vernetzte Ökosysteme verwandeln, sollten wir auf die Frage nach der Produktherkunft eine klarere Antwort erhalten. Es ist heute für viele Unternehmen noch eine ernstzunehmende Herausforderung, den Weg eines spezifischen Produkts im gesamten komplexen Netzwerk nachzuvollziehen. Dies wird aber immer wichtiger, weil Geld und Reputation auf dem Spiel stehen und regulatorische Anforderungen stetig wachsen.
Nehmen wir das Beispiel von jemandem, der in einem Lebensmittelgeschäft eine Gänseleberpastete kaufen will. Durch die Zusammenführung von Mobil-, IoT- und Blockchain-Technologien ist es inzwischen möglich, umfassende Informationen über die Inhaltsstoffe und deren Herkunft anzubieten und die Verbraucher sogar vor allergieauslösenden Stoffen zu warnen. Blockchain hilft bei der Bereitstellung der Herkunftsinformationen, IoT bei der Verfolgung verschiedener Aspekte des Produkts, und das mobile Endgerät macht die Informationen für den Verbraucher leicht zugänglich.
Grafik 2: Ausgewählte IoT-Anwendungsfälle für digitale Lieferketten. (Source: Deloitte)
IoT stärkt den Wettbewerb
In den letzten Jahrzehnten haben Unternehmen in ihre Produktionskapazitäten investiert. Der Produktionsprozess und die zugrundeliegende Rechenleistung haben sich drastisch verbessert und auch die Produktion selbst verändert: Dank IoT können Investitionsgüter flexibler eingesetzt werden, was es ermöglicht, mit weniger Kapitalreserven in die Produktion einzusteigen. Wenn weniger Kapital benötigt wird, kann die Produktion geografisch näher an die Nachfrage rücken, kleinere Unternehmen können leichter in den Markt einsteigen und das belebt den Wettbewerb.
Die additive Fertigung (3-D-Druck) ermöglicht beispielsweise die flexible Produktion komplexer Ersatzteile ganz nahe beim Kunden in einem lokalen Distributionszentrum. Vorausschauende Instandhaltungsalgorithmen verarbeiten die über Sensoren erfassten Daten und lösen dann die eigentliche Produktion aus. So sehen Kameras und Gewichtsmesser, dass eine spezifische Sorte von Bauteilen im Lager eines Kunden ausgeht. Das digitale Liefernetz weiss, wo welche Basisstoffe zur Herstellung vorhanden sind, und löst rechtzeitig die Produktion der Bauteile aus und sorgt selbstständig dafür, dass diese rechtzeitig an den richtigen Ort im Lager gelangen.
Digitale Zwillinge
Die immer grösser werdenden Datensätze ermöglichen es innovativen Firmen, sogenannte "digitale Zwillinge" zu erstellen. Ein digitaler Zwilling ist ein digitales Gegenstück eines materiellen oder immateriellen Objekts aus der realen Welt; mit ihm können dank fortschrittlicher Analysemodelle Millionen von alternativen Szenarien simuliert werden. Diesen Trend können Unternehmen idealerweise im Rahmen einer ganzheitlichen Supply-Chain-Optimierung aufnehmen.
Mit einem digitalen Zwilling können beispielsweise die optimalen Frequenzen für die Herstellung jedes Produkts sowie die kostengünstigsten Produktionsreihenfolgen eruiert und die Zielparameter für den Zyklus- und den Sicherheitsbestand von Produkten berechnet werden. Unternehmen wird es damit ermöglicht, unzählige voneinander abweichende mathematische Berechnungen zu berücksichtigen und Einsparungen durch Bestandsreduzierung sowie eine Reduzierung der Umrüstzeit in der Produktion zu erreichen.
Die Möglichkeiten zur Anwendung von IoT im Liefernetz sind enorm. Das Internet der Dinge macht den Weg frei für die Anwendung verschiedenster Technologien und ist die Antwort auf unterschiedlichste Herausforderungen im Liefernetz. Wir können dadurch Liefernetze besser verstehen, Fehler korrigieren und die Prozesse verbessern. Die Möglichkeiten des IoT können für alle Elemente des Versorgungsnetzes relevant sein und sollten daher von keinem Unternehmen vernachlässigt werden.