"Aus der Position der Stärke lassen sich gute Partnerschaften finden"
Postfinance hat mit Valuu 2019 eine starke digitale Vermittlungsplattform geschaffen. Nach drei Jahren am Markt zieht Thomas Jakob, der bei Postfinance als Chief Business Unit Officer das Platform Business leitet, im Hintergrundgespräch Bilanz.
Valuu ist nach der Bezahl-App Twint ein weiteres Paradebeispiel eines Corporate-Start-ups aus dem Hause Postfinance. Die 2019 als eine der ersten gegründete, voll digitale Vermittlungsplattform für Hypotheken erfreut sich wachsender Beliebtheit bei Kunden und Vermittlern. Mit über 16000 registrierten Nutzerinnen und Nutzern bietet Valuu Zugang zu Hypotheken von rund 100 Banken, Versicherungen und Pensionskassen in der Schweiz.
Aber Valuu ist nicht allein im Geschäft der Hypotheken-Vermittlung. Moneypark, Hypoplus, Financescout, Hypotheke.ch und Key4 – diese Hypotheken-Plattformen von Helvetia, Comparis, Vermögenspartner und UBS buhlen um die Gunst von finanzierungswilligen Wohneigentümern und solchen, die es werden wollen. Gemeinsam ist den Plattformen, dass sie an der Vermittlung von Hypotheken Geld verdienen. "Nach meiner Einschätzung ist klar, dass nicht alle Plattformen erfolgreich sein, respektive überleben werden. Der Plattformmarkt im Hypothekarbereich ist ein "Winner-takes-it-all-or-most"-Market, sagt Thomas Jakob, der bei Postfinance als Chief Business Unit Officer Platform Business die Verantwortung für das Geschäft von Valuu trägt. Das bedeute, dass nur die Plattform Nummer eins und zwei überleben werden. Insofern erwartet er in der kommenden Zeit Konsolidierungen respektive Rückzüge von Plattformen. "Valuu gehört mittlerweile im digitalen Vergleichs- und Abschlussgeschäft von Hypotheken zu den führenden Plattformen in der Schweiz. Aus der Position der Stärke lassen sich gute Partnerschaften finden", sagt Jakob weiter.
Wenn sich Finanzinstitute an Ökosystemen beteiligen oder wie die Postfinance mit Valuu eigene Plattformen lancieren, ist das ein bemerkenswerter Schritt in einer traditionellen Branche wie der Finanzindustrie. Denn das Businessmodell der Plattformökonomie ist für Banken vielfach Neuland. Aber es gibt wenig Alternativen, denn die Geschäftsgrundlage der Banken ist in den vergangenen zehn Jahren durch Negativzinsen, erodierende Erträge und sinkende Margen durch zunehmenden Wettbewerb stark unter Druck geraten.
Neues Selbstverständnis
Auch haben die Digitalisierung und insbesondere die fortschreitende Nutzung digitaler Kanäle dazu geführt, dass Kunden Finanzentscheidungen immer öfter an Handy oder PC zuhause treffen oder zumindest online anbahnen. Hypothekar- oder auch Kreditgeschäft bieten durch die grosse Transparenz bei den Zinsen dafür geradezu ideale Voraussetzungen. Der Hypothekarmarkt allein ist mit einem Gesamtvolumen von über 1000 Milliarden Schweizer Franken gigantisch und damit per se interessant für Banken. Gleichzeitig gehören Hypotheken zu den Ankerprodukten im Portfolio eines Finanzinstitutes.
"Wenn der Markt in diesem Bereich vermehrt digitalisiert respektive neu verteilt wird, muss die eigene Position überdacht werden", sagt Jakob. "Dass andere Finanzinstitute ebenfalls erkennen, dass der Markt sich verändert, beflügelt natürlich die Entwicklung der Businessmodelle."
Das Plattform-Geschäft beziehungsweise die Teilnahme an Ökosystemen birgt auch Risiken für Finanzinstitute – die einzelnen Akteure müssen sich gegenseitig ein Stück weit öffnen, damit der Netzwerkeffekt spielen kann. Ausserdem müssen sie für ihre jeweiligen Rollen ein neues Selbstverständnis entwickeln. "Man nimmt dann möglicherweise die Rolle eines "Experten" in einem Ökosystem ein und nicht jene des Orchestrators oder des "Platzhirsches". Das ist ungewohnt, aber in der digitalen Welt unabdingbar", sagt Jakob. Auch für Postfinance ist grundsätzlich jede Form von Beteiligungen an Plattformen möglich. "Dabei muss natürlich immer der ökonomische Nutzen im Vordergrund stehen. Eine Zusammenarbeit ist in jedem Fall nur sinnvoll, wenn die Summe der einzelnen Teile grösser ist als die jeweiligen einzelnen Teile.
Die Rolle des Orchestrators
Die Postfinance hat sich in ihrer eigenen Interpretation der Plattformökonomie im Hypothekenmarkt für die Rolle des Orchestrators entschieden. Denn Postfinance darf heute aufgrund des Kreditverbots keine eigenen Hypotheken vergeben. Die politische Diskussion über eine allfällige Aufhebung des Verbots ist im Gang. "Bis es so weit ist, hat Postfinance die Schwäche, keine eigenen Hypotheken vergeben zu dürfen, in eine Stärke umgewandelt und sich entschieden, mit Valuu einen vollkommen unabhängigen und transparenten Vergleich und Abschluss anzubieten. Das ist schweizweit ein Alleinstellungsmerkmal", sagt Jakob weiter.
Bedenken, Postfinance bringe sich mit Valuu im Hypothekarmarkt bereits in Stellung, sollte dereinst das Kredit- und Hypothekarverbot aufgehoben werden, zerstreut Jakob: "Das ist in keiner Art und Weise die Absicht von Postfinance oder Valuu. Die Trennung vom effektiven Kreditgeschäft und dem Vergleichen von Hypotheken ist ins Geschäftsmodell von Valuu eingebaut, sowohl technisch wie auch organisatorisch. Gäbe es an dieser Trennung nur kleinste Bedenken, würden weder Banken noch andere Finanzierungsparteien je ihre Angebote auf Valuu transparent darstellen wollen."
"Grundsätzlich kann man davon ausgehen, dass Kunden Dienstleistungen vermehrt aus einem Netzwerk von Anbietern beziehen wollen, sagt Thomas Jakob. Die Vorstellung, dass man verschiedene Produkte oder Services bei verschiedenen Anbietern beziehen soll oder die Informationen an unterschiedlichsten Orten zusammensuchen muss, erscheint in der modernen, digitalisierten Welt nicht mehr zeitgemäss. "Kunden können durch die entstehenden Ökosysteme viel Zeit und Geld sparen", sagt Jakob weiter und "wenn Unternehmen für Kunden relevant bleiben wollen, müssen sie Teil eines solchen Netzwerks sein". Es ist also vielmehr eine strategische Entscheidung, um sicherzustellen, dass man die Kunden auch in Zukunft bedienen kann."
Postfinance will mit Valuu ein Ökosystem schaffen, in dem sich Kundinnen und Kunden "rund um Finanzieren, Vorsorgen und Versichern wohlfühlen", sagt Jakob. "Die Daten einmal auf einer sicheren Schweizer Plattform hochladen und von dort die benötigten Dienstleistungen einfach, digital und transparent beziehen können – das ist das Ziel. Und da dieses Ziel nicht allein erreicht werden kann und soll, braucht es Netzwerke, die eben genau diesen Mehrwert bieten."
----------
Interview mit Thomas Jakob, Postfinance
Warum fasziniert Sie persönlich das Plattformbusiness?
Thomas Jakob: Das Betreiben einer funktionierenden Plattform generiert für alle involvierten Parteien einen signifikanten Mehrwert. Als Plattformintermediär stellt man selbst kein eigenes Produkt her und hat damit auch keine Herstellungskosten und ist trotzdem maximal relevant für den Endkunden sowie für den Anbieter. Man generiert quasi eine Win-win-win-Situation. Die Kundinnen und Kunden gewinnen durch die Vielfalt und Transparenz auf der Plattform, der Anbieter baut seine Reichweite und damit sein Geschäft aus und gleichzeitig kann der Plattformbetreiber aus diesem Zusammenbringen der beiden Seiten profitabel werden. Gleichzeitig ist es höchst herausfordernd, eine Plattform aus dem Stand hochzufahren. Man muss ein genügend grosses Problem lösen, um eine digitale Skalierung erreichen zu können, und gleichzeitig muss man das Henne-Ei-Problem lösen. Denn ohne Anbieter kommen die Kunden nicht und ohne Kunden kommen die Anbieter nicht. Und letztlich funktioniert eine Plattform nur, wenn der Plattform zu 100 Prozent vertraut werden kann. Ohne Vertrauen keine Plattform. All diese Dinge kombiniert ergeben eine höchst spannende Aufgabe und mit der Zeit ein relevantes und eigenwirtschaftliches Unternehmen.
Wie glauben Sie wird sich durch das Plattformbusiness die Schweizer Finanzindustrie verändern?
Vorderhand werden solche Plattformen nicht gleich die Finanzindustrie verändern. Es wird noch lange Kunden geben, die gerne eine physische Beratung bei einem Finanzinstitut beziehen wollen. Das ist auch gut so. Jedoch werden sich immer mehr Kunden im Internet nach Lösungen umsehen und unweigerlich auf Plattformen stossen. Persönlich erachte ich es dann als wichtig, dass solch eine Plattform von einem Schweizer Unternehmen betrieben wird, das der Schweizer Gesetzgebung untersteht und nicht von einem grossen Multinational, von dem man nicht weiss, was mit den Daten passiert. Jedoch glaube ich fest daran, dass die Transformation im Finanzmarkt spürbar sein wird. Die neue digitale Welt lässt sich nicht aufhalten und wer den Zug verpasst, wird Mühe haben, aufzuholen
Wo sehen Sie für die Schweiz Nachholbedarf rund um die digitale Businesstransformation des Finanzplatzes?
Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass auf dem Schweizer Finanzplatz recht viele Transformationsinitiativen laufen. Themen wie Plattformen, Kryptos, digitale Banken etc. sind in der Schweiz bekannt. Ich glaube, die Start-up-Szene ist mittlerweile recht gut organisiert, und das Zusammenspiel der verschiedenen Player entsteht. Vielleicht fehlt am einen oder anderen Ort noch der Mut, im grossen Game mitmachen zu wollen, aber das wird mit dem zunehmenden Druck von aussen passieren. Auf der anderen Seite ist klar, dass Finanzinstitute ein essenzieller Teil der Schweiz darstellen. Viele Schweizer und Schweizerinnen und auch Ausländer und Ausländerinnen vertrauen ihrem Finanzinstitut und beziehen ihre Dienstleistungen gerne von dort. Der Shift zur digitalen Dienstleistung im Finanzbereich ist für viele Schweizer ein grosser (siehe Twint oder die Durchdringung von Onlinebanking). Ich würde demnach sagen, dass der Nachholbedarf möglicherweise eher aus einer "Nachfragelücke" entsteht und weniger aus einem "Verschlafen der Transformation". Da könnte der Staat sicher noch unterstützend wirken, wie wir das aus den nordischen Ländern kennen.
Wie wird sich die Wettbewerbsfähigkeit des Schweizer Finanzplatzes entwickeln, wenn wir in diesem Bereich (digitale Transformation) nicht massiv zulegen?
Ich erachte das Setting des Schweizer Finanzmarktplatzes als stabil. Die digitale Transformation wird sich weiter beschleunigen und nicht aufzuhalten sein und das ist auch richtig so. Aber Anzeichen, dass wir da den Anschluss verlieren, sehe ich, wenn überhaupt, nur am Horizont. Man kann immer nur so schnell transformieren, wie die Kunden den Weg auch mitmachen. Ich würde sagen: "We are ready when you are."
Welche Bedeutung haben in diesem Zusammenhang die gesetzlichen Rahmenbedingungen?
Die gesetzlichen Rahmenbedingungen ermöglichen das Geschäft so, wie es heute ist. Sicher ist die Situation für Transformationen nicht unbedingt förderlich. Aber auch hier müssen Angebot und die Nachfrage übereinstimmen. Was ich persönlich sicher begrüssen würde, ist, wenn die Rahmenbedingungen für neue Unternehmen weiter erleichtert würden. Das würde übrigens auch für etablierte Unternehmen gelten, die ein neues Venture starten. Dass Valuu als neues Corporate-Start-up die für die Muttergesellschaft Postfinance geltenden Auflagen einhalten muss, ist unsinnig. Gleichzeitig finde ich wichtig, dass die Schweiz Finanzierungen von neuen Ventures weiter begünstigt. In Israel wird zum Beispiel jeder Venture-Dollar mit einem Staats-Dollar ergänzt. Warum nicht mal so etwas in Angriff nehmen? Als Drittes würde ich sagen, wir müssen in der Schweiz lernen, unsere hochspannenden Forschungsergebnisse besser zu kommerzialisieren. Was wir in diesem Bereich leisten (inkl. Ausbildungen) ist fantastisch, aber das bleibt dann oft dabei. Da machen uns etwa die Amerikaner vor, wie das geht.
Welche technologische Entwicklung wird aus Ihrer Sicht die Finanzindustrie bis 2030 am meisten prägen?
Ich würde auf zwei Themen setzen: Blockchain und künstliche Intelligenz. Aber wie gesagt, die Kundinnen und Kunden müssen den Shift mitmachen, respektive die Lösungen müssen so gestaltet sein, dass die Kunden sie verwenden wollen. Die Technologie allein bringt nichts – sie ist nur Mittel zum Zweck.