Motivation zur Transformation: So findet man Freude an Veränderung
Für Unternehmen im Transformationsprozess gilt dasselbe wie für die neuronale Fitness der Menschen: Es braucht Lust auf Veränderung. Warum das so wichtig ist und wie man diese Lust lernen kann, erklärte der Neurowissenschaftler und Arzt Volker Busch am Digital-Event von Graphax.
"Die Menschen lieben den Fortschritt, doch sie hassen die Veränderung." Diesen Satz soll der französische Philosoph Voltaire gesagt haben – und er beschreibt treffend das Dilemma, in dem sich viele Unternehmen zurzeit befinden: Je höher der wahrgenommene Druck zum Vorwärtsmachen, desto grösser die Veränderungsresistenz. Oder aus Sicht eines Managements: Je mehr man einen Transformationsprozess forciert, desto schwieriger wird es, die dazu notwendigen Veränderungen in der Belegschaft respektive der Arbeitskultur umzusetzen. Der einzige Ausweg aus diesem Dilemma liegt darin, die Haltung gegenüber Veränderungen zu verändern. Aber wozu? Und wie funktioniert so etwas? Darüber diskutierten die Teilnehmenden am Digital-Event in Rüschlikon, organisiert von Graphax.
Der Spezialist für Dokumenten- und Informationsmanagement steckt selbst in einer Transformationsphase. Und für Juan Chenevard war der Anlass gewissermassen eine Feuertaufe: Seit neun Monaten leitet er die Geschäfte des Unternehmens – und zum ersten Mal stand er als CEO im Rampenlicht.
Mitarbeitende miteinbeziehen
Auf der Bühne von Moderator Marc Jäggi danach gefragt, wie Graphax den Prozess der eigenen Transformation gestalte, sagte Chenevard: Es gehe ihm gar nicht um Prozessdigitalisierung, sondern vielmehr um einen kulturellen Wandel. "Wir müssen die Mitarbeitenden auf diese Reise mitnehmen, sodass sie den Wandel mittragen."
Graphax-CEO Juan Chenevard (l.) im Gespräch mit Marc Jäggi, Leiter Moderation, Radio 1. (Source: zVg)
Und wie geht das? Die Vermittlung einer Unternehmenskultur sei ein Top-Down-Prozess, sagte der neue Graphax-CEO. Insbesondere in der Geschäftsleitung brauche es ein gemeinsames Mindset, das man nach Innen und Aussen tragen könne. Dazu gehöre beispielsweise gegenseitiges Vertrauen, Offenheit, eine Feedback-Kultur, ein respektvoller Umgang, gesunder Menschenverstand und nicht zuletzt: eine positive Einstellung gegenüber der Zukunft. "Ich sage immer: Es kommt gut", sagte Chenevard.
Die bestmögliche Form von Gehirnjogging
Das sei in vielerlei Hinsicht eine lobenswerte Haltung, sagte der Keynote-Referent Volker Busch im Anschluss an den Auftritt des CEOs. Busch ist Facharzt für Neurologie sowie Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie an der Universitätsklinik in Regensburg. In seinem Vortrag vermittelte er neurowissenschaftliche Einblicke in das Thema Veränderung, garniert mit praktischen Tipps und einer gesunden Portion Humor.
"So anstrengend sie sind: Veränderungen sind das grösste Geschenk, das wir unserem Gehirn machen können", sagte Busch. Das Gehirn belohne neue Herausforderungen durch Wachstum und neue Verbindungen. Und: "Lebenslanges Lernen hält uns jung und schützt uns vor geistigem Abbau." Das betrifft nicht nur Individuen, sondern auch Organisationen: Aus empirischen Studien gehe hervor, dass Veränderungen am Arbeitsplatz vielerlei Verbesserungen mit sich brächten, und zwar bezüglich Denkgeschwindigkeit, Gedächtnis, Handlungsplanung und -Kontrolle, Fehlererkennung sowie Entscheidungsfindung. "Veränderungen im Unternehmen sind also die bestmögliche Form von Gehirnjogging", sagte Busch und fügte scherzhaft hinzu: "So viele Fischkapseln können Sie gar nicht schlucken."
Kampf den Gewohnheiten
Doch warum sind Veränderungen so schwierig? Die wichtigsten Gründe: Ängste und der konditionierte Hang zu Gewohnheiten. Letzteres, also die Gewohnheiten, würden bis zu 80 Prozent unseres Verhaltens, unserer Gedanken und Gefühle bestimmen. Gewohnte Denk- und Verhaltensmuster äussern sich im Gehirn durch relativ starke neuronale Verknüpfungen – wie ein Trampelpfad durch eine Wiese, wie Busch sagte. Deswegen sei es so schwierig, etwas Angewohntes zu verändern. Wenn wir es doch tun, warnt uns unser Gehirn. Wer beispielsweise seine Arme anders als gewohnt verschränkt, stösst auf eine sogenannte somatosensorische Gegenwehr, wie Busch zu verstehen gab. Soll heissen: Es fühlt sich komisch an.
Keynote-Referent Volker Busch brachte das Publikum mit seinen Ausführungen auf Trab. (Source: Netzmedien)
Doch es lohnt sich, die ausgetretenen Trampelpfade zu verlassen. Dinge bewusst anders zu machen und dabei Neues zu lernen, sei Training für brachliegende Synapsen und führe dazu, dass neue Gehirnzellen heranwachsen. Dass neue Nervenzellen auch im Erwachsenenalter entstehen können, ist eine vergleichsweise neue Erkenntnis, deren Nachweis einem Team um den schwedischen Forscher Thomas Björk-Eriksson von der Universität Göteborg 1998 gelang. Ein wichtiger Grund mehr, um den Ratschlag zu beherzigen, den Busch dem Publikum mit auf den Weg gab: "Bleiben Sie geistig hungrig!"
Öfters mal gegen sich selbst revoltieren
Aber wie schafft man es, angestammten Gewohnheiten zu trotzen und die alltäglichen Trampelpfade zu verlassen? Busch gab den Zuhörerinnen und Zuhörern einen entsprechenden Tipp – eine spielerische Möglichkeit, um in den Entdeckungsmodus einzutauchen. Die Idee dahinter: den Alltag einen Tag lang bewusst anders zu gestalten als sonst. Busch nennt es den "Revolutionstag" – wem das zu politisch sei, könne ihn auch als Gegenteiltag bezeichnen. Die Namensgebung kommt jedoch nicht von ungefähr: "Es sind die Revolutionen, die uns voranbringen, nicht das viele Denken", sagte Busch.
Wer sich darauf einlässt, sollte es aber richtig machen. Das heisst: Es geht nicht darum, sich die Zähne mit links zu putzen statt mit rechts. Das wäre zu simpel. Sinnvoller wäre beispielsweise, etwas zu kochen und zu essen, was man noch nie zuvor gegessen hat. Musik zu hören, die man sonst nie hören würde. Oder im öffentlichen Verkehr nicht aufs Smartphone zu starren, sondern den Sitznachbar oder die Sitznachbarin anzusprechen. "Wer solche Micro-Changes trainiert, tut sich leichter mit grossen Veränderungen."
Wem das alles zu viel des Gutgemeinten sei, könne im Kleinen damit anfangen – mit den Mini-Revolten gegen die Gewohnheiten, sagte Busch und ergänzte mit einem Augenzwinkern: "Als Anstoss reicht es dem einen oder anderen vielleicht schon aus, morgens mal Elmex und abends Aronal zu nehmen."
Übrigens: In der Management-Literatur gibt es haufenweise Ratschläge zum Thema Change Management – was man darunter verstehen kann und was für Modelle in dieser Disziplin typischerweise zum Einsatz kommen, erfahren Sie im Hintergrundbericht: "Erfolgreicher Wandel beginnt mit den Menschen".