Vor diese Herausforderungen stellt der digitale Föderalismus die öffentlichen Verwaltungen
In Bern finden vom 27. bis 30. Juni die Infosociety Days statt. Den Anfang macht das Swiss E-Government Forum. Am ersten Tag drehte sich alles um den digitalen Föderalismus und darum, welche Herausforderungen es zu meistern gilt, aber auch, welche Möglichkeiten sich ergeben.
Auf dem Berner Expogelände finden diese Tage die Infosociety Days statt. Am 27. und 28. Juni geht das Swiss E-Government Forum über die Bühne. Der erste Tag stand unter dem Motto: "Digitaler Föderalismus – Vorgaben, Hürden, Lösungen". Durch den Anlass führte wie vergangenes Jahr Enrico Kopatz, Geschäftsführer von Simeo.ch. In einer Anekdote erinnerte sich der Graubündner an seine Kindheit in S-chanf, wie in Dörfern auch heute noch eine natürliche Abneigung gegen die Kantonshauptstadt vorherrschen kann – und erinnerte sich damit an eine seiner ersten Wahrnehmungen des Schweizer Föderalismus.
"Digitalisierung passiert uns nicht einfach"
Im Grusswort hob Monika Litscher, Vize-Direktorin des Schweizerischen Städteverbands, hervor, dass die digitale Transformation nicht passiv erduldet werden soll. Denn: "Digitalisierung passiert uns nicht einfach". Sie müsse von den Vertretern der Gesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft aktiv angegangen werden. In der Swiss City Survey habe sich gezeigt, dass die Städte der Digitalisierung eine hohe Wichtigkeit zusprechen. Denn sie sind im Zugzwang. Laut Litscher steigen die Bedürfnisse der Bevölkerung an die Verwaltungen. Diese wollten schnell und einfach E-Services beziehen können – ähnlich dem Online-Shopping-Erlebnis. Die Stadtverwaltungen seien deshalb bestrebt, die Dienstleistungen für die Einwohnenden zu verbessern und ihre Ressourcen bewusster einzusetzen. Damit die Digitalisierung in der öffentlichen Verwaltung erfolgreich umgesetzt werde, müsse jedoch das Silodenken überwunden und Prozesse transversal angegangen und gestaltet werden.
Das Grusswort von Monika Litscher, Vize-Direktorin des Schweizerischen Städteverbandes, hob auch die Stärken des Föderalismus hervor. (Source: zVg/Severin Nowacki)
Gerade deshalb sei der Schweizer Föderalismus eine Stärke. Neue Ansätze können auf verschiedenen Staatsebenen entwickelt werden. Es gelte, wichtige Errungenschaften seitens Gemeinden und Städten mitzunehmen und den Austausch auf den Ebenen Bund, Kanton und Gemeinde sicherzustellen. Die Digitale Verwaltung Schweiz (DVS) spiele in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle und könne mit ihren Förderprojekten ein wichtiger Katalysator sein.
Ein Exkurs zur neuen Rechtsgrundlage: Embag
Im ersten Referat des Tages sprach Gerhard Andrey, Nationalrat der Grünen Fribourg und Co-Founder von Liip, darüber, weshalb das Ökosystem der Digitalen Verwaltung Schweiz eine Community braucht. Er widmete sich im ersten Teil des Referats der neuen Gesetzesgrundlage zum "Bundesgesetz über den Einsatz elektronischer Mittel zur Erfüllung von Behördenaufgaben" oder kurz Embag. Dieses soll die Rechtsgrundlage schaffen, damit die Bundesverwaltung Geschäftsprozesse künftig nach dem Prinzip “digital first” abwickeln kann. Nach Andrey beginnt mit dieser Gesetzesgrundlage ein neues Kapitel in der Verwaltungsdigitalisierung. Dabei dürfe man aber nicht in Vorstellungen und Utopien einer digitalen Schweiz verfallen.
Er schenkte vor allem dem Art. 9 besondere Aufmerksamkeit: Open Source. Eine Community, die zusammenarbeite, sei ein zivilisatorischer Fortschritt. Das Verhältnis von Konkurrenz und Kollaboration führe zu neuen Anreizen und schlussendlich zu grösseren Fortschritten. Dieses Modell passe deshalb "wie die Faust aufs Auge" zur föderalen Schweiz. Als Schwäche des Embag verortete Andrey, dass über die Staatsebenen hinweg zu wenig Verbindlichkeiten existieren und etwa den Kantonen zu wenige Standards abverlangt würden. Bei diesem Gesetz würde ausserdem die Gefahr bestehen, dass zu wenig eigene Innovationen entwickelt würden, da es sich um einen Top-Down-Ansatz handle.
Gerhard Andrey, Nationalrat und Unternehmer sprach über Embag und die Cloud-Strategie des Bundes. (Source: zVg/Severin Nowacki)
Als zweiten wichtigen Aspekt der Verwaltungsdigitalisierung nannte Andrey die Cloud-Strategie des Bundes. Der Gang in die Cloud habe bereits viele Debatten provoziert, aber auch sehr konstruktive Ansätze zu Tage geführt. Die drei Pfeiler der Cloud-Strategie umfassen den ersten Pfeiler Public Cloud, Public Cloud on Prem und als höchste Stufe die Private Cloud on Prem. Er hob hervor, dass auch Kantone und Gemeinden Zugang zur Private Cloud on Prem erhalten sollten, damit sie ihre hochsensible Daten verschlüsselt speichern und in die Cloud übertragen können. Wichtig sei dabei das Thema Interoperabilität: Die öffentlichen Verwaltungen sollten klar regeln, welche Daten als hoch sensibel einzustufen sind.
Schlussendlich bleibe die Zusammenarbeit über die Staatsebenen anspruchsvoll. Aber mit dem Embag und der Cloud-Strategie seien bereits die ersten wichtigen Grundlagen gelegt.
Partizipation ist kein Trend
Gleich im Anschluss stelle Lucas Nicolussi, Chief Digital Officer der Stadt Uster, das Projekt "mein-uster.ch" vor. Das 2022 gestartete Projekt hat zum Ziel, mithilfe von partizipativen Methoden das digitale Dienstleistungsangebot der Stadt neu zu entwickeln - mit Fokus auf die Nutzerinnen und Nutzer. Er beleuchtete insbesondere die Ansprüche an digitale städtische Dienstleistungen und die Bedürfnisse der Einwohnerinnen und Einwohner. Die Stadtverwaltung wollte nicht allein vorentscheiden, welche Services sie der Bevölkerung digitalisiert zur Verfügung stellen möchte. Nach der Ist-Analyse im vergangenen Jahr sei deshalb zusammen mit interessierten Personen aus der Bevölkerung deshalb ein erstes Zielbild erarbeitet und ein erster Prototyp erstellt worden. Aus Sicht der Stadt Uster war das Projekt ein Erfolg. Sie sei auf viel Wohlwollen in der Bevölkerung gestossen und habe mit den ermittelten Ergebnissen für hohe Qualität in den nächsten Projektschritten sorgen können.
Über die Wichtigkeit der Partizipation sprach Lucas Nicolussi von der Stadt Uster. (Source: zVg/Serverin Nowacki)
Dieses partizipative Vorgehen fördert laut Nicolussi die politische und gesellschaftliche Teilhabe. Partizipation sei kein Trend, sondern eine Aufgabe und appellierte gleichzeitig an die anwesenden Gemeindevertreterinnen und -vertreter: "Probiert einfach mal etwas aus."
Die häufigsten Cloud-Fehlvorstellungen
Wieder zurück in die Cloud ging es mit dem Referat von David Rosenthal, Partner bei Vischer. Er sprach über die häufigsten Fehlvorstellungen, die bei öffentlichen Verwaltungen oder Spitälern beim Gang in die Cloud vorherrschten: Die Angst vor dem ausländischen Behördenzugriff und dem US Cloud Act, die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung für alle Anwendungen und der Angst vor dem Provider, mit dem alles steht oder fällt. Diese Bedenken seien jedoch nicht jene Probleme, die in der Praxis wirklich auftauchen. Etwa der Aspekt des Datenschutzes sollte laut Rosenthal als Sicherheitsdiskussion betrachtet werden. So erkenne man, dass Cloud-Risiken wie die Abhängigkeit und die Geschäftsfortführung viel gewichtiger seien. Jedes öffentliche Organ müsse deshalb eine Risikobeurteilung vornehmen, bevor es mit der Entwicklung einer Cloud-Strategie starte. Wesentlich für die Organisationen ist gemäss Rosenthal, dass sie Zugriffsebenen definieren, wer welche Zugriffsrechte erhält und die Kontrolle über den Schlüssel somit bei der Verwaltung bleibe – auch wenn dieser beim Provider gelagert wird.
Über die häufigsten Fehlvorstellungen zum Gang in die Cloud sprach David Rosenthal, Partner bei Vischer. (Source: zVg/Severin Nowacki)
Als eine der grössten Herausforderungen sieht er heute vor allem die mangelnde Cloud-Maturität bei den Unternehmen und Verwaltungen. Diese müssten in der Lage sein, die benötigten Services selbst steuern, kontrollieren und gleichzeitig den eigenen Provider überwachen zu können. Nur so würden sie die kontinuierlichen Entwicklungen der Cloud im Griff haben. Ob sich der Gang in die Cloud für eine Organisation lohnt, sei mit einer Risikobeurteilung verbunden. Schlussendlich handle es sich dabei um ein IT-Projekt, wie jedes andere auch. "Risiken muss man kennenlernen und verstehen", sagte Rosenthal, so könne man auch angemessen mit ihnen umgehen. Ob es denn etwas bringen würde, wenn es eine Zulassungsbehörde für Cloud-Anbieter in der Schweiz geben würde, wollte ein Teilnehmer aus dem Publikum wissen. Für Rosenthal braucht es diese nicht. Denn die Risikobeurteilung müsse individuell von den Organisationen getroffen werden, dazu brauche es vielmehr gute Praxis und nicht neue Regelungen.
Wolkig mit Aussicht
Das zweite Praxisbeispiel wurde von Matthias Dyer, Detecon Schweiz, und Christoph Siegrist, Nuvibit, vorgestellt. Sie referierten darüber, wie MeteoSchweiz sich in die Wolke befördert hat und was es bedeutet, eine (Public) Cloud für eine Verwaltung nutzbar zu machen. Bei MeteoSchweiz seien nicht alle Daten besonders schützenswert. Andere Kriterien wie Ausfallsicherheit, Skalierbarkeit, Flexibilität und Innovation seien bei diesem Projekt viel stärker gewichtet worden. Für MeteoSchweiz wurde daher ein hybrider Ansatz und somit das beste aus beiden Welten ausgewählt, erklärte Dyer. Die AWS Cloud sei als primäre Hostingplattform für die Fachanwendungen aufgebaut worden. Gleichzeitig habe MeteoSchweiz ein neues Haupt-Rechnungscenter bezogen, womit das Netzwerk georedundant durch den zweiten Standort sichergestellt werde.
Matthias Dyer von Detecon (l.) und Christoph Siegrist von Nuvibit (r.) im Gespräch mit Enrico Kopatz (m). (Source: zVg/Severin Nowacki)
Wie einfach oder doch kompliziert das Projekt wurde, erzählte dann Siegrist. Damit das Versprechen und Potenzial der Cloud vollends ausgeschöpft werden könne, müssten sämtliche IT-Disziplinen neu gedacht und zusammengestellt werden. Bei der Umsetzung habe man deshalb auf ein agiles Mindset und Vorgehen gesetzt. Der Schlüssel zur Vereinfachung der Komplexität liege darin zu wissen, wer für was zuständig sei. Sein Fazit lautete: "Es ist einfach und doch kompliziert. Kompliziert und doch einfach."
Weshalb Digitalisierungsbestrebungen nur langsam voran kommen
Mit dem letzten Vortrag des Tages verliessen die Zuhörenden die Wolken wieder und landeten auf dem Boden des Rechts und der Theorie. Nadia Braun Binder, Professorin für Öffentliches Recht an der Universität Basel, legte dar, weshalb Digitalisierungsbestrebungen in der Schweiz nur schwer vorankommen. Alles beginne mit der Bundesverfassung und der verankerten Souveränität und Aufgabenverteilung der Kantone. Nur dort, wo der Bund ausdrücklich Aufgaben in der Bundesverfassung zugewiesen erhalte, sei er auch zuständig - sonst seien es die Kantone. Wenn der Bund eine Kompetenz erhalten soll, brauche es deshalb eine Ermächtigung und eine Verfassungsänderung. In der elektronischen Verwaltungslandschaft der Schweiz besitze der Bund keine allgemeine Kompetenz, weshalb die kantonale Verwaltung die Grundlage bildet. Dies führe zu föderaler Vielfalt und schlussendlich zu 26 unterschiedlichen Gesetzen. Die Schweiz stehe deshalb vor drei Varianten, wie sie mit dieser Problematik umgehen könne:
- Mit dem Status quo weiterfahren und darauf vertrauen, dass Bund und Kantone sich weiterhin absprechen;
- verstärkte Zusammenarbeit zwischen den Kantonen;
- oder eine Bundesverfassungsänderung.
Nadia Braun Binder, Professorin für Öffentliches Recht der Universität Basel, holte die Zuhörenden auf den Boden des Rechts und der Theorie. (Source: zVg/Severin Nowacki)
Im April habe sich der Bundesrat bereits für die Annahme des Postulats der Verfassungsänderung ausgesprochen. Wenn die Verfassungsänderung wirklich angenommen werde, müsse diese Bundeskompetenz so eng gefasst werden, "wie nur irgend möglich, um dem Föderalismus gerecht zu werden", sagte Braun Binder. Nachdem sich die Professorin den Fragen aus dem Publikum widmete, drehte sie den Spiess um und wollte wissen, wer sich von den Anwesenden für welche Variante entscheiden würde. Die Verfassungsänderung ging als klare Siegerin hervor.
Bevor die Teilnehmenden ins Mittagessen entlassen wurden, machte Kopatz bereits auf die Termine im nächsten Jahr aufmerksam. Das Swiss E-Government Forum findet kommendes Jahr am 19. und 20. März statt.
Im vergangenen Jahr wurden am ersten Tag über die Pusher und Pushbacks im E-Government gesprochen. Alles dazu, lesen Sie hier.