Die Pusher und Pushbacks im E-Government
In Bern haben die Infosociety Days begonnen. Am ersten Tag ging es um digitale Demokratie, und zwar nicht nur um E-Voting. Auch die Cloud und digitale Transformation kamen zur Sprache. Dabei hörte man nicht nur Erfolgsgeschichten, sondern oft auch Zweifel und Fragen.
Auf dem Bernexpo-Gelände in der Bundesstadt haben die diesjährigen Infosociety Days begonnen. Am 28. und 29. Juni geht dabei das Swiss E-Government Forum über die Bühne. Zuletzt wurde die Veranstaltung im März 2020 durchgeführt. Für viele dürfte es die letzte Publikumsveranstaltung vor dem ersten Corona-Lockdown gewesen sein, erinnerte Moderator Enrico Kopatz, Geschäftsführer von Simeio.ch, in seiner Begrüssung.
Gäbig
"Dieses Forum stellt uns auf die Probe", fuhr Kopatz fort. Das Motto des Anlasses - "Pusher der Digitalisierung in der Verwaltung - frage nicht mehr 'Wie geht das?', sondern 'Was nun?'" - und diese Frage tue dem Forum gut.
Der Berner Stadtpräsident Alec von Graffenried hob in seinem Grusswort die einschneidenden und raschen Veränderungen hervor, die die Digitalisierung in den vergangenen Jahren ausgelöst hatte. Er selber gehöre in puncto Digitalisierung zu den Neugierigen, und "ich möchte bei der Bevölkerung auch diese Neugierde wecken."
Alec von Graffenried, Stadtpräsident Bern. (Source: zVg / Severin Nowacki)
Ziel seiner Verwaltung sei es, künftig alle Dienste digital anzubieten, denn "Parallelstrukturen werden aufwändig und teuer". Damit dies klappt, wolle er alle in der Gesellschaft auf die digitale Reise mitnehmen. Dazu brauche es Zugangspunkte, wo alle den Umgang mit den digitalen Kanälen lernen können.
Als weiteren Eckpfeiler nannte er die Schaffung eines einheitlichen Portals, über welches Bürgerinnen und Bürger Zugang zu den digitalen Behördendienstleistungen erlangen können. Damit die digitalen Dienste bei der Bevölkerung auch wirklich ankommen, müssten sie schliesslich vor allem eines sein: gäbig. Das berndeutsche Wort bedeute mehr als praktisch, erklärte der Stadtpräsident. Vielmehr stehe es für einen Mehrwert und für das Gefühl des "es geht wie von selber".
E-Voting: Unbedingt, aber bitte sicher
Zwei Referate befassten sich mit den Auswirkungen der Digitalisierung auf die Demokratie. Alexander Mertes von der Fachstelle für Public Performance Management & Digital Transformation an der ZHAW School of Management and Law stellte die sogenannte E-Partizipation vor. Als Beispiel nannte er die Gemeinden Glattfelden und Regensdorf, die etwa mit einer App den Kontakt zwischen Verwaltung und Bevölkerung fördern.
Alexander Mertes von der Fachstelle für Public Performance Management & Digital Transformation an der ZHAW. (Source: zVg / Severin Nowacki)
Über die digitalen Plattformen können Bürgerinnen und Bürger Ideen einreichen oder geplante Projekte kommentieren. E-Partizipation erhöhe die Beteiligung der Bevölkerung und ermögliche, gezielt auf bestimmte Bevölkerungsgruppen oder Betroffene einzugehen, erklärte Mertes. Ob sich dies lohne, müsse vorgängig mit einer detaillierten Stakeholder-Analyse ermittelt werden, denn ein Selbstläufer sei sie nicht. Und: "Wir sprechen uns nicht dafür aus, alles im demokratischen Prozess zu digitalisieren", hob er hervor. Gemeinderäte blieben wichtig, um etwa Vorschläge zu filtern und Projekte zu konkretisieren.
Marco Greiner, Vizestaatsschreiber und Regierungssprecher des Kantons Basel-Stadt, packte dann das heisse Eisen E-Voting an: Über Jahre sei das Thema in seinem Kanton "einfach nur so durchgeflutscht"; erst ab 2018 seien Sicherheitsbedenken laut geworden, kurz bevor das letzte noch laufende E-Voting-System gestoppt wurde.
Marco Greiner, Vizestaatsschreiber und Regierungssprecher des Kantons Basel-Stadt. (Source: zVg / Severin Nowacki)
In der Folge präsentierte Greiner die Resultate einer Studie zu den Themen E-voting und E-Collecting. Sie zeigen das Spannungsfeld in Zusammenhang mit den Themen: 56 Prozent der Befragten sprachen sich für eine Einführung von E-Voting aus - bei E-Collecting seien es sogar 59 Prozent gewesen. Als Hauptgrund fanden die Befürwortenden - passend zum Grusswort des Berner Stadtpräsidenten: Es gehe schneller, es erhöhe die Stimmbeteiligung und: "Äs isch gäbig". Das am meisten geäusserte Bedenken sei indes die Sicherheit. Das Argument sei von der jüngsten Altersgruppe am häufigsten genannt worden, sagte Greiner. Wie es weiter geht in puncto E-Voting, ist noch nicht klar. Die Studienergebnisse deuteten darauf hin, dass man wohl einfach mal anfangen sollte, befand Greiner. Dank der Untersuchung sei es dem Kanton zudem gelungen, ein Netzwerk von Expertinnen und Experten aufzubauen, welches bei weiteren Schritten wieder zur Verfügung steht.
Für eine praxisnahe digitale Transformation in der Verwaltung setzte sich Roger Hubschmid ein. Wer digitalisiere, müsse den Mitarbeitenden aufzeigen können, welche konkreten Veränderungen anstehen und wie sich eine Arbeitsstelle verändere, führte der Leiter Organisationsentwicklung bei der Stadt St. Gallen aus. Hier könne Austausch hilfreich sein: "Sprechen Sie mit Gleichgesinnten, zum Beispiel anderen Gemeinden, die das auch getan haben."
Roger Hubschmid, Leiter Organisationsentwicklung bei der Stadt St. Gallen (Source: zVg / Severin Nowacki)
Wichtig sei auch eine konstante Kommunikation, und zwar nicht nur innerhalb des Organisationsteams, sondern mit allen in der Verwaltung. Schliesslich mahnte er, den Zeitaufwand der digitalen Transformation nicht zu unterschätzen: Man könne diesen Aufwand nicht auf ein bereits volles Aufgabenprofil packen, denn "irgendwann ist die Ladefläche voll".
In Verwaltungen stellen sich der Digitalisierung zusätzliche Hindernisse in den Weg: Hubschmid nannte etwa langsame politische Prozesse, den Gang durch zu viele Gremien und die Neigung, alles in Verordnungen zu schreiben. "Man muss versuchen, die internen Organe flexibler zu machen", empfahl er. Helfen könnten dabei etwa Projektteams, globale oder flexible Budgets und angepasste Reglemente.
Während des Forums war auch Zeit für Fragen aus dem Publikum. (Source: zVg / Severin Nowacki)
Für und wider die Cloud
Kontrovers Diskutiert wurde schliesslich die Frage, unter welchen Umständen Gemeinden eine Cloud nutzen sollten. Unlängst hatte der Zürcher Regierungsrat Microsoft 365 bewilligt. Einen Schritt weg vom Microsoft-Dienst empfiehlt der Datenschutzbeauftragte der Schweizerischen Unfallversicherung Suva. Der Knackpunkt: Als US-amerikanisches Unternehmen unterliegt Microsoft dem Cloud Act und muss den dortigen Polizeibehörden auf deren Verlangen alle - auch in der Schweiz gespeicherte - Daten aushändigen.
Steven Henzen, CTO bei T-Systems Schweiz, verbreitete während der Podiumsdiskussion Optimismus: Man könne die in der Cloud gespeicherten Daten so verschlüsseln, das sie weder vom Anbieter noch von den zugreifenden Behörden gelesen werden könnten, führte er aus. Später räumte er ein, dass bestimmte Metadaten (etwa Empfänger und Versender einer E-Mail) mitgelesen werden können.
Von links: Steven Henzen, Adrienne Fichter, Sarah Drukarch und Christoph Marti bei der Podiumsdiskussion. (Source: zVg / Severin Nowacki)
Tech-Journalistin Adrienne Fichter, die unter anderem die Patzer des Bundes bei seiner letztjährigen Public-Cloud-Ausschreibung dokumentiert hatte sagte, der Beschluss des Zürcher Regierungsrates sei "eigentlich eine Verkaufsbroschüre von Microsoft". Nach wie vor blieben noch immer viele Restrisiken. Zudem sei fraglich, ob der Gang in die Cloud überhaupt mit den derzeit gültigen Schweizer Gesetzen vereinbar sei.
Sarah Drukarch, Juristin bei Pestalozzi Rechtsanwälte, sah im Wechsel in die Cloud zwar "ein Fortschritt, etwa in Sachen Sicherheit". Allerdings habe der Regierungsrat der Problematik der Überwachung nicht genügend Rechnung getragen. Im Fall der Suva müsse geklärt werden, inwiefern Microsoft personenbezogene Daten zu eigenen Zwecken verarbeite. "Es gibt weiterhin Hausaufgaben zu tun", schlussfolgerte sie und fügte an, möglicherweise werde es noch zu gerichtlichen Überprüfungen der Cloud-Projekte kommen.
Am Schluss der Podiumsdiskussion setzte Drukarch hinter den Satz "Gemeinden in die Cloud" ein "Fragezeichen, tendierend zum Punkt". Von Fichter erhielt das Thema ein "Fragezeichen", und Henzen reagierte mit einem "Punkt".
Das Thema Sicherheit stand auch am letzten Swiss E-Government Forum im Zentrum: von Systemen, von Identitäten und von Demokratien. Hier lesen Sie den Eventbericht.