Das grösste Potenzial liegt in der optimierten Nutzung der vorhandenen Daten
Eine gute Kommunikation mit Patientinnen und Patienten erhöht nicht nur ihre Zufriedenheit, sondern kann auch Spitäler entlasten. Wie das gelingt, erklären Pascal Sandoz vom Réseau Hospitalier Neuchâtelois, Drazen-Ivan Andjelic von Mitel Schweiz und Carmelo Salmeri von UMB. Interview: Tanja Mettauer
Welche Methoden setzen Sie beim Réseau Hospitalier Neuchâtelois (RHNe) ein, um die Patientenzufriedenheit im Spital zu messen?
Pascal Sandoz: Die Spitäler des Kantons Neuenburg messen die Patientenzufriedenheit hauptsächlich mit zwei Methoden. Erstens mit den Zufriedenheitsbefragungen: Patientinnen und Patienten erhalten nach ihrem Aufenthalt einen Fragebogen. Dieser deckt verschiedene Aspekte ihrer Erfahrung ab, wie die Qualität der Pflege, die Kommunikation mit dem Personal und die Unterbringungsbedingungen. Zweitens mit den nationalen ANQ-Umfragen: Das RHNe nimmt regelmässig an den Umfragen des Kompetenzzentrums ANQ (ehemals Nationaler Verein für Qualitätsentwicklung in Spitälern und Kliniken) teil und führt Umfragen zur Patientenzufriedenheit durch. Diese Umfragen ermöglichen es, die Ergebnisse zwischen verschiedenen Einrichtungen zu vergleichen und die Entwicklung der Zufriedenheit im Laufe der Zeit zu verfolgen. Mit diesen Methoden können wir wertvolle Informationen sammeln, um die Qualität der Pflege und die Erfahrungen der Patientinnen und Patienten kontinuierlich zu verbessern.
Spitäler führen regelmässig Umfragen zum Thema Patientenzufriedenheit durch. Wie wird dieser Aspekt in Patienten-Kommunikationssystemen berücksichtigt?
Drazen-Ivan Andjelic: Patientinnen und Patienten können über verschiedene Prozesse (Apps) Feedback und Informationen an das Spital senden. Dank automatisierter Zufriedenheitsabfragen und Echtzeitfeedback aus den verschiedenen Applikationen kann das Spitalpersonal umgehend reagieren, um die Patientenerfahrung noch während des Aufenthalts zu verbessern. Von unserem HiMed-System in Kombination mit der Mitel-Kommunikationslösung profitieren also das medizinische Fachpersonal und Patienten gleichermassen. Bedside-Terminals (Cockpits) und Infopoints sorgen für mehr Transparenz und Kommunikation. Eine personalisierte Betreuung – vom Spitaleintritt bis ans Patientenbett – unterstützt den Genesungsprozess und erhöht die Zufriedenheit. Zudem dienen die gewonnenen Erkenntnisse aus den Analysen dazu, interne Prozesse zu optimieren.
Welche Vorteile bringen solche Systeme für Spitäler?
Andjelic: Die Geräte sind äusserst robust, halten den physischen Beanspruchungen im Spital stand und erfüllen spezielle Anforderungen, etwa hinsichtlich Infektionsschutz am Patientenbett. Die Sicherheit wird durch ein gehärtetes Linux-Betriebssystem gewährleistet, das ein hohes Mass an Sicherheit ermöglicht. Besonders wichtig ist dabei die Trennung des Netzwerks für Personal- und Patientenanwendungen, um die Datensicherheit zu gewährleisten. Darüber hinaus eröffnet das HiMed-System zusätzliche Einnahmemöglichkeiten im Entertainmentbereich, etwa durch TV, Video und Zeitschriftenangebote. Zudem lassen sich die vielfältigen Applikationen der Spitäler einfach in das HiMed-System integrieren. Ein Investitionsschutz auf Bedside-Terminals und Infopoints sorgt gleichzeitig durch Rückwärtskompatibilität dafür, dass neue Geräte nahtlos in bestehende Systeme eingebunden werden können.
Wie gewährleisten Sie die Datensicherheit der Kommunikationssysteme, um die sensiblen Informationen der Patienten zu schützen?
Sandoz: Das RHNe ergreift verschiedene Massnahmen. Die gesamte Kommunikation, die sensible Informationen enthält, wird verschlüsselt, um einen unbefugten Zugriff zu verhindern. Ausserdem wird der Zugang zu Kommunikationssystemen durch starke Authentifizierungsmethoden geschützt und nur befugtes Personal kann sensible Informationen abrufen. Diese Zugriffsrechte werden regelmässig überprüft und bei Bedarf angepasst. Ferner erkennen Überwachungssysteme verdächtige Aktivitäten oder Eindringversuche. Zudem schulen wir das Personal in bewährten Datensicherheitspraktiken und sensibilisieren sie vor Cyberrisiken. Das RHNe erfüllt die Anforderungen der Allgemeinen Datenschutzverordnung (DSGVO), die strenge Massnahmen zum Schutz personenbezogener Daten vorschreibt. Diese Massnahmen gewährleisten ein hohes Mass an Sicherheit für die Patientendaten und schützen deren Vertraulichkeit.
« Eine personalisierte Betreuung unterstützt den Genesungsprozess und erhöht die Zufriedenheit. »
Drazen-Ivan Andjelic, General Manager Alpine, Mitel Schweiz
Wo liegt Ihrer Ansicht nach das grösste Potenzial, um die Patientenerfahrung zu verbessern?
Carmelo Salmeri: Das grösste Potenzial liegt in der optimierten Nutzung der vorhandenen Daten. Durch präzise Prognosemodelle für das Patientenaufkommen können Engpässe besser vermieden werden. Saisonale und statistische Analysen tragen dazu bei, dass die Ressourcen bedarfsgerecht geplant werden können. Auch in puncto operative Transparenz (Operational Transparency), insbesondere rund um Behandlungsprioritäten, gibt es noch Verbesserungspotenzial. Damit könnte das Spital wartenden Patientinnen und Patienten genau erklären, wie ihr Fall bewertet und anhand des Triage-Systems eingestuft wurde. Dies würde das Vertrauen in das System stärken und die Zufriedenheit erheblich steigern.
Welcher Spitalbereich würde von einer Verbesserung besonders stark profitieren?
Salmeri: Notfälle sind per se nicht planbar, was zu einer hohen Belastung in der Notfallmedizin führen kann. Patientinnen und Patienten mit erheblichen Gesundheitsproblemen, die per Ambulanz oder Helikopter eintreffen, werden prioritär behandelt. Schwerkranke oder Verletzte benötigen zudem häufig die Expertise mehrerer Fachdisziplinen, was Behandlungsabläufe verzögert und für die Betroffenen unangenehme Wartezeiten bedeutet. Umfassende Datenanalysen können deshalb saisonale Schwankungen bei Notfällen, wie etwa die Zunahme von Outdoor-Unfällen im Sommer, in der Ressourcenplanung berücksichtigen. Auch durchschnittliche Bearbeitungszeiten für verschiedene Verletzungen können erhoben und in die Berechnung der Wartezeiten einbezogen werden.
Wie integrieren Sie Patientenportale in Ihre Systeme und welche zusätzlichen Möglichkeiten bietet Ihre Lösung?
Andjelic: Viele Spitäler besitzen bereits Patientenportale oder sind dabei, solche Lösungen anzuschaffen, die speziell auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten sind. Wir sind der Ansicht, dass Patientenportale ein sehr spezielles Feld darstellen und diese am besten durch spezialisierte Anbieter entwickelt werden. Unsere Stärke liegt darin, dass wir nahezu alle Patientenportale in unser System integrieren können, wodurch wir unabhängig bleiben. Die einfache Integration dieser Portale ist ein zentraler Schwerpunkt unseres Angebots. Spitäler müssen keinen zusätzlichen Entwicklungsaufwand betreiben, um ihr Patientenportal zu integrieren.
Welche Rolle nimmt die UMB als IT-Dienstleisterin in diesem Zusammenhang ein?
Salmeri: Die UMB unterstützt Healthcare-Kunden wie das RHNe dabei, ihre Telefonielösungen mit IT- und Analytics-Lösungen zu verknüpfen. Dadurch können wir die Patientenerfahrung massgeblich optimieren. Neben der Digitalisierung der Patient-Journey bieten wir ein KI-basiertes Tool, mit dem die medizinische Dokumentation vereinfacht wird. Es handelt sich um eine GenAI-Applikation, der eine RAG-Architektur (Retrieval Augmented Generation) zugrunde liegt. Nicht zuletzt unterstützt UMB die Digitalisierung direkt am Patientenbett, etwa in Form von digitalen Schnittstellen, über die Patienten und Pflegepersonal in Echtzeit auf Informationen zugreifen können.
« Umfassende Datenanalysen können saisonale Schwankungen berücksichtigen. »
Carmelo Salmeri, Senior Account Manager, UMB
Welche Faktoren sind entscheidend für die Skalierbarkeit von Kommunikationssystemen in grossen Krankenhausumgebungen?
Sandoz: Dafür sind mehrere Schlüsselfaktoren ausschlaggebend. Das Spital braucht eine robuste und flexible Netzwerkinfrastruktur, um eine nahtlose Kommunikation zu gewährleisten. Zudem muss die Kommunikation zwischen den Systemen reibungslos verlaufen. Es braucht ebenfalls modulare Komponenten, die aktualisiert oder ausgetauscht werden können, ohne das gesamte System zu beeinträchtigen, und Schnittstellen sowie Funktionen müssen individuell angepasst werden können. Nutzerinnen und Nutzer brauchen ausserdem Schulungen, um Kommunikationssysteme effizient zu nutzen. Falls Probleme auftreten, ist ein reaktionsschneller technischer Support ebenso entscheidend wie die Partnerschaft mit verschiedenen Dienstleistern und Herstellern. Regelmässige Aktualisierungen ohne Unterbrechungen sorgen dafür, dass die Sicherheit und der Lebenszyklus der verschiedenen Anbieter gewährleistet und Investitionen langfristig gesichert sind. Nur so können die Systeme mit den steigenden Anforderungen der Spitäler mitwachsen und gleichzeitig eine hohe Qualität der Dienstleistungen und der Sicherheit aufrechterhalten.
Wie sehen Sie die Zukunft der digitalen Lösungen in Spitälern und wie sind Sie darauf vorbereitet?
Andjelic: Digitale Lösungen werden künftig massgeblich von neuen technologischen Entwicklungen geprägt sein. Besonders in den Bereichen Diagnostik, Behandlungsoptimierung und Vorhersagemodellen, etwa durch KI-gestützte Systeme, sehen wir grosses Optimierungspotenzial von Spitalprozessen. Unsere Lösung, die speziell auf die Anforderungen von Spitälern zugeschnitten ist, bietet die notwendige Offenheit und Flexibilität, KI-gestützte Anwendungen nahtlos zu integrieren.
Wie kann KI die Patientenerfahrung verbessern?
Salmeri: KI kann einerseits für mehr Sicherheit etwa bei Diagnosestellungen und Behandlungsmöglichkeiten sorgen. KI-gestützte Systeme sind in der Lage, Muster in grossen Datensätzen zu erkennen, die für Menschen alleine möglicherweise schwer zu erfassen sind. Diese Muster können dabei helfen, Fehldiagnosen zu reduzieren. Patientinnen und Patienten können ihrerseits darauf vertrauen, dass die daraus resultierende Behandlung auf soliden und umfassenden Erkenntnissen basiert. Andererseits verkürzt KI administrative Prozesse erheblich. Dadurch wird nicht nur das medizinische Personal entlastet, sondern auch die Wartezeit für die Patienten verkürzt, was dazu führt, dass sie schneller wieder aus dem Spital entlassen werden.
Welche konkreten KI-Anwendungsbeispiele können Sie hierzu nennen?
Salmeri: Ein Beispiel ist das Leitlinien-Interface im Schockraum. Medizinische Leitlinien bilden den aktuellen wissenschaftlichen Stand der Behandlung einer bestimmten Erkrankung ab. Sie dienen als Referenz für Ärztinnen und Ärzte, umfassen aber häufig hunderte von Seiten an Text, Algorithmen und Empfehlungen. Ein KI-basiertes Leitlinien-Interface erleichtert die Verwendung dieser wertvollen Informationen im klinischen Alltag. Der aktuelle Stand des jeweiligen Patienten wird automatisch erfasst, auf der relevanten Leitlinie abgebildet und die wesentlichen Empfehlungen angezeigt. Dies reduziert die Komplexität und sichert die Behandlungsqualität. Schockraumbehandlungen werden im Anschluss detailliert dokumentiert. Eine KI-basierte Sprachdokumentation kann in Echtzeit mitdokumentieren und spart letztlich wertvolle Zeit.
« Das Spital braucht eine robuste und flexible Netzwerkinfrastruktur, um eine nahtlose Kommunikation zu gewährleisten. »
Pascal Sandoz, Service technique & Administrateur Télécom, Réseau Hospitalier Neuchâtelois
Welche ethischen Implikationen sehen Sie beim KI-Einsatz bei der Analyse von Patientenerfahrungen?
Andjelic: Durch den Einsatz unserer Lösung im Datacenter der Spitäler geben wir den sensiblen Gesundheitsinformationen oberste Priorität. Transparenz und Nachvollziehbarkeit beim Einsatz von KI sind unbedingt erforderlich. Patienten, wie auch die Ärzte, müssen Ergebnisse, die KI-gestützt ermittelt wurden, nachvollziehen können. Patientenrechte müssen unbedingt gewahrt werden, insbesondere wenn Patientenerfahrungen mithilfe von KI analysiert werden. KI kann erhebliche Chancen für die Spitäler in der Verbesserung der Gesundheitsversorgung liefern, jedoch sind dabei der Datenschutz, die Transparenz und Verantwortung für die Patientendaten zu berücksichtigen.
Welches sind derzeit Ihre Prioritäten bei der Weiterentwicklung Ihrer Kommunikationssysteme?
Sandoz: Aktuell arbeiten wir an mehreren bedeutenden Projekten, die entweder in Umsetzung oder Planung sind. Dazu gehören der Austausch des Voicemail-Systems und die Integration einer Unified-Communications-Lösung, die Bereitstellung einer Callcenter-Lösung für verschiedene Abteilungen, der Austausch und die Aktualisierung des Routing-Kerns von RHNe, die Zusammenführung auf eine neue Lösung für das Alarmmanagement an allen RHNe-Standorten sowie die Modernisierung der Inhouse-Infrastruktur für Mobiltelefone.
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